F Ü N F

2.7K 89 4
                                    

Kai saß seiner Freundin gegenüber auf seinem Sofa. Steif und Gerade, ziemlich ungewohnt. Normalerweise lümmelten sie sich immer gemeinsam in Jogginghose in die Kissen und lästerten über schlechte Schauspielkünste in Low-Budget-Filmen. Weil sie beide der Meinung waren, jeder Laie könnte das besser.
Sie hatte ihn heute Morgen um ein Gespräch gebeten. Und Ihre Nachricht klang ziemlich ernst. Deswegen war Kai gleich nach dem Training ohne Umwege nachhause gefahren. Obwohl Sam gefragt hatte, ob sie gemeinsam Fortnite spielen wollten.
Als er sie so vorgefunden hatte, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Denn neben ihr stand eine gepackte Reisetasche und der Schlüssel für Kais Wohnung lag vor ihr auf dem Couchtisch. Kai wollte ihr zur Begrüßung einen Kuss geben, doch sie wich ihm aus. Er hatte die Stirn gerunzelt, aber die Trainingstasche neben dem Sofa abgestellt und sich ihr gegenüber hingesetzt. Nervös rieb er die Hände über seine Hose, während er sie abwartend ansah.
Sie brauchte ein paar Minuten, bis sie seufzte und ihn – ohne ihm in die Augen zu sehen – fragte: »Bist du noch glücklich?«
Kai legte den Kopf schief. »Warum sollte ich unglücklich sein?«
Jetzt sah sie ihn wieder an. Sie ballte die Hände in ihrem Schoß zu Fäusten und ein paar Tränen stahlen sich aus ihren Augenwinkeln. Instinktiv lehnte sich Kai nach vorne, um sie ihr vom Gesicht zu wischen, doch sie wich ihm wieder aus. Und noch mehr Tränen liefen ihre Wangen hinab. Er verstand es nicht.
Kai wurde langsam wütend. Er hasste ernste Gespräche sowieso. Und das hier war noch schlimmer, weil seine Freundin weinte und nicht mit ihm darüber sprach. Wenn sie unglücklich war, sollte sie ihm verdammt nochmal sagen wieso. Dann könnte er es vielleicht ändern. Es besser, anders, machen.
»Kannst du mir mal verraten was mit dir los ist?« - Kai versuchte sich zu beherrschen, aber er konnte die Wut nicht mehr ganz aus seiner Stimme heraushalten.
»Ich denke wir beide sollten aufhören uns was vorzumachen! Das mit uns beiden macht keinen Sinn mehr!« - sie kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf - »Das mit uns hat keine Zukunft.«
»Und warum nicht? Vor zwei Monaten war noch die Rede von zusammenziehen!«, entgegnete Kai verwirrt. Weil er die Welt nicht mehr verstand. Weil er sie nicht mehr verstand. Er sprang vom Sofa auf und raufte sich die Haare. Seine Augen wanderten panisch hin und her. Er überlegte fieberhaft, was die Gründe für ihre Zweifel sein könnten. Ihm fiel nur eine Sache ein.
In einer eiligen Bewegung drehte er sich wieder zu ihr um und glitt aufs Sofa zurück. Er griff nach Ihren Händen und ignorierte, dass sie sich gegen die Berührung wehrte. »Ist es, weil ich der letzten Zeit so wenig mit dir unternommen habe?« - er stockte, wollte ihr die Möglichkeit lassen zu antworten, doch sie schwieg - »Wenn es daran liegt, ich verspreche dir das wird sich jetzt ändern. Aber weißt du, seit Jule weg ist, ist alles so komisch. Er fehlt mir in Leverkusen. Und er fehlt in der Mannschaft. Wir sortieren uns noch.«
Als wäre seine Ehrlichkeit ein geheimes Stichwort gewesen, lockerte sie ihre angespannte Haltung und ließ auch Kais Berührungen zu. Sie schniefte und sah ihn wieder an. Dann befreite sie ihre Hände aus Kais Griff und ließ ihre Finger ganz sanft über seine Wangen gleiten.
»Ich glaube die Person, der dein Herz gehört, bin nicht länger ich«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Du weißt es noch nicht, aber wenn es soweit ist, wirst du mir dankbar dafür sein, dass ich gegangen bin!«
Sie ließ Kai los und schob den Schlüssel über den Tisch zu ihm hin. Dann stand sie auf und schulterte ihre Reisetasche. Sie ging einen Schritt und Kai konnte nicht glauben, dass sie wirklich einfach aus seinem Leben verschwinden wollte. Doch dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um.
»Irgendwann wirst du verstehen, warum ich das tun muss«, schluchzte sie und schluckte schwer. »Erinnerst du dich an die Zeit, bevor wir zusammen waren? Da waren wir Freunde und ich will, dass du weißt, dass ich immer noch deine Freundin bin. Mach's gut, bis bald!«
Sie ließ Kai keine Zeit, etwas zu erwidern und verschwand aus seiner Wohnung. Und vorerst auch aus seinem Leben.
Kai starrte wie ein hypnotisiertes Kaninchen die Stelle an, an der sie gerade noch gestanden hatte und versuchte zu verstehen, welcher Film sich hier in den vergangenen Minuten abgespielt hatte. Träumte er vielleicht und würde gleich aufwachen?
Die Minuten vergingen und Kai wachte nicht auf. Er ließ das Gespräch zwei Mal vor seinem inneren Auge Revue passieren. Dann zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte Julians Nummer. Er wusste, dass dieser auf dem Weg nach Berlin war. Aber er brauchte seinen besten Freund jetzt. Sofort.
»Hey Ho« - Julian nahm nach dem zweiten Klingeln ab - »was gibt's Harvey?«
»Sie hat Schluss gemacht!«, sagte Kai geradeheraus. Ohne Begrüßung, ohne alles. Weil das alles war, was gerade in seinem Kopf herumspukte und er sich nicht daran erinnerte, wie man ein Gespräch höflich begann.
Julian gab einen bedrückten Laut von sich. »Warum?«
»Man Fuck keine Ahnung!« - Kai sprang wieder vom Sofa auf und stakste durch sein Wohnzimmer - »Sie hat so viel Blödsinn gelabert und mir keinen wirklichen Grund genannt!« - Kai gab seinem Sofa vor Wut einen Tritt - »Man Scheiße, was soll das? Was habe ich ihr getan? Warum sagt sie mir nicht die Wahrheit? Fuck, fuck, fuck!«
Und dann fing Kai an zu weinen. Vor Wut und aus Verzweiflung. Weil er sich wünschte, Gedanken lesen zu können. Dann wüsste er jetzt wenigstens, warum sie das getan hatte. Was er wirklich falsch gemacht hatte. Aus ihren Aussagen war er nämlich gar nicht schlau geworden. Er verstand ihre Beweggründe nicht.
»Hey, hör auf!«, sagte Julian tröstend. »Wenn sie dir nicht mal sagen kann, warum sie dich verlassen hat, dann ist sie es auch nicht wert, dass du heulst!«
»Ich habe doch nichts Anderes gemacht, außer Fußball spielen. Ich habe ihr nie einen Grund dazu geben, an uns zu zweifeln!« - Kai schniefte, beruhigte sich aber langsam wieder.
»Ich wäre jetzt gerne bei dir«, murmelte Julian. »Sehen wir uns am Wochenende?«
Kai nickte, bis ihm auffiel, dass Julian das ja gar nicht sehen konnte. Dann sagte er: »Ja und wehe du erzählst jemandem, dass ich geheult habe, dann töte ich dich!«
Julian lachte. »Nein, ich hänge an meinem Leben. Wir sehen uns Freitag?«
»Ja, ich komme nach dem Training zu dir.«
»Okay.« - Julian kicherte kurz in sich hinein - »Fühlst du dich besser, wenn ich dir sage, dass ich dich lieb hab'?«
»Halts' Maul«, antwortete Kai mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen.
»Willst du mir nicht sagen, dass du mich auch liebhast?«, neckte Julian herausfordernd. Weil er viel besser darin war, lustig zu sein, als ernste Gespräche zu führen. Dafür dankte Kai ihm gerade.
»Nur wenn du heute mindestens ein Tor schießt – obwohl das für euch ja ganz schön schwierig werden könnte gegen die Berliner!«, entgegnete Kai spitzbübisch. Kabbeleien mit Julian machten immer besonders viel Spaß, wenn es um Fußball ging und Kai ihn damit aufziehen konnte, dass Julian jetzt für Dortmund spielte.
Julian schnaubte entrüstet in die Leitung. »Zwei Tore – du wirst sehen!«
»Ich bin gespannt! Denk dran, ich sehe alles!«
»Ja ja - bis Freitag du Spinner!«, lachte Julian und legte auf.
Kai grinste sein Telefon noch ein paar Sekunden an. Der Typ war wirklich immer sein Fels in der Brandung.
Doch dieses flaue Gefühl im Magen und sein krampfendes Herz konnte nicht mal Julian kurieren. Kai fühlte sich schrecklich. Vielleicht würde er jetzt endlich mal herausfinden, was Liebeskummer bedeutete. Da war er ja ein ziemlicher Spätzünder.

Bis zum Elfmeterpunkt | BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt