Kapitel 13

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Stumm sitzen wir in Kenans Auto und fahren Richtung Aussicht. Meine Haare habe ich davor geföhnt. Es ist schließlich kalt und ich möchte nicht krank werden. Er redet nicht, ich rede nicht. Diese Stille ist alles andere als unangenehm. Das ist mir gerade viel lieber als zu reden. Die Autofahrt vergeht still, bis wir ankommen. Kenan steigt aus und öffnet auch meine Tür. Ein kleines „Danke." kriege ich noch raus. Wir laufen auf die Bank zu und setzen uns hin. Es herrscht eine kühle Brise, die aber sehr gut tut. Ich schließe meine Augen und lasse den Wind gegen mein Gesicht klatschen. Tief muss ich ein- und ausatmen. „Wie habt ihr mich gehört?", kommt es schwach von mir. Die Frage konnte ich vor lauter Schock gar nicht stellen. Kenan dreht sich zu mir, weshalb ich seinen Duft in meine Nase bekomme. Heimlich atme ich diesen in vollen Zügen ein. Meine Augen sind immer noch zu. „Ich hab Ipek an der Bar getroffen und sie hat nach dir gefragt. Weil da sowieso viele Hurensöhne waren, wollte ich dich lieber finden." Ich muss wieder an das Geschehnis denken und spüre, wie mir die Tränen aufkommen. Dafür schließe ich so fest meine Augen, damit diese nicht aus meinen Augen kommen. Ich nicke, damit Kenan weiter erzählt. Kenan räuspert sich kurz. „Dann habe ich die Jungs gefragt, weil sie euch im Auge behalten sollten." Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Warum? Als würde Kenan meine Gedanken lesen können, antwortet er mir. „Damit euch nichts zustößt." Ich nicke nur mit geschlossenen Augen. „Dann meinte Deniz, dass er dich hochlaufen gesehen hat. Ich habe mir Ayaz geschnappt, er wusste nicht einmal was abging." Ein kurzes lächeln kann ich mir nicht verkneifen, weil Ayaz einfach so verpeilt ist. „Er lief mir hinterher, bis ich dich hörte." Wieder muss ich an meine Schreie denken. „Ayaz, Kenan.", flüstere ich. Eine Träne schafft es aus meinem rechten Auge und kullert herab. „Ayaz, Kenan.", wiederholt Kenan. „Ich hab sofort auf die Tür gezeigt und Ayaz angeschrien da rein zu stürmen." Ich nicke. „Danke." Es kommt nichts seinerseits. „Weißt du, was ich mich frage?", gebe ich sehr leise von mir. „Frag dich nicht.", flüstert mir Kenan zu. Er weiß, was in meinem Kopf schwirrt. Meine Miene verzieht sich, denn ich muss weinen und kann es nicht mehr zurückhalten. Meine Augen öffne ich trotzdem nicht. Meine Lippen sind aufeinander gepresst. Ich will nicht sehen, wie mich Kenan ansieht und dass er mich überhaupt in diesem Zustand sieht. Ein kurzer Schluchzer verlässt meinen Mund. Kenan rückt näher und zieht mich in seine Arme. „Sssht.", versucht er mich zu beruhigen. „Was wäre passiert? Wenn du mich nicht gehört hättest?", spreche ich meine Frage weinend aus. Seinen Kopf stützt er auf meinen und streichelt meine Haare. „Ich habe dich aber gehört. Ich habe gespürt, dass etwas nicht stimmt.", sagt er rau. Ich weine vor mich hin und lasse alles raus. „Sie hat es gesehen Kenan.", flüstere ich. Mein Herz bricht bei diesem Gedanken. Ich kann nicht anders, als noch mehr zu weinen. Ich kriege schwer Luft. Es tut mir leid Anne. „Langsam ein- und ausatmen!", kommt es besorgt von Kenan. Ich versuche zu tun was er sagt. Meine Hände zittern. „Wer hat es gesehen?", fragt er und nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände. Meine Augen sind immer noch zu. Ich schüttele nur meinen Kopf. Er wischt mir meine Tränen von den Wangen und wartet. Dadurch, dass ich meine Augen zu habe, denke ich, dass er mich nicht sieht. So kindisch es sich auch anhört, ist das mein Schutz. Mein Weinen versuche ich einzustellen, doch es funktioniert nicht. „Lass es raus.", höre ich wieder Kenans warme Stimme. Ich lasse mir das nicht zweimal sagen, deshalb falle ich in ein schluchzendes Geweine. Mein Herz schmerzt, ich kann nicht mehr. Ich halte mir an meine Brust und weine weiter. Dieses bedrückte Gefühl, dieser Schock, diese Wahrnehmung, alles ist mir zu viel. Kenan streicht mir über meine Haare und umarmt mich noch einmal. Ich weine auf seiner Brust und es tut mir gut. „Ich bin da.", flüstert er. Ich versuche mich langsam zu beruhigen, doch meine Tränen nehmen kein Ende. Beruhigen Yade! Langsam ziehe ich mich zurück und öffne meine brennenden Augen. Kenan mustert mein Gesicht und ich sehe Besorgnis in seinen Augen. Seine Augenbrauen sind leicht hochgezogen und sein Mund ein kleines Stückchen auf. „Ich habe mir geschworen, dass mich niemand mehr schlagen, geschweige denn anfassen kann.", gebe ich monoton von mir. Meine Tränen fließen stumm weiter. Kenan versteht wohl nicht so ganz, das merke ich an seinem Blick. „Wer hat dich angefasst und geschlagen?", fragt er leicht schockiert, dennoch leise. Ich muss lachen. Das ist ein ironisches lachen. Kenan mustert weiterhin meine Gesichtszüge. Ich umgehe seine Frage. „Und weißt du, ich wurde hier schon zwei Mal geschlagen und angefasst. Gegen meinen Willen!", zische ich am Ende. „Deine Geliebte Melissa und Said." Sein Blick fällt bei meinen Worten. Ich nicke nur hastig. „Ja, da warst du auch bei mir, weißt du noch?", frage ich und wische meine Tränen weg. „Sie hat mich auch angefasst, gegen meinen Willen!" Ich werde sauer. Die Wut brodelt in mir. „Niemand, ich habe mir geschworen, niemand!", schreie ich. „Niemand darf mich schlagen oder anfassen." Meine Stimme bricht am Ende, ich muss wieder weinen. Laut weine ich und lege meine Hände auf mein Gesicht. „Niemand.", flüstere ich. Es fühlt sich so an, als hätte ich versagt. Ich bin enttäuscht von mir selber. Mein Weinen wird so hysterisch, dass meine Hände noch stärker zittern. Meine ganze Vergangenheit kommt hoch, meine Traumata und das jetzige Geschehnis. Es reicht! Ich stehe auf und laufe wieder an die selbe Stelle wie beim letzten Mal. Ich stehe wieder sehr nah an der Klippe. „Yade!", gibt Kenan warnend von sich und läuft mir hinterher. „Nicht näher treten.", befiehlt er. Ich bleibe stehen und sehe mir die leuchtende Stadt an. Ich zittere und mir wird sogar schon übel vom Weinen. Ich schließe wieder meine Augen und lasse alles Revue passieren. Stumm weine ich vor mich hin. „Lass es raus." Kenan ermutigt mich mit seinen Worten. Er will dass ich schreie, aber ich will nur weinen. Langsam schüttele ich den Kopf. „Bin zu kraftlos.", gebe ich ehrlich zu. Kenan kommt näher und legt behutsam seine Hand auf meinen Rücken. „Dann wein'. Schreie, weine, mach das was dir gut tut." Ich schaue auf zu ihm. Beschämt sehe ich aber direkt wieder weg. „Du musst dich nicht schämen. Wir sind unter uns." Wir sind unter uns. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände. Somit bin ich gezwungen in seine Augen zu sehen. „Lass dich endlich frei.", flüstert er. Ich nicke nur halb bei der Sache und löse mich von ihm. Erneut sehe ich auf die Stadt hinab und muss wieder anfangen zu weinen. Wie viele Tränen kann ich überhaupt noch vergießen? Sind die nicht irgendwann aufgebraucht oder so? Meine Augen brennen wie Feuer, weshalb ich sie ab und zu schließe. Ehrlich gesagt will ich einiges schreien. Vielleicht hat Kenan recht. Vielleicht wird der Wind all meine Sorgen mit sich nehmen? In mir lebt eine gewisse Hoffnung, dass mich meine Mutter hört, wenn ich schreie. Aber ich bin nicht alleine. Kenan steht nur wenige Zentimeter neben mir. „Denkst du, dass der Wind irgendwann sauer auf mich sein wird?" Kenan versteht nicht ganz. Ich drehe mich nun mit meinem Körper zu ihm. Sein Blick zeigt eine leichte Verwirrung. „Ich habe Angst davor, dass der Wind eines Tages sauer wird und meine Geheimnisse den Wolken erzählt." Der Wind sollte ein Synonym für Kenan sein. Er ist mit dem Wind gemeint. Kenan versteht langsam und schließt kurz die Augen. Ich nehme ein kurzes Aufatmen seinerseits wahr. „Dann wird es nämlich regnen und stürmen, wenn nicht sogar donnern. Und ich stehe dann alleine zwischen Wind und Regen. In meiner schwächsten Form." Ich hoffe das war ausdrücklich genug. Nervös sehe ich zu Kenan und hoffe auf eine Antwort. „Das wird niemals passieren." Er hat verstanden. Er hat mir indirekt gesagt, dass er alles für sich behält. Ein erleichterndes Gefühl überkommt mich. „Der Wind würde höchstens die Sonne für dich herholen." Sein durchdringender Blick haftet auf meinen Augen. Er wirkt konzentriert. Eine Gänsehaut schmückt meinen Körper. Er würde für mich die Sonne herholen. Also nur schöne Dinge, niemanden etwas erzählen. Irgendwie ist ein gewisses Stück Vertrauen nun in mir. Soll ich es wirklich riskieren? Dass Kenan meine tiefsten Gedanken kennt? Ich kehre wieder meinen Körper zur Aussicht. Meine Augen schließe ich. Das brennende Gefühl meiner Augen lässt nicht nach. „Es tut mir leid!", brülle ich. Es tut mir leid Anne. Der Gedanke, dass meine Mutter alles mit ansieht belastet mich. Wieder füllen sich meine Augen mit Tränen, welche ihren Lauf nehmen. „Es tut mir leid Anne!", schreie ich mit aller Kraft.  Kenan sieht auf den Boden. Mir wird wieder klar, dass ich nur zwei Schritte von ihr entfernt bin. Was hält mich auf? „Ich wollte nicht, dass du das alles siehst!", rufe ich verzweifelt. „Ich werde mich schützen, ich verspreche es dir!" Mein Schluchzen wird immer lauter. „Weder mein Erzeuger, noch irgendwer anderes wird mich anfassen oder schlagen!", weine ich. Meine Knie werden weich. Ruckartig werde ich von Kenan zu ihm gedreht und in seine Arme gezogen. „Ich hab' keine Kraft mehr Kenan.", weine ich brüchig in seine Halsbeuge. Es fühlt sich irgendwie verkehrt an, aber gleichzeitig auch so richtig. Er hat meine schwache Seite gesehen. Als einziger. „Du bist nicht allein.",flüstert er in meine Haare. „Ich bin bei dir." Meinerseits kommt nur ein schwaches Nicken. Er ist bei mir. „Komm." Er führt mich zu seinem Auto und lässt mich erst einsteigen. Daraufhin steigt er auch ein und fährt los.

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt