Kapitel 14

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Wie wild versuche ich mich zu lösen, doch Kenan hält meine Oberschenkel viel zu fest. Ich trampele in der Luft und werde immer aggressiver. „Lass mich los! Ich bringe sie um!" Kenan läuft stumm weiter auch wenn alle uns anschauen. Es bekümmert ihn nicht. Wuchtig haue ich auf seinen Rücken, doch er regt sich nicht. Er setzt seinen Gang mit mir auf seiner linken Schulter entspannt fort. „Hör auf.", kommt gelassen von ihm. „Hör du auf mich zu tragen!" Ich haue weitere fünf Male auf seinen Rücken, doch es tut sich nichts. „Yade?", höre ich eine weibliche Stimme rufen. Ich hebe meinen Kopf und sehe in Ipeks schockiertes Gesicht. Laura und Dilan stehen neben ihr und schauen mich auch wie ein Auto an. „Sag ihm er soll mich los lassen!", bettele ich Ipek um Hilfe. Ipek sieht zwischen uns hin und her. „Was ist los?", fragt Ipek völlig baff. „Sie wollte sich schlagen.", kommt es trocken von Kenan. „Sie hat es verdient!", schreie ich schrill und haue weiterhin auf seinen Rücken. „Was?", gibt Ipek unglaubwürdig von sich. Leider geht Kenan um die Kurve, weshalb ich Ipek nicht mehr sehen kann. „Lass mich los!" Erneut versuche ich mich zu befreien und stütze meine Hände auf seiner Schulter ab. Ich versuche mich in eine gerade Haltung zu bringen, doch der liebe Kenan zieht mir einen Strich durch die Rechnung. Er drückt nämlich meinen Rücken mit seiner linken Hand wieder runter. Trotzdem versuche ich mich zu befreien, habe sogar kurz Angst zu fallen. Deshalb greift Kenan mit seiner linken Hand wieder meine Hüfte, doch trifft mich etwas höher. Fasst er da gerade an meinen Hintern? Tatsächlich! Seine Hand ruht für einen Moment auf meinem Allerwertesten. „Mach sofort deine Hand runter!",kreische ich und schlage hektisch seine Hand weg. Ruckartig lässt er mich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich runter. Instinktiv greife ich mir an meinen Po und schütze diesen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sehe ich zu ihm. Kenan jedoch grinst und schaut auf den Boden. Dieses Arschloch! Grinst er weil er mir an den Po gefasst hat? „Was grinst du so dumm?", frage ich merklich wütend. Er schaut nicht einmal zu mir auf. „Warum berührst du meinen-" Bevor ich meinen Satz beenden kann sieht Kenan in mein Gesicht. Ich schäme mich im Moment zu sehr um den Satz auszusprechen. Mit beiden Mundwinkeln an den Ohren sieht er mich an. Ich habe ihn noch nie so grinsen sehen fällt mir auf. Oh, er hat ein Grübchen. Mein Herz schlägt unerwartet schneller. Als sich meine Mimik nicht verändert wird er etwas ernster. Sein Grinsen nimmt ab. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nur halten, damit du nicht fällst. Es war keine Absicht." Das habe ich tatsächlich nicht erwartet. Meine Augenbrauen lockern sich. Ich sehe nach unten. Es herrscht eine komische Stille. „Wieso hältst du mich davon ab Melissa zu hauen?",frage ich ernsthaft. „Weil ich nicht will, dass du ein Verweis bekommst." Oh. Man! Wieso hat dieser Typ so gute Argumente? Ich streife eine Haarsträhne nach hinten und wende meinen Blick kurz ab. „Deshalb hältst du zu ihr.", nuschele ich vorwurfsvoll. Ich muss auflachen. Und das ironisch. Kenan mustert wieder einmal jede Bewegung von mir und verschränkt seine Arme vor der Brust. „Ich halte nicht zu ihr." Das ist das einzige was er dazu sagt? Eingeschnappt sehe ich ihn an. Er läuft einen Schritt auf mich zu und streift nun die andere Haarseite hinter mein Ohr. „Ich wollte dich beschützen.", wispert er. Mit riesigen Augen blicke ich in sein braun. „Du hättest sie krankenhausreif gehauen, keine Zweifel." Er muss schmunzeln. „Aber niemand darf dich gegen deinen Willen anpacken oder schlagen wenn ich bei dir bin." Mein Herz setzt aus. Ich halte unbewusst den Atem an und sehe mit riesigen Augen zu ihm. „Deshalb habe ich sie von dir gerissen." Seine Stimme ist so rau, aber so beruhigend. „Und nicht dich von ihr." Ich schließe für kurze Zeit meine Augen und genieße es, wie er über meine Haare fährt. Er ist mir gefährlich nah, sein Duft dringt in meine Nase. Ich muss atmen! Ich atme langsam aus und endlich wieder ein. Ich schlucke nur und kann meine Augen nicht aus seinen nehmen. Komm zu dir Yade! Ich rappele mich auf und entferne mich einen Schritt. Kenan nimmt somit seine Hand wieder zu sich und starrt mich an. „Danke.", nuschele ich schnellatmend und laufe einfach an ihm vorbei. Ich muss nämlich weg! Ich rase ohne Jacke, ohne Tasche und ohne Plan raus an die frische Luft. „Fuck!", zische ich, als ich mir an meine hinteren Hosentaschen fasse. Mein Handy ist auch drinnen! Genervt lasse ich mich auf den Stufen nieder und schließe meine Augen. Was war das bitte? Ich habe in den letzten zehn Minuten gefühlt in jedem Gefühlszustand gesteckt. Ipek! Sie muss ich finden! Ich rase durch die Flure der Uni, doch finde keine Ipek. Wild sehe ich um mich herum. Gerade als ich wieder rennen will, laufe ich gegen eine gebaute Person. Ah! Ich halte mir meine Stirn und sehe auf. „Tut mir leid.", sagt er nur und sieht mich abwartend an. Genervt blicke ich in seine blauen Augen. Er hat dunkelblondes Haar, welches er zur Seite frisiert hat. Ich würde sogar sagen, er hat ein Babyface. Irgendwie kindlich. „Mach ein Foto, hält länger." Er grinst schelmisch und beäugt mich weiterhin. „Idiot. Pass das nächste Mal auf!", blaffe ich und laufe an ihm vorbei. Dabei stoße ich bewusst meine Schulter gegen seinen Arm und gehe weiter. „Verstanden, Prinzessin!", ruft er mir ironisch hinterher. Augenverdrehend gehe ich weiter und halte Ausschau nach Ipek. Wo ist dieses Mädchen? Gerade will ich die Hoffnung aufgeben, doch sehe Dilan von weitem auf ihrem Handy rumtippen. Sie sitzt auf der Bank vor einem der Säle. „Dilan!", gebe ich hektisch von mir und rase auf sie zu. Dilan sieht mit großen Augen zu mir. „Wo ist Ipek?", frage ich ungeduldig. „Sie ist in der Vorlesung.", gibt sie etwas betrübt von sich. Mein Blick verändert sich abrupt. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Ist alles gut bei dir?", frage ich nun. Dilan sieht auf ihr Handy und nickt stumm. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und kneife meine Augen. „Sicher?", frage ich mit etwas Skepsis in der Stimme. Dilan wischt sich heimlich über die Wange und nickt, schaut dabei nicht in meine Augen. Ich setze mich neben sie und drehe sie zu mir. „Was bedrückt dich?", frage ich interessiert. Warum es mich interessiert? Weiß ich selber nicht. Ich sehe irgendwie mein altes Ich vor mir sitzen. Ich hatte niemanden zum sprechen. Vielleicht tut es ihr gut? Sie antwortet nicht. „Ich will nicht aufdringlich sein.", fange ich an. „Aber manchmal tut es gut darüber zu reden als einfach zu schweigen. Wenn du die Last teilst, wird sie leichter für dich." Ich sehe hoffnungsvoll in ihre Augen. Kein Mensch sollte leiden. Klar, manche verdienen es, die ausgenommen! Heimlich schiele ich auf ihr Handy und lese irgendwas von Behandlungsmethoden. Dilan sieht mit wässrigen Augen nun in meine. „Meine Mutter.", flüstert sie schon fast. Ich nicke, damit sie weiter spricht. „Sie muss operiert werden. Aber wir haben das Geld nicht dazu.", öffnet sie sich und fängt an zu weinen. Ich weite kurz meine Augen und schlucke. Kein Kind verdient das. Diese Situation erinnert mich wirklich an mich. „Tamam, wir kriegen das Geld zusammen.", sage ich und drücke ihre Hand. Sie schüttelt schnell den Kopf. „Es ist eine große Summe Yade." Vorsichtig blicke ich von ihren Händen zu ihr. „Wie viel?", frage ich zurückhaltend. „100.000 Euro." Meine Augen werden größer. Das ist echt eine Menge Geld. „Was hat sie?", hauche ich schon fast. Mein Herz fühlt sich komisch an. Ich muss ihr helfen. „Sie hat einen Gehirntumor. Man hat alles versucht, aber diese eine Operation übernimmt die Krankenkasse nicht. Die findet auch im Ausland statt. Ich musste aus der Vorlesung, ich dachte ich kriege einen Zusammenbruch." Scheisse! Wie gut ich dieses Gefühl kenne. Wie oft ich damals abgehauen bin. Ihre Augen füllen sich wieder mit Schmerz. „Okay und wie viel Zeit haben wir?" Dilan wischt wieder ihre Tränen weg. „So schnell wie möglich am besten. Aber spätestens in einem Monat sollte sie diese Operation hinter sich haben." Rückartig stehe ich auf und laufe hin und her. Ich denke sorgfältig nach. Wie gehen wir am besten vor? Wie kommen wir so schnell an Geld? „Erstmal machst du einen Spendenaufruf. Du kannst ganz einfach einen Moneypool erstellen und diesen Link teilen wir alle überall." Das ist auf alle Fälle der erste Schritt. Ich knabbere an meiner Unterlippe und denke weiter nach. „Kennst du niemanden der wohlhabend ist?", frage ich nun. Dilan denkt kurz nach, doch schüttelt dann verzweifelt den Kopf. „Okay, nicht schlimm." Immer weiter laufe ich den Gang auf und ab. „Wir schicken den Link auch bestimmten Seiten und Influencern. Manche teilen das.", spreche ich meinen Gedanken aus. Plötzlich geht die Tür vom Hörsaal auf und einige Studenten treten raus. „Kann das erstmal unter uns bleiben?", fragt Dilan etwas hektisch. „Bitte.", fügt sie noch hinzu. Ich nicke hastig. „Natürlich!" Dilan steht auf und umarmt mich plötzlich. „Danke Yade. Wegen dir habe ich etwas Hoffnung bekommen." Ich erwidere nach einigen Sekunden ihre Umarmung. Das fühlt sich komisch an. Aber was soll's. „Gerne. Erstell den Link heute noch und lass ihn mir zukommen. Sobald du dich bereit fühlst, sagen wir es den anderen Mädels." Dilan lässt mich los und nickt eifrig. Ich wische noch die letzten Tränen von ihren Augen und drücke ihre Mundwinkel hoch. „Das steht dir viel besser.", lache ich dann. Dilan muss auch Lachen, somit habe ich mein Ziel erreicht. „Was macht ihr süßen Mäuse hier?", kommt es von Ipek, die aus dem Saal läuft. „Endlich! Ich suche dich die ganze Zeit!", lenke ich von ihrer Frage ab. „Du erzählst erst einmal was da vorhin los war!", fordert sie mich auf und drückt uns beide Richtung Mensa. „Dilan hast du eigentlich mit deiner Tante telefoniert? Kommt sie dich besuchen?" Mein Kopf schnellt zu Dilan. Sie hat gelogen. Etwas bedrückt schaut sie zu mir und nickt dann auf Ipeks Frage. „Wann?", hakt Ipek nach. Dilans Augen sind hilfesuchend, weshalb ich mich einmische. „Ipek warum verhörst du uns? Ich muss das euch jetzt erzählen Leute!" Wir setzen uns an den Tisch in der Mensa und beide Augenpaare liegen auf mir. „Ich hab doch nur gefragt.", schmollt nun Ipek. Dilan hingegen lächelt mich dankend an. „Also." Ich ignoriere Ipeks Antwort und fange an zu erzählen.
Die Mädels sehen mich beide schockiert an. „Ist die dumm?", gibt Ipek aggressiv von sich und steht wütend auf. „Warte! Wenn dann schlage ich sie!", warne ich Ipek. Ipek ist zwar ein echt ruhiger Mensch, aber wenn es um unsere Familie geht - dann nicht. „Dieses Mädchen verdient es wirklich geschlagen zu werden!", bekräftigt nun Dilan meine Aussage. Nickend wende ich mich wieder zu Ipek. „Ich hab da so meine Pläne. Die wird noch sehen.", gebe ich rachedurstig von mir und lächele schief. „Mike Tyson!", höre ich eine mir zu bekannte Stimme rufen. Ich drehe mich lachend um und blicke in Ayaz' Augen. Er rennt mit zwei Rucksäcken und einem Ordner auf uns zu. Das kann was werden! Er hat zum Glück all meine Sachen mitgenommen und setzt sich außer Atem zu uns. „Tragst du Steine in deiner Tasche Mädel?", fragt er genervt und legt meinen Rucksack ab. Die Mädels müssen lachen. „Hast du es ihnen erzählt?", fragt er neugierig, woraufhin ich nicke. „Leute, es war so lustig!", gibt er lachend von sich und bekommt einen Lachanfall. Ungewollt müssen wir alle mitlachen. „Wie sie diese Stufen zu ihr hochgerast ist, ihr musstet das sehen!", gibt er schwer von sich und lacht. „Ach Yade. Du bist wirklich die beste Freundin und Security die man haben kann.", sagt er als er sich beruhigt hat und wirft einen Arm um mich. „Danke dafür.", sagt er und lächelt mich aus dem Herzen an, was ich erwidere. „Sie soll sich in Acht nehmen. Wenn sie mir oder Yade in die Quere kommt, versichere ich für nichts!", faucht Ipek.

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt