Kapitel 8

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12. Dezember, Dienstag

Es ist nun eine Weile her seit dem Vorfall mit Kenan. Wir gehen uns aus dem Weg und versuchen so wenig wie möglich zu interagieren. Anfangs haben wir gegenseitig herum gestichelt, aber jetzt hängt Kenan mit anderen ab. Ich sehe ihn nur wenn ich bei Ayaz bin, wir lernen seit neustem zusammen. Deshalb sind wir seltener beieinander und es kommt zu keinen Streitereien. Naja, irrelevant. Heute versammeln wir uns bei Dilan. Sie hat uns und Ayaz eingeladen. Ob Kenan kommt weiß ich nicht. Meine graue Nike Jogginghose und den passenden Pullover habe ich bereits an und muss auf Ipek warten. „Beeil dich Ipek!" Sie gibt mir zwar ein Okay, doch es tut sich nichts. Nach zehn Minuten tretet sie aus dem Bad und zieht sich ihre Jacke rüber. Unschuldig lächelt sie, während ich genervt schaue und auch in meine Schuhe schlüpfe. „Darf ich deine Boots anziehen?", fragt sie in Babystimme, was ich zum Kotzen finde. Angewidert nicke ich und laufe vor. Wir haben erst achtzehn Uhr, doch die Schwärze der Dunkelheit schaut wie Mitternacht aus. Ipek schließt unsere Wohnungstür, weshalb kein Licht mehr im Treppenhaus vorhanden ist. Leichte Panik macht sich in mir breit. Dass ich Angst im dunkeln habe ist kein Geheimnis. „Ipek mach das Licht an!", gebe ich beängstigt und sauer von mir. Vorsichtig laufe ich die Treppen herunter und taste mich überall ab. „Ipek bitte!", flehe ich. Es ist mir sehr unangenehm, eine große Angst macht sich in mir breit. Es fühlt sich so an, als würde jeden Moment etwas passieren. Wieder kommen alte Gedanken, wie ich eingesperrt im Dunkeln war hoch. Doch diese verdränge ich indem ich ein Lied summe und nach Ipek schreie. Ist sie dumm? Oder taub? „BUH!" Ich schrecke auf und schlage Ipek, mal wieder, aus Reflex. Mein Herz rast, meine Angst platzt und schwebt in meinem ganzen Körper. Sie knipst das Licht an und lacht immer noch. Ich halte mir an meine linke Brust und setze mich auf die Stufen. Nicht an die alten Zeiten denken, nicht an die alten Zeiten denken. Ich versuche so ruhig es geht zu atmen, doch das geht leider schwer. Ipek hört ruckartig auf zu lachen und kniet sich zu mir. „Yade? Ist alles gut?" Besorgt schauen mich ihre dunklen Augen an. „Mach das nie wieder.", gebe ich atemlos von mir und versuche mich zu raffen. Sie nickt schuldig und hilft mir auf, um dann ins Auto zu steigen. „Ich wusste nicht, dass du so empfindlich reagierst. Tut mir leid." Schuldgefühle machen sich in Ipek breit. Ich zucke kurz mit beiden Mundwinkeln, dann fährt Ipek schon los. Angekommen sind Ayaz und Kenan schon da. „Meine beste Freundin ist da!", kreischt Ayaz und umarmt mich. Beste Freundin? Etwas überrumpelt erwidere ich seine Umarmung. Ein Lächeln entkommt mir, da ich die Betitelung schön finde. Währenddessen sieht mich Kenan gelangweilt an. Nach der Umarmung begrüße ich die Mädels und setze mich dann auf die Couch. „Sooo was machen wir schönes?" Ipek reibt ihre Hände zusammen und wartet ungeduldig auf unsere Rückmeldungen. „Ich hab' hunger.", äußere ich mich. „Dann können wir ja kochen.", schlägt Laura vor. Ayaz sieht flüchtig zu Kenan, was mir keinesfalls entkommt. Kenan sieht nach links und seufzt leise aus. Gedankentrunken sieht er auf einen Punkt. Ob er an das Geschehnis denkt? Oder an den Grund wieso er von niemand anderen isst? Auch wenn mich das eigentlich brennend interessiert, frage ich natürlich nicht nach. „Wir sollten lieber etwas bestellen.", sage ich und sehe zu Kenan. Er hebt seinen Blick und schaut nachdenklich zu mir. Schnell wende ich meinen Blick ab und sehe dann zu Ayaz. Er nickt freudig. „Ja! Pizza?", will er wissen. Alle stimmen ein, somit wird die Pizza bestellt. Also isst Kenan von draußen? Komischer Typ. Wo ist der Unterschied? Ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf eine Streiterei oder Ähnliches. Wir machen uns einen schönen Abend, also soll jeder zufrieden sein. Auch wenn Kenan diese nette Geste nicht verdient hat und höchstwahrscheinlich auch nicht schätzen wird. Ich habe es aber mehr für mich als für ihn getan, um Stress zu vermeiden. „Was wollt ihr dazu trinken?", will Ayaz wissen um die Bestellung abzuschließen. „Ich will Fanta Exotic", antworte ich schnell. Die meisten anderen möchten Cola, Kenan möchte Sprite. Ayaz schickt die Bestellung über sein Handy ab, verlangt davor die Adresse von Dilan. „Wie habt ihr euch kennengelernt?", will Ayaz wissen und setzt sich neben mich. Er meint Ipek und die anderen Mädels. Alle drei erzählen ihre eigenen Sichten, während wir zuhören. Besser gesagt hören nur Ayaz und ich zu, da Kenan auf seinem Handy rumtippt. „Und dann haben wir Yade kennengelernt, aber sie war anfangs sehr zurückhaltend und hat kaum mit uns geredet.", sagt Laura. Alle blicken mich an, was mir unangenehm ist. „War nichts persönliches", lasse ich sie wissen. „Weisst du wie wir uns kennengelernt haben?", setzt nun Ayaz an. Dilan und Laura verneinen, während Ipek nickt. Ayaz erzählt mit voller Euphorie unser Aufeinandertreffen. Dass ich ihn beschützt und ihm geholfen habe lässt er natürlich nicht aus. „Und ab dem Moment an wusste ich, dass wir gute Freunde werden.", sagt er und legt einen Arm um mich. Ich sehe beschämt in die Runde. Diesmal hat Kenan wohl zugehört, weil sein Handy auf dem Sofa neben ihm liegt. Er sieht mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an und mustert mich. Wie als wäre er in einem Museum und würde sich Ausstellungsstücke anschauen, so sieht er mich an. Mitten im Gespräch klingelt mein Handy, woraufhin ich mich erhebe und mit Erlaubnis von Dilan in die Küche laufe. Oma ruft an, wer denn auch sonst.

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt