D R E I

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Wenn man es mit dem foulen übertreibt, zeigt einem der Schiri die gelbe Karte. Warum man anschließend darüber diskutiert, verstehen die wenigsten. Diese Entscheidung kann nicht rückgängig gemacht werden. Kurz schlucken, zusammenreißen, weiterspielen. Eine Gelb-Rote-Karte wäre die weitere Konsequenz und dann wäre das Spiel für dich vorbei. Scheiße
In der Liebe sind gelbe Karten die letzte Warnung. Macht man so weiter wie bisher, macht man diese Liebe kaputt. Man sollte sich zurückziehen und dem anderen etwas Platz zum Atmen lassen. Sieht man Gelb-Rot ist Schluss! Wenn dein Gegenüber sich nicht auf ein Rückspiel einlässt, hast du keine Chance mehr, deine Fehler wiedergutzumachen. Dann bleibst du sieglos. Im Spiel und in der Liebe!



...

ES MUSS VON HERZEN KOMMEN,

WAS AUF HERZEN WIRKEN SOLL.

- JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

...




Jascha hatte sich in einer stockenden Bewegung wieder zu seinen älteren Brüdern umgedreht und sah Julian mit schockgeweiteten Augen an.
»Du hast mit Kai geschlafen?«, hakte er nach. »Mit Kai Havertz?«
»Mit welchem Kai denn sonst du Hohlkopf?«, entgegnete Jannis, der sich über diese dämliche Frage mehr ärgerte als Julian.
Jascha hatte seinen Willen bekommen. Warum konnte er sich nicht damit zufriedengeben? Er musste doch merken, wie schwer es Julian fiel, über diese Kai-Sache zu sprechen.
Zum Glück gab es noch Jannis, der sich todesmutig vor Julian stellte und die Arme vor der Brust verschränkte. Er wollte seinen kleinen Bruder zwar nicht vergraulen, die Situation für Julian aber auch nicht noch schlimmer machen.
»Wie konnte das denn passieren?« - Jascha sah aus, als würde seine Welt gerade zusammenbrechen - »Ich meine bist du schwul? Seit wann? Warum hast du uns nie etwas erzählt?«
»Du weißt Bescheid; Schluss jetzt mit dem Thema!«, fauchte Jannis verärgert.
Jascha schaffte es mit wackeligen Beinen zu einem der Barstühle an der Inseltheke. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit! Dass sein Bruder eine Frau geschwängert hat oder sein Auto zu Schrott gefahren hatte, war wahrscheinlicher, als dass er seinen besten Freund flachlegte. Zu mindestens in Jaschas Welt.
»Ihr wisst aber schon das nicht der 1. April ist, oder? Also für Scherze ist heute echt der falsche Tag!«, sagte Jascha vorsichtshalber. Er glaubte zwar nicht, dass Julian zu Scherzen aufgelegt war. Aber sicherheitshalber konnte man die beiden ja doch noch einmal daran erinnern, dass das definitiv nicht lustig war!
»Das war kein Scherz! Können wir jetzt über etwas Anderes reden?« - Julian tippelte nervös von einem Bein aufs andere. Das war der lahmste Versuch vom Thema abzulenken, seit Menschengedenken.
Jascha raufte sich die Haare. Irgendwie konnte er das alles noch nicht so richtig glauben.
»Krieg ich ein Bier?«
»Bist du verrückt, es ist noch nicht mal um zwölf!«, empörte sich Jannis lautstark.
Langsam kam er sich wirklich vor wie die Ersatzmutter. Den einen musste er vor sich selbst beschützen und den anderen vor zu viel Alkohol. Normalerweise war das ja eigentlich die Aufgabe des Ältesten, aber der war ja gerade auch zu nichts zu gebrauchen.
»Aber das ist zu verrückt, um es einfach 'runterzuschlucken!«
»Das weiß ich selbst, aber deswegen greift man nicht gleich zur Flasche, Jascha!« - Jannis verdrehte die Augen.
»Wie krass ist das denn!« - Jascha fand wieder genug Halt auf seinen eigenen Beinen und schwang sich vom Barhocker. »Ich meine: Kai Havertz und mein Bruder – das ist voll geil! Das könnte die Welt verändern!«
Jannis sah seinen jüngeren Bruder an, als hätte dieser nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wo kam bloß diese Euphorie her? Jascha sah so aus, als wolle er die beiden verkuppeln, wenn sie es schon selbst nicht auf die Reihe bekamen. Jannis sah sich verpflichtet dazu, dieser Hochstimmung einen Dämpfer zu verpassen, bevor Jascha sich zu sehr hineinsteigerte und damit Julian vielleicht noch tiefer in die Scheiße ritt.
»Ich glaube du hast mit Mama zu viele Schnulzfilme gesehen! Was geht denn in deinem Kopf ab?«
»Na ja, mit Frauen hatte Juli ja bisher nicht wirklich Glück. Ich meine seine Freundinnen kannst du an einer Hand abzählen ... Und die Dauer der Beziehungen auch. Vielleicht sind Männer ja doch die klügere Wahl, also in dem Fall jetzt Kai!«
Das war ausschlaggebend für Julian, um sich nun doch wieder in die Diskussion einzumischen. Er machte einen Schritt hinter Jannis hervor und fixierte Jascha mit seinem Blick.
»Also Erstens: Hört auf über mich zu reden, als wäre ich nicht im Raum!«, schnaufte er genervt. »Zweitens: Kein Wort zu niemandem, ich hacke dir sonst den Kopf ab!« - Julian atmete tief durch - »Und Drittens: Das war eine einmalige Sache! Kai und ich sind nicht zusammen, ich weiß nicht mal, ob wir noch Freunde sind, ich weiß gar nichts. Also halt bloß deine Fresse!«
»Habt ihr nicht darüber gesprochen?«, fragte Jascha mit schiefgelegtem Kopf. Also ihm wurde mal gesagt, dass man über so etwas unbedingt sprechen sollte. Alkohol konnte die komischsten Dinge mit einem anstellen. Und wenn etwas passiert war, was nicht passieren sollte, musste man darüber sprechen. Nur was besprochen wird, kann auch aus der Welt geschafft werden!
»Kai redet seitdem nicht mit mir!«, antwortete Julian und klang geknickt, fand Jascha. Sein großer Bruder ließ den Kopf hängen. »Ich wollte mit ihm reden. Ich habe ihn eingeladen, zum Zocken – letztes Wochenende. Vorher hat er das noch nie abgesagt, aber angeblich hatte er dieses Mal etwas vor. Und dann hat er das Bild von dem blonden Mädchen gepostet!«
Jascha riss die Augen auf. »Also hat er jetzt eine neue Freundin?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Julian verzweifelt.
Er war müde und es leid, darüber nachzudenken. Kai und er mussten reden. Julian wollte gar nicht, dass sie sich Gedanken über ein „Was wäre wenn" machten. Er wollte nur wieder sein Freund sein. Und er würde alles dafür tun, dass sie zu diesem Punkt zurückkehren konnten.
»Glaub mir« - Julian seufzte - »es gibt nichts, was ich so sehr bereue wie das! Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es ungeschehen machen!«
»Ich will echt nicht in deiner Haut stecken!«, entgegnete Jascha taktlos – jugendlicher Leichtsinn.
»Jascha«, zischte Jannis.
»Was denn, ist doch so? Stell dir mal vor, dir und deinem besten Freund passiert das; ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen!«
Jannis verlor gleich die Geduld mit dem Küken. Er schnappte sich einen Schwamm und Putzmittel vom Tresen und drückte es seinem jüngsten Bruder energisch in die Hände.
»Los, geh irgendetwas putzen, bevor du noch mehr gequirlte Scheiße quatschst!«
»Aber-«
»Nichts aber! Du kennst jetzt die Story, Ende Gelände. Abmarsch!«
Jascha setzte einen Moment zu einer Erwiderung an. Dann pustete er sich aber doch nur die Haare aus der Stirn. »Ja Mama, zu Befehl!«, ätzte er in Jannis' Richtung und verschwand dann aus der Küche. Er blubberte noch irgendetwas in seinen nicht vorhandenen Bart, was seine Brüder glücklicherweise nicht verstanden und war Sekunden später schon nicht mehr zu hören.
Jannis wandte sich nun Julian zu. »Geht's dir gut?«
»Ja klar, was soll sein?«
»Du bist verknallt in ihn, nicht? Nur deswegen hast du überhaupt zugelassen, dass es passiert ist oder?«, fragte Jannis vorsichtig. Als hätte der dumme Julian das offensichtliche noch immer nicht kapiert.
Einen kurzen Augenblick überlegte Julian, sich seinem Bruder anzuvertrauen. Ihm zu sagen, dass er mit seiner Vermutung recht haben könnte. Aber er wollte seinen Bruder an seinem Geburtstag nicht mit Dingen verrückt machen, über die er sich selbst noch nicht ganz klar war. Und Jannis' penetranten Fragen wurde man nur los, wenn man ihm zeigte, wie sehr er damit nervte.
Deswegen stöhnte Julian genervt und warf den Schwamm ins schmutzige Spülwasser. »Du hast Jascha gesagt, dass er mir nicht helfen kann, aber du kannst das auch nicht Jannis. Da muss ich alleine durch! Können wir das Thema also einfach auf sich beruhen lassen?«
»Aber-«
»Nichts aber«, wiederholte Julian Jannis' Worte. »Mir geht es gut, ehrlich. Ich kipp' mir heute den Kopf zu und habe morgen bestimmt alles vergessen!«
»Also willst du nicht mit Kai darüber reden?«
»Von „wollen" kann nicht die Rede sein; wir müssen darüber sprechen – aber nicht heute.« - Julian trocknete sich die Hände ab und lächelte seinen kleinen Bruder versöhnlich an. Erwachsensein ist so eine Scheiße! »Macht's dir was aus, wenn ich mich nochmal aufs Ohr haue. Ich habe die letzte Nacht echt nicht viel geschlafen, weißte.«
»Nein geh nur, den Rest mach ich mit Jascha«, antwortete sein Bruder und zog den Stöpsel aus dem Spülbecken, damit das Wasser abfließen konnte.
Julian nickte dankbar und verschwand dann in Richtung Treppe.
Jannis schüttelte den Kopf über seinen großen Bruder und fragte sich, warum er sich die Mühe machte und die Gläser und Tassen von Hand abspülte. Er besaß doch eine Spülmaschine. Da war wohl jemand noch mehr durch den Wind, als er zugeben wollte.
»Hast du eine Idee?«
Erschrocken zuckte Jannis zusammen, als Jascha plötzlich wieder neben ihm auftauchte. Jannis verdrehte die Augen und ignorierte seinen jüngeren Bruder, während er die Spülmaschine einräumte.
»Erde an Jannis Brandt: Ich habe dich was gefragt!«
»Und ich hab' dich ignoriert!«
Jascha warf seinem Bruder den Putzlappen an den Kopf. »Man kannst du ein blöder Arsch sein! Wir brauchen einen Plan.«
»Du kannst die Terrasse fegen und danach das Wohnzimmer saugen und aufräumen!«
»Jannis«, knurrte Jascha genervt, »Ich meine keinen Putzplan du Spasti! Sondern einen Plan-Plan für Julian und Kai!«
»Ach so« - Jannis tat so, als würde er erst jetzt begreifen, was sein Bruder von ihm wollte. Dann verzog er das verwirrte Gesicht jedoch zu einer grimmigen Mine. »Der Plan-Plan sieht vor, dass du gleich wieder im Zug nach Bremen sitzt, wenn du nicht sofort mit dem Thema aufhörst!«
»Dann willst du Julian also weiter leiden lassen?«
Jannis seufzte verzweifelt und drehte sich um. »Du bist so eine elende Nervensäge Jascha, wirklich ej! Merkst du nicht, dass Julian keine Hilfe will?! Er ist alt genug, um seine Scheiße alleine zu klären und solange er mir nicht heulend gegenübersitzt und um Hilfe bittet, lassen wir ihn in Ruhe – Hast du das verstanden?«
»Du glaubst also nicht an ein Happy End?«, fragte Jascha und schummelte sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Doch nachdem er es geöffnet hatte, warf Jannis ihm einen bösen, ermahnenden Blick zu und Jascha überreichte die Flasche, ohne zu zögern seinem älteren Bruder. Als er sich dann eine neue aus dem Kühlschrank nehmen wollte, blockierte Jannis die Tür. Jascha verkniff sich den Kommentar, der ihm bereits auf der Zunge lag und kehrte lieber zum eigentlichen Thema Ihrer Unterhaltung zurück.
»Denkst du, aus den beiden könnte etwas werden?«, hakte Jascha nochmal nach.
»Keine Ahnung. Ich denke eher nicht.« - Jannis zuckte mit den Schultern - »Es ist schon ziemlich ungewöhnlich, dass die beiden überhaupt im Bett gelandet sind. Schade, dass Juli es nicht erzählen will! Ich glaube sie können froh sein, wenn sie es schaffen irgendwie wieder Freunde zu sein.«
»Schade ist das schon. Sie wären bestimmt ein schönes Paar!«, entgegnete Jascha und hatte anscheinend endlich genug von dem Thema. Er schnappte sich den Besen, der an der Wand hing und verschwand auf der Dachterrasse.
Jannis leerte seine Flasche in zwei großen Schlucken, dann kümmerte er sich weiter um die noch recht unordentliche Küche.
Was die beiden Jüngsten zu dem Zeitpunkt nicht wussten: Julian saß auf der obersten Stufe der Wendeltreppe und hatte jedes Wort mitgehört, was die beiden gesprochen hatten. Er kämpfte erfolglos gegen die Tränen, als ihm klar wurde, dass Jannis das ausgesprochen hatte, was er selbst schon seit zwei Wochen wusste. Denn Julian war sich sicher, dass es für ihn und Kai keine Chance mehr gab.
Erste gelbe Karte.

Bis zum Elfmeterpunkt | BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt