Kapitel 2

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9. September, Freitag

Die Woche verging recht schnell. Es standen einige Klausuren an, aber da ich gut vorbereitet war gab es keine Probleme. Ich bin gut in der Schule. Schließlich möchte ich viel erreichen. Und dafür brauche ich nun mal gute Noten. Zu Hause angekommen höre ich den Fernseher im Wohnzimmer laufen, weshalb ich direkt in mein Zimmer laufe. Ich nehme mir meine etwas größere Tasche und stelle mich vor meinen Schrank. Die quietschende Türe öffne ich augenverdrehend und setze mich auf den Boden. Als ich die unteren beiden Regale in die Tasche gepackt habe, ist diese leider schon rappelvoll. Aber das ist kein Problem, ich habe ja noch etwas Zeit. Nachdem ich die Tasche geschlossen habe, latsche ich in die Küche und sehe nach ob es etwas zu essen gibt. Natürlich nicht! Angesäuert laufe ich ins Wohnzimmer und sehe meinen Vater und seine Frau wie sie auf dem Sofa liegen und fernsehen. Bei dem Anblick spannt sich automatisch mein Kiefer an. Da müsste meine Mutter liegen! Nicht sie! Den Gedanken versuche ich zu verdrängen. „Habt ihr vor zu essen oder wollt ihr verhungern?", frage ich als wäre es das normalste der Welt. Mein Vater blickt kurz zu mir, seine Frau zu ihm. „Bestell' eine Pizza für uns alle", sagt er und drückt auf der Fernbedienung rum. Resigniert seufze ich, nehme mein Handy zur Hand und bestelle eine große Pizza. Es würde ein wenig dauern teilt mir der Mann am Telefon mit, weshalb ich auch noch ein paar Sachen in meinen Rucksack packe. Als dieser auch voll wird setze ich mich auf mein Bett und gehe auf Instagram. Nach einer kurzen Zeit höre ich auf rumzuscrollen und laufe wieder ins Wohnzimmer. „Geld?", gebe ich gefühlsarm von mir und warte auf eine Antwort. Die Pizza bezahlt sich ja nicht von allein. „In dem Schrank unten rechts", sagt er und deutet mir seinem Kopf auf den gemeinten Schrank. Ich laufe hin und suche das Geld, doch vergebens. Genervt drehe ich mich um. „Hier ist nichts." Er reagiert keineswegs. „Hallo?", frage ich nun etwas lauter. Diese Ignoranz macht mich irre. Wenn hier jemand ignoriert wird, dann sind es die beiden. Und das von mir! Er seufzt und guckt mich an. „Dann musst du dieses Mal zahlen Yade", sagt er und widmet sich wieder dem Fernseher. Warte- Was? Habe ich das gerade richtig gehört? Er weiss ganz genau, dass ich wenig bis gar kein Geld besitze! Dass er sein Geld nicht unter Kontrolle hat ist eine andere Sache, selber Schuld. Seine Frau verkneift sich das Lachen und pikst ihm in die Seite. Das macht mich doppelt so aggressiv, weshalb ich nicht ruhig bleiben kann. „Ist das dein verdammter ernst?", schreie ich laut und laufe ein paar Schritte auf ihn zu. „Jetzt soll ich auch noch euer Essen zahlen? Du machst rein gar nichts was ein eigentlicher Vater machen sollte, tu wenigstens eins und sorg für Essen!" Ich merke wie er sich anspannt und aufsetzt. Es geht mir nicht ums Geld, sondern einfach um sein ekelerregendes Verhalten. „Du wolltest etwas zu essen.", argumentiert er schwach. „Es ist selbstverständlich Abend zu essen!", schreie ich nochmal mit geöffneten Armen.  „Schrei nicht!", gibt er mit warnenden Blicken von sich. „Ich schreie wie ich will! Ich zahle bestimmt nicht dein Essen und erst recht nicht das deiner dummen Frau!", schreie ich erneut und werde immer lauter. Das war der Auslöser dafür, dass er auf den Tisch haut und aufsteht. „Nenn sie nicht so!", brüllt er während er auf mich zuläuft. Eine Angst macht sich in mir breit, unwillkürlich kommen alte Gefühle hoch. Nicht schreien! Keine Angst, keine Angst. Er kann mir nichts. Ich schlucke und versuche nicht schwach auszusehen. Meine beiden Daumen verschränke ich miteinander und lege die Finger meiner linken Hand auf die der rechten. Genau so wie früher bei Angstzuständen. Ich hoffe er bemerkt meinen schnellen Atem nicht. Schnell realisiere ich wieder was er gesagt hat. „Tue ich aber! Du stellst eine fremde Frau über deine eigene Tochter.", stelle ich zum gefühlt tausendsten Mal fest und lache ironisch auf. Eine Träne verlässt mein Auge, was mich noch mehr nervt. Ich muss ja immer aus Wut und Angst heulen! Meine Hände löse ich voneinander und wische meine Träne weg. „Sie ist keine fremde Frau, sondern wie deine Mu-" „WAGE ES NICHT!", brülle ich mit meiner ganzen Kraft und strecke meine Hand aus. Bei dem Wort reißt mein Geduldsfaden endgültig. „NIEMALS! HAST DU VERSTANDEN? NIEMALS!", schreie ich schweratmend aber mit aller Kraft. Finster sehe ich beide an. Irgendwie verletzt das mich, dass er meine Mutter komplett vergisst und sie sogar ersetzen will. Sowas lasse ich niemals zu. Nur über meine Leiche. Sie ist die Mutter ihres mindestens genau so dummen Kindes, nicht meine. Seine Frau steht hinter ihm und zieht ihn leicht am Arm zurück, auch wenn er sich nicht vom Fleck rührt. Er sieht mich verwundert an. „Weder ist sie eine Mutter-", stocke ich kurz und zeige auf sie. „Noch du ein Vater für mich!", zische ich und spüre kurz darauf wie seine Hand zu meiner Wange schnellt. Seine Frau zieht ihn nun aus Reflex stärker zurück. Aua, das tat weh. Schnell halte ich meine Wange, in der Hoffnung, dass der ziehende Schmerz schneller vergeht. „Rede anständig! Hast du mich verstanden!", ruft er. Immer noch sehe ich zur Seite und ändere meine Position nicht. Ich schließe meine Augen, weshalb mehrere Tränen über meine Wange runterlaufen. Wo bist du Anne? Wenn ich dich brauche? Es klingelt an der Türe. Ich bewege mich immer noch nicht. Er sieht sich um und schickt seine Frau hin. Ich erhebe mich und sehe ihn eiskalt an. „Ich hasse dich", flüstere ich und laufe in mein Zimmer. Ich schließe die Türe und bleibe stehen. Tief ein- und ausatmen. Mit der Tasche in der einen und dem Rucksack in der anderen Hand verlasse ich das Zimmer, dann die Wohnung. Ich möchte einfach nur weg. Weg von der Wohnung, Weg von den Sorgen. Weg von den beiden Personen. Ich komme an dem Spielplatz in der Nähe an und hocke mich auf die Bank. Meine Atmung ist sehr schnell. Meine Taschen lege ich ab und verdecke mein Gesicht mit meinen Händen. Ungewollt fange ich an zu schluchzen und zu weinen. Ich verlange wirklich nicht viel, gar nicht. Das einzige was ich will ist Seelenfrieden - ist das zu viel verlangt?

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt