Kapitel 3

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30. September, Freitag

Endlich ist es soweit! Ich habe Geburtstag! Achtzehn Jahre alt! Ich bin nicht glücklich weil ich Geburtstag habe, nein. Feiern werde ich sowieso nicht. Genau wie seit vier Jahren auch. Aber heute bin ich endlich volljährig und kann zu meiner Oma ziehen. Jetzt kann mein Vater weder mit der Polizei drohen, noch irgendwelche anderen großen Töne spucken. Mit einem breiten Lächeln stehe ich auf und begebe mich ins Badezimmer. Ich versuche nicht wie die letzten vier Jahre leise zu sein. Tanzend putze ich mir die Zähne und lasse natürlich ausversehen die Zahnpasta welche vor dem Spiegel ist fallen. „Oh ups" Heute ist mir alles egal. Überrascht von meiner Laune, laufe ich summend in mein Zimmer und ziehe mich um. Ein Wunder, dass keiner aufgewacht ist und mich angeschrien hat. Was soll's. Ich darf bloß nichts vergessen. Das Zimmer ist komplett leer. Ein letztes Mal inspiziere ich den Raum, ehe ich mein Pyjama einpacke und es dann auch verlasse. Mit Kopfhörern in den Ohren höre ich Starboy von The Weeknd und bewege meine Lippen zu dem Text. Wie ich diesen Künstler liebe! I'm a motherfucking Starboy - so fühle ich mich auch. Ab heute verändert sich einiges in meinem Leben. Ich habe das erste Mal Hoffnung. Hoffnung, dass alles besser wird. Angekommen in der Klasse stöpsele ich meine Kopfhörer aus meinen Ohren und ziehe meine Jacke aus.

Als Schluss ist laufe ich glücklich aus der Schule raus und möchte gerade meine Kopfhörer anschließen, doch bemerke, dass mein Handy sehr heiß ist. Oh scheisse! Ich habe vergessen die Musik auszumachen. Meine Playlist wurde fast zu Ende gehört, welche sechs Stunden und zweiundvierzig Minuten geht. Toll, zwei Prozent reichen nicht mal aus um meine Bildschirmsperre zu beheben. Wenn ich eine Eigenschaft an mir ändern könnte, wäre es definitiv meine Vergesslichkeit. Ich gehe direkt zu meiner Oma, da kann ich es ja laden. Einen Schlüssel habe ich, klingele aber trotzdem. Sie öffnet die Türe und grinst wie wild. Ich ziehe mir meine Schuhe aus und umarme sie direkt. „Du bist Achtzehn!", sagt meine Oma ungeduldig und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich bedanke mich herzlichst und gehe dann in mein Zimmer. Ja, es ist ab heute mein Zimmer! Das weiße Bett welches frisch bezogen wurde strahlt förmlich. Genau so wie der weiße Schrank mit den silbernen Akzenten. Meinen Schreibtisch liebe ich jetzt schon und freue mich an diesem zu lernen. Aber das schönste am Zimmer ist immer noch das Bild von mir und meiner Mutter, welches auf der IKEA Kommode mit den vier Schubladen steht. Ich streiche einmal drüber, lasse meine Tasche ab und laufe anschließend rein. Meine Oma weiss, dass ich es seit dem Tod meiner Mutter nicht mag meine Geburtstage zu feiern. Es weckt zu viele Emotionen in mir. Es ist eine Art Selbstschutz, da ich mich nicht zurück erinnern und nicht in Tränen ertrinken will. Auch wenn es egoistisch klingen mag, möchte ich nicht an die schönen Tage zurückdenken. Irgendwie fühle ich mich dafür zu schwach, sensibel und nicht bereit. Es ist wie eine Art Last und wenn ich zurück denke, häuft sich diese Last nur. Vielleicht kann ich irgendwann einmal feiern. Aber nicht jetzt.

„Hast du Hunger? Willst du was essen?", fragt meine Oma überglücklich. Ich nicke freudig. Sie läuft schnell in die Küche und kehrt mit einem vollen Teller zurück. Was drin ist sehe ich erst als sie den Teller vor mir abstellt. Meine Augen weiten sich sofort, genau so wie mein Mund. „Neeeein! Anneanne!", sage ich unglaubwürdig und renne auf sie zu. Ich umarme sie vor Freude und verteile Küsse auf ihrer Wange. Sie hat extra für mich Manti gemacht, mein Lieblingsgericht. Es ist nicht möglich zu erklären wie lecker diese Mini Teigtaschen gefüllt mit Hackfleisch schmecken. Die Kombination von Joghurt und Knoblauch macht alles umso besser. Das Topping hat Oma bestimmt nur mit Tomatenmark gemacht, da ich kein Paprikamark mag oder esse. Das Gericht ist zwar echt lecker, aber auch sehr zeitraubend. Wie lang es wohl her ist, als ich zuletzt Manti gegessen habe? „Danke danke danke!" Oma lacht nur und umarmt mich zurück. „Gerne doch mein Engel, ich wollte dir nur eine kleine Freude bereiten." „Klein? Das ist die größte Freude die du mir hättest bereiten können!", gebe ich laut von mir. Meine Oma schüttelt den Kopf und lacht dabei verlegen. Ich renne zurück an den Tisch und fange an zu Essen. Als würde das Essen abhauen, schaufele ich ohne Pause Löffel für Löffel die Teigtaschen in den Mund. Als ich endlich fertig bin, platze ich fast. „Ellerine sağlık Anneanne", sage ich mit letzter Kraft und umarme sie nochmal stark. Sie wendet sich vom Fernseher ab und lächelt. „Ich lege mich etwas hin okay?" Sie nickt und schaut weiter die Sendung, wo die blonde Dame namens Müge Anlı verschollene Leute sucht und findet. Ist mir viel zu dramatisch. Irgendwie wurde ich durch das Essen müde. Im Zimmer angekommen hole ich mein Pyjama aus meiner Schultasche und suche noch mein Ladekabel. Wo ist dieses blöde Kabel nur? Ich knie mich auf den Boden und drehe meine Tasche um, so dass alles rausfällt. Stifte, Bücher, Hefte, bis hin zu Labellos und Haarklammern fallen aus der Tasche - aber kein Ladekabel. Ich Dummkopf! Ich schlage mir gegen die Stirn. „Es steckt noch in der alten Wohnung.", sage ich genervt mit geschlossenen Augen. Egal, dann muss ich halt ein letztes Mal hin. Da es sich wie eine Last für mich anfühlt, möchte ich die Sache schnell hinter mich bringen. Ich erhebe mich vom Boden und laufe zu meiner Oma, welcher ich dann die Situation erkläre. „Wir können dir doch ein neues kaufen?" „Nein Anneanne ihr habt schon so viel Geld ausgegeben, keine Widerrede! ich komme in einer halben Stunde zurück." Ohne dass sie aussprechen kann gehe ich schnell los und mache mich auf den Weg. Die beiden haben schon mein ganzes Zimmer bezahlt, ich möchte ihnen so wenig Kosten wie nur möglich bereiten.

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt