S I E B E N

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Die Sommerpause war Kais persönlicher Garten Eden. Denn er musste weder Sam noch Mitch sehen und lief auch nicht Gefahr, Julian auf dem Spielfeld zu treffen.
Erst hatte er ein wenig Angst gehabt, dass ihr Trainer sie nach dem Wochenende noch einmal sehen wollte, bevor er sie in den Urlaub entließ. Doch er hatte ihnen nur eine Nachricht geschrieben, dass sie den neuen Trainingsplan per Mail bekommen würden und bis dahin ihre freie Zeit genießen sollten.
Kai genoss die Zeit, die er für sich hatte. Er besuchte seine Familie und seine Esel, traf sich mit Freunden, die er noch aus der Heimat kannte und spielte manchmal bis spät in die Nacht Fortnite. Alles war super. Fast eine Woche schaffte er es, nicht eine Sekunde an Nadine, Fußball, Julian oder diese Sache denken zu müssen.
Doch dann kam Freitag und sein Handy-Kalender erinnerte ihn feuchtfröhlich daran, dass morgen Jannis' große Feier steigen würde. In Julians Wohnung. Mit Julian und Sam und Mitch und noch einer Handvoll anderer Leute, die er im Moment irgendwie nicht sehen wollte.
Kurz dachte er darüber nach, aber absagen traute er sich dann doch nicht. Einen Tag vorher konnte er das nicht bringen! Außerdem konnte Jannis nichts dafür, dass es mit Julian gerade schwierig war. Es folgte ein kurzer Schweißausbruch. Und wenn Jannis Bescheid wusste? Doch Kai schüttelte den Gedanken gleich wieder ab. Er hatte vier Tage gebraucht, um sich nicht mehr schrecklich zu fühlen. Er wollte auf keinen Fall zu dem Gemütszustand von letzter Woche zurückkehren.
Aber alleine wollte er auch nicht zu Jannis' Feier auftauchen. Er wusste nicht wirklich warum. Vermutlich aus Angst. In letzter Zeit hatte er vor Allem und Jedem Angst. Am meisten vor Gesprächen. Selbst vor seinen Eltern war er geflüchtet, als die ihn über Leverkusen und Julian ausfragen wollten. Sie mochten ihn sehr, manchmal war es schon beängstigend wie sehr. Gerade jetzt. Als seine Mutter ihn gefragt hatte, wie es Julian ging, hätte er ihr am liebsten alles erzählt. Weil er wollte, dass sie nie wieder nach ihm fragte und es ihn gleichzeitig auffraß, dass er mit niemandem darüber reden konnte. Doch stattdessen war er ihr ausgewichen und zu seinen Eseln gefahren.
Denen hatte er alles erzählt. Er kam sich ein bisschen verrückt vor, weil er fast eine Stunde lang mit Tieren geredet hatte. Doch danach hatte er sich besser gefühlt. Viel, viel besser. Endlich auszusprechen was ihn bedrückte, war wie ein Befreiungsschlag.
So kam er auch über die Sache mit Nadine hinweg. Und er versteifte sich darauf, dass ihm das mit jeder passieren konnte und er deswegen die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Es hatte halt einfach nicht gepasst, punkt. Er war nicht in ihrer Lage. Denn Freundschaften zwischen Mann und Frau funktionierten einfach nicht, fand Kai. So etwas endete immer damit, dass der eine sich in den anderen verliebte und danach gab es eine ganze Menge Herzschmerz.
Die Sache zwischen Julian und ihm war eine ganz andere und auch ein wenig komplizierter, wenn man die Umstände bedachte. Man konnte das einfach nicht miteinander vergleichen. Und deswegen deinstallierte Kai Tinder nicht. Aber nach einem Mädchen suchen tat er auch nicht. Er wollte dem sich finden lassen noch eine Chance geben. Eigentlich war er nur zu feige, sich wirklich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er Nadine die Chance geben wollte, seine Freundin zu werden, weil er noch nicht wusste ob er ihr wirklich vertrauen konnte. Aber außer ihr, fiel ihm niemanden ein, den er hätte zu Jannis Party mitbringen können. Also rief er sie an.
Nadine klang ziemlich nervös, als sie dieses fragende »Hallo?« in die Leitung hauchte.
Kai fühlte sich beinahe ein wenig schlecht. Weil sie anscheinend wirklich dachte, er hätte Gefühle für sie und sie nun ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie nicht gleich ehrlich zu ihm gewesen war. Dieses Missverständnis wollte er als erstes ausräumen.
»Hi«, sagte er und klang genauso unbeschwert, wie er sich fühlte. »Wie geht's?«
Smalltalk, die unverfänglichste Art und Weise, um Gespräche zu beginnen.
Für einen Moment war es mucksmäuschenstill in der Leitung, bis Nadine sich räusperte und antwortete: »Ganz gut und dir?«
»Super.«
»Schön.«
Stille.
Kai wusste nicht, ob er gleich mit der Tür ins Haus fallen sollte. Irgendwie fühlte sich das nicht richtig an. Und irgendwie wollte er viel lieber wissen, ob sie mit Ihrem Dilemma schon einen Schritt weiter war, als er selbst mit seinem.
»Hast du schon mit deinem Freund geredet?«
»Nein, ich hab' mich noch nicht getraut. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll«, antwortete Nadine zögerlich, aber ehrlich.
Kai atmete schwer aus. Jetzt wollte er auch mal ehrlich sein. »Weißt du«, begann er und verließ seinen Balkon, auf dem er ein wenig die Sonne genossen hatte. »Ich war auch nicht ganz ehrlich zu dir.«
»Ach nein?«, hakte sie neugierig nach.
»Nein.« - Kai atmete tief durch - »Ich bin auch in jemanden verknallt, in den ich nicht verknallt sein will... denke ich zu mindestens. Das macht nämlich alles scheiße kompliziert und eigentlich sind wird Freunde. Und ich weiß ganz sicher, dass etwas Anderes als Freundschaft nicht funktionieren würde. Ich will es gar nicht ausprobieren, denn wenn es nicht klappt, dann sind wir danach auch keine Freunde mehr. Und ich will diese Person nicht verlieren! Ich kann's nicht ...« - seine Stimme wurde immer höher, klang immer spitzer und verzweifelter.
Nadine wollte nicht lachen und ihn schon gar nicht auslachen, aber alle Bemühungen halfen nichts. Es dauerte nur ein paar Sekunden, nach denen Kai fertig war und sie brach in lautes Gelächter aus. Am Telefon klang ihr Lachen so schrill, dass Kai beinahe das Trommelfell platzte. Vorsichtshalber nahm er das Handy ein paar Zentimeter weiter von seinem Ohr weg und starrte es beleidigt an.
»Hör auf mich auszulachen!«, zischte er ins Mikrofon.
Mit Nadine fühlte sich plötzlich alles seltsam vertraut an, als würde er sie schon ewig kennen. Vielleicht war das so, weil sie beide in einer ähnlichen Situation steckten. Sie könnten sich gegenseitig helfen, über diese blöden Gefühle hinwegzukommen. Denn beide machten nicht den Eindruck, als wollten sie etwas erreichen, dass über Freundschaft hinausging. Und Nadine ähnelte Julian in ihrer Art und Weise so sehr, dass es Kai schwerfiel sie nicht zu mögen.
Nadines Lachen verstummte. »Ich lach' dich nicht aus! Ich find's nur lustig, dass ausgerechnet wir
beide uns genau jetzt über Tinder kennengelernt haben. Zufälle gibt's«, sagte sie und kicherte danach leise.
Jetzt lächelte auch Kai. Sie dachte genau das gleiche wie er.
»Was hast du morgen vor?«
»Noch nichts, aber ich schätze, das wird sich gleich ändern, oder?«
»Also morgen steigt 'nee Geburtstagsparty für Julians Bruder. Ich dachte, du willst vielleicht mitkommen?«
»Das fällt dir ja früh ein«, entgegnete Nadine missgünstig. »Ich hab' nicht mal ein Geschenk!«
»Das wird Jannis nicht jucken. Echt nicht, der ist da nicht so. Aber ich will da nicht alleine hingehen!«, jammerte Kai.
»Wieso?« - Nadine runzelte am anderen Ende der Leitung die Stirn - »Ich dachte, dass wären deine Freunde und Mannschaftskollegen?«
Kai könnte ihr sagen, dass es bei der Person, von der er gesprochen hatte, um einen Mann ging. Und dass dieser Mann Julian ist. Nadine würde seine Beweggründe dann bestimmt verstehen.
Aber stattdessen sagte er: »Da sind so viele Leute und die Jungs bringen alle ihre Freundinnen mit. Ich will nicht alleine herumstehen!«
Und Nadine ließ sich breitschlagen und stimmte zu, ihn morgen zu begleiten. Sie erzählten sich noch kurz von ihrer Woche, dann legte Nadine auf, weil sie noch zu ihren Eltern fahren wollte.

Kai wartete noch ein paar Stunden, bevor er Jannis anschrieb und fragte, ob es in Ordnung war, wenn er noch jemanden mitbrachte. Vielleicht hätte er fragen sollen, bevor er Nadine einlud, schoss es ihm durch den Kopf, als er auf eine Antwort wartete. Und Kai hoffte, dass Jannis ihm nicht sagte, er solle Julian fragen. Immerhin feierten sie ja in seiner Wohnung.
Jannis antwortete und schaffte es, Kai damit auch gleich ein schlechtes Gewissen einzureden. Denn er schrieb: Juli ist einverstanden.
Kai fühlte sich schuldig. Ihm wurde klar, dass er Nadine für morgen nur eingeladen hatte, um nicht mit Julian reden zu müssen. So konnte er sich sogar vorm nervigen Smalltalk verstecken. Er hätte doch absagen sollen. Dann würde er sich jetzt vielleicht nicht ganz so beschissen fühlen.



Bis zum Elfmeterpunkt | BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt