Iced Fire

_-9-_ Vorboten für die Reise

Als wir losfuhren, herrschte unbehagliche Stille. Unruhig rutschte ich auf dem Sitz hin und her. Mair hingegen schien kurz davor, einzuschlafen, während Evelyn die Landkarte eingehend studierte.

Ich wünschte, ich hätte etwas zu tun. Irgendetwas, damit ich mich ablenken konnte. Denn so hatte ich Zeit nachzudenken und das wollte ich nicht. Das, was wir hier taten, war komplett verrückt. Eine Reise nach Mytandial. Ich lachte laut auf. Zwar war ich abenteuerlustig, aber hätte mir jemand vor zwei Monaten gesagt, dass ich in einer Kutsche mit Evelyn, Mair und Charles dorthin fahren würde, um einen Mann zu finden, der meine einzige Rettung ist, hätte ich dieser Person nur ins Gesicht gelacht. Auch jetzt kann ich es nicht wirklich glauben.

Evelyn schaute plötzlich auf und durchbohrte mich förmlich mit ihrem Blick. Bevor sie etwas sagte, löste sie ihr Haarband und fuhr sich durch ihre Haare. Ein ungewöhnlicher Anblick. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich Evelyn noch nie mit offenen Haaren gesehen. Und das sollte sie definitiv mal öfter machen, da sie so wirklich hübsch aussah.

Bissig meinte sie: „Da du offensichtlich nichts anderes zu tun hast, als hier rumzuhampeln, könntest du mir helfen und nach einem schnelleren Weg nach Niverland suchen."

Ich überging ihren Tonfall, konnte es aber nicht lassen die Augen zu verdrehen. Natürlich wusste ich, dass sie mir nur helfen wollte, aber ich kam mit ihrer bestimmenden Art nicht klar.
Seufzend nahm ich ihr dann aber doch die Karte ab und fragte: „Und wie genau soll ich das anstellen? Die Mauern grenzen fast ganz Calura ein."

Evelyn bedachte mich mit einem Dein-Ernst-Blick und schaute demonstrativ weg.
Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar. Schließlich war es durchaus von Vorteil, wenn wir einen schnelleren Weg finden würden. Sonst könnte es passieren, dass ich sterbe, bevor wir in Mytandial ankämen. Allein daran zu denken, verursachte bei mir eine Gänsehaut.

Unwillig schaute ich mir die Karte näher an. So genau hatte ich mich nie mit der Umgebung von Calura beschäftigt. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, wenn ich in Geländekunde damals besser aufgepasst hätte, aber um ehrlich zu sein, war ich auch nicht die Einzige, die dort immer geschlafen hatte.

Als ich auf die Seite von Mytandial blickte, schossen auf einmal die Erinnerungen an den Traum wie Blitze vor meinem inneren Auge vorbei. Lucian. Ich hatte nie von ihm gehört, aber ich war mir sehr sicher, dass er derjenige war, den ich suchte. Es sei denn, seine ganze Erscheinung war nur eine Fantasie meines Unterbewusstseins. Aber irgendwie wusste ich, dass er es war. Sein Gesicht schien sich in mein Gedächtnis eingebrannt zu haben. Wie er da im Nebel stand und ich versucht hatte, ihn zu erreichen, ich aber keinen Schritt weiterkam. Wie seine lockigen braunen Haare ihm in die Stirn fielen und es ihn nicht kümmerte. Wie seine grünen Augen mich fixiert hatten. Man konnte ihn ohne Umschweife als gutaussehend beschreiben. Jemand wie er war mir noch nie untergekommen.
Und er ist dir auch nicht untergekommen.

Die leise Stimme in meinem Kopf holte mich zurück in die Wirklichkeit. Dieser Traum war so real gewesen, dass ich eine Gänsehaut bekam. Schnell schüttelte ich den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Daran sollte ich momentan nicht denken.

Ich atmete tief durch und versuchte mich auf die Karte zu konzentrieren, aber meine Gedanken spielten da nicht mit. Immer wieder sah ich ihn vor meinen Augen, immer wieder hörte ich seine Stimme, wie er meinen Namen rief. Es war, als wollte er nicht, dass ich mir die Karte anschaute.

„Saphira!" Erschrocken fuhr ich hoch und hatte wieder einmal Evelyn vor mir, die mich entzürnt beobachtete. „Du kannst anscheinend nicht die nötige Konzentration aufbringen-"
Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Es kam mir vor, als hätte sie meine Gedanken gelesen, wobei das kompletter Unsinn war.