Kapitel 6

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21. Oktober, Mittwoch

Mal wieder sind wir mit Ipek auf den Münchener Straßen, auf dem Weg zur Uni. Angekommen, laufen wir Richtung Mensa. Nach der gestrigen Auseinandersetzung habe ich Melissa nicht mehr gesehen. Ich hoffe das bleibt auch weiterhin so. In der Mensa holt Ipek mir einen Vanillekaffee und sich einen Cappuccino. Ich setze mich schonmal hin. Als ich nach meinem Handy greifen will, wird der Stuhl vor mir zurück gezogen. Ich schaue auf und sehe in zwei blaue Augen. „Hey", sagt der Junge von gestern. Wie hieß er noch gleich? „Ähm Hey?", gebe ich fragend von mir. „Ich wollte mich nochmal bei dir bedanken, wegen gestern.", sagt er. Genau jetzt muss Ipek kommen - super. „Hallo", sagt sie. Er begrüßt sie ebenfalls. „Yade willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?", schlägt Ipek mir auf den Arm. „Er ist kein Freund, ein Kommilitone.", korrigiere ich sie. Er sieht mich mit einem leicht entsetzten Blick an. Ich kann ihn ausserdem nicht vorstellen, weil ich seinen Namen vergessen habe. „Nichts zu danken, das würde ich bei jedem machen.", informiere ich ihn. „Was denn?", fragt Ipek neugierig und nippt an ihrem Kaffee. Dabei schaut sie mich und ihn abwechselnd mit großen Augen an. „Was? Du hast ihr nichts erzählt?", gibt er überrascht von sich und lacht. „Sie hat mich gestern verteidigt, wie eine Heldin! Ich bin übrigens Ayaz.", sagt er und reicht nun Ipek seine Hand. Ich seufze und verdrehe meine Augen. „Ipek.", gibt sie verwirrt von sich. „Wie? Erzähl mir mehr!", fordert sie ihn neugierig auf. Er erzählt ihr das ganze Geschehen und atmet gefühlt keine Sekunde dabei. „Und dann hat sie einfach Verreck in deinem Gucci Oberteil gesagt!", lacht er nun und haut leicht auf den Tisch. Ipek formt ihren Mund zu einem O und lacht auch leicht. „Sehr gut Yade, anders hätte ich es von dir nicht erwartet.", sagt sie stolz und klopft auf meine Schulter. Ich hingegen sehe gelangweilt in die Augen von Ayaz. „Ich bin etwas tollpatschig, falls du es bemerkt hast.", sagt er und kratzt sich verlegen an seinem Hinterkopf. „Nein habe ich nicht. Um Gottes Willen!", sage ich merklich ironisch und halte die Hände dabei hoch. Er schürzt etwas seine Lippen. „Aber Mal ehrlich, wenn sie ein Junge wäre hätte ich sie schon längst geschlagen.", versucht er abzulenken. „Wie konntest du überhaupt so ruhig bleiben?", fragt Ipek interessiert. „Ich besitze erstens viel Geduld und zweitens, hat mich deine nette Freundin doch verteidigt. Da war ich einfach so schockiert, dass ich kein Ton ausspucken konnte.", erklärt er Ipek und sieht mich unglaubwürdig an. „Wieso schockiert es dich aber so?", lacht Ipek. „Keine Ahnung. Sie schien davor so.. kalt. Ich hätte gedacht sie sagt einfach nichts. So wie sonst immer. Ich wollte dich sogar mal nach deinen Notizen fragen, hatte aber Angst dass du nein sagst.", schmollt er gespielt und sieht zu mir. „Ich kann sie dir schon geben.", biete ich ihm an. „Ich gebe dir Bescheid falls ich sie benötige.", sagt er mit einer beschwichtigenden Handbewegung. Ich nicke bloß. „Meine Vorlesung beginnt gleich, ich muss los Leute. Bis später!", sagt Ipek und macht sich auf den Weg. Toll, jetzt sind wir alleine. „Ich habe keine Lust auf Zivilrecht.", quengelt er, verschränkt seine Arme auf dem Tisch und legt seinen Kopf rein. „Wieso, das geht doch voll?", frage ich interessiert nach, woraufhin sein Kopf wieder hoch schnellt. „Meine Hand tut immer so weh vom Schreiben. Und dazu muss ich's noch verstehen.", seufzt er. Ich trinke einfach weiter meinen Vanillekaffee. „Wie alt bist du?", unterbricht Ayaz wieder die kurze Stille. „Neunzehn.", antworte ich kurz und trinke weiter. „Neunzehn? Hätte dich auf mindestens einundzwanzig geschätzt.", mustert er mich. „Was denkst du wie alt ich bin?", fragt er nun und lächelt. Ich glaube er mag es zu reden. Es fällt ihm sehr einfach, das merkt man. Ich inspiziere sein Gesicht und überlege dabei wie alt er sein könnte. Er post gespielt, weshalb ich eigentlich lachen muss, aber noch unterdrücken kann. „Zwanzig?", frage ich. Er lächelt eingebildet und streift sich den imaginären Staub von seinen Schultern. „Ach Danke, dass Sie mich so jung schätzen. Aber ich muss Sie enttäuschen, ich bin zweiundzwanzig." Ich hebe überrascht meine Augenbrauen und nicke. „Wieso bist du dann im ersten Semester?", möchte ich wissen. „Ich habe davor Ein Jahr etwas anderes studiert. Habe etwas länger gebraucht bis ich das richtige gefunden habe.", erklärt er mir. Er schaut auf sein Handy. „Komm wir haben gleich Vorlesung.", informiert er mich und steht auf. Ich nehme meine Tasche und meinen Kaffee zur Hand und laufe ihm hinterher. „Wenn wir Melissa begegnen, dann halte ich ihre Arme und du boxt sie, Deal?", fragt er todernst. Ich muss wieder lachen, aber drehe mich weg damit er das nicht sieht. Irgendwie möchte ich mich nicht direkt so gut mit ihm verstehen. Wenn man vom Teufel spricht, Melissa läuft vor uns mit ihren komischen Freundinnen rein. Ayaz zeigt auf sie und tut dann so als müsste er würgen. Während wir uns in die zweite Reihe begeben, setzt sie sich ganz weit nach hinten. Umso besser für uns. „Kennst du eigentlich andere hier?", er zeigt auf unsere Mitmenschen. Ich schüttele den Kopf. „Und du?", frage ich ihn nun zur Abwechslung Mal. „Ja aber er kommt erst ab nächster Woche, wenn alles gut läuft." Ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Ist ein guter Freund, deshalb muss ich alles mitschreiben weil er mich sonst einen Kopf kürzer macht.", gibt er wieder in einer ernsten Tonlage von sich. Ich nicke verstehend und sehe dann vor. „Was studiert Ipek?", möchte Ayaz wissen. Er holt eine Packung getrockneter Mangos raus und reißt diese auf. „Tiermedizin.", informiere ich ihn. So nett wie er ist bietet er mir die Mangos an, was ich zu gern annehmen würde, es jedoch nicht tue. „Komm schon.", versucht er mich zu überzeugen. Er zwinkert und hält die Tüte weiterhin fast in mein Gesicht. Ich hingegen gucke unbeeindruckt und verliere kein Wort. „Kannst du eigentlich lachen? Oder irgendwie was anderes außer gelangweilt gucken?", fragt er nun leicht säuerlich. Ich zucke mit den Schultern. Nun schaut er beleidigt. „Wenn du jetzt keins nimmst bin ich für den Rest des Tages beleidigt.", droht er mir. Ich muss wieder einmal lachen, doch verdecke meinen Mund mit meinen zwei Händen. „Komm schon, du willst es doch auch.", sagt er und wackelt nun mit den Augenbrauen. Ich verdrehe die Augen und nehme mir ein Mangostreifen raus. „Geht doch.", sagt er beruhigt und isst zu guter Letzt auch.
Die Vorlesung vergeht, weshalb ich aufstehe und in die nächste möchte. „Warte doch auf mich!", kommt mir ein rennender Ayaz hinterher und hebt  zu viele Sachen auf einmal. Ich nehme ihm den Ordner aus der Hand. „Du solltest dir eine Tasche besorgen wo auch der Ordner reinpasst.", rate ich ihm. „Ja ich gehe mir heute eine kaufen", murmelt er und bedankt sich im Anschluss.
Nach der vorletzten Vorlesung laufen wir in die Mensa, jedoch sehe ich keinerlei Spur von Ipek. „Wo ist Ipek?", fragt Ayaz als hätte er meine Gedanken gelesen. Schulterzuckend sehe ich mich um. Es ist nichts passiert, hoffe ich. Ich zücke bei dem Gedanken mein Handy und sehe keine Nachrichten von ihr. Den Ordner von Ayaz klemme ich unter meinen Arm und rufe sofort Ipek an. „Geh du schon Mal vor ich komme gleich nach.", teile ich Ayaz mit, welcher nickt und läuft. Ich bleibe stehen und höre weiterhin das Piepen im Ohr, bis Ipek endlich den Anruf entgegen nimmt. „Endlich wo bist du?", frage ich leicht besorgt. „Im Krankenhaus.", sagt sie etwas bedrückt. Meine Augen weiten sich, mein Herz schlägt schneller. „Wieso? Ist alles Okay? Was ist passiert?", möchte ich wissen. „Ich hatte einen epileptischen Anfall, aber jetzt ist alles in Ordnung.", sagt sie müde. „Einen Anfall?", gebe ich verwirrt von mir. „Wieso weiß ich nicht, dass du Epilepsie hast?", frage ich etwas betrübt. „Ich da-" Bevor sie ihren Satz aussprechen kann rede ich rein. „Welches Krankenhaus?" „Im Klinikum." Rasch lege ich auf und laufe in die Mensa. Ich fühle mich irgendwie schuldig. Ipek tut so viel für mich und ich weiß nicht einmal, dass sie Epilepsie hat. Meine Augen suchen Ayaz. Wie konnte ich das nicht wissen? Wieso hat sie mir nichts davon erzählt? Vertraut sie mir etwa nicht? Schuldgefühle plagen mich ohne Ende. Ich muss sofort zu ihr. Als ich Ayaz endlich sehe wie er an einem Tisch voller Jungs sitzt und lacht, möchte ich ehrlich gesagt nicht zu ihm laufen. Mir ist etwas unwohl bei der Sache, ich möchte es vermeiden. Andererseits habe ich keine andere Wahl und muss deshalb ohne Zeit zu verlieren hin. Komm Yade, du schaffst das schon, da ist nichts dabei. Ich spreche mir selber Mut zu und laufe dann Richtung Ayaz. Ich sehe die Jungs nicht gescheit an, begrüße sie nur mit einem Kopfnicken, was die meisten erwidern. Den Ordner lege ich vor Ayaz ab. „Ich muss dringend gehen. Krieg' ich deine Notizen dann morgen?", frage ich etwas gestresst. Ayaz dreht sich zu mir, versteht nicht ganz was los ist. „Wohin gehst du?", gibt er wirr von sich. „Ich muss zu Ipek.", sage ich leiser weil ich weiß, dass meine Stimme sonst bricht. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, meine Tränen kommen auf. Ich weiß nicht warum ich genau jetzt so emotional sein muss. Ich kämpfe trotz dessen hartnäckig gegen meine Tränen. „Wo ist sie?", fragt er nun in der selben Tonlage. Die anderen Jungs am Tisch schauen mich auch erwartungsvoll an. „Im Klinikum. Ich muss jetzt echt los, bis Morgen.", sage ich und fliehe. „Warte wie willst du hin?", schreit Ayaz mir hinterher. „Zu Fuß!", drehe ich mich zu ihm und antworte laut. Die Menschen in der Mensa sehen zu uns, aber sowas interessiert mich nicht. Ich schaue genau so dumm zurück und gehe weiter meinen Weg. Als ich am Eingang stehe mache ich einen kurzen Halt um zu schauen wie weit das Klinikum entfernt ist. „Komm ich fahre dich, das sind vierzig Minuten zu Fuß.", erschreckt mich ein Ayaz, welcher außer Atem und wieder einmal vollbepackt ist. Ich nehme ihm den Ordner ab, damit er wenigstens einen Arm frei bewegen kann. „Nein, ich komme schon irgendwie hin. Danke.", sage ich und möchte auf mein Handy schauen, was Ayaz aber nicht zulässt. „Komm jetzt, so bist du schneller dort.", argumentiert er mit einer ernsten Miene und läuft vor. „Laufen Fräulein!", schreit er und macht eine Handbewegung, welche mir verdeutlichen soll, mich zu beeilen. Da ich sowieso keine andere Wahl habe, laufe ich dem großen Lockenburschen hinterher und hole ihn ein. „Und woher kriegen wir die Notizen?", frage ich etwas bedenklich und sehe zu ihm auf. „Das kläre ich morgen.", äußert er zwinkernd. Ich gucke wie immer unbeeindruckt und laufe weiter. „Vertrau' mir.", sagt er nun verärgert. Vertrauen? Sowas kenne ich nicht. Außer Oma, Opa und Ipek vertraue ich keinen Menschen. Ich antworte einfach nicht. Wir kommen an einem größeren, blauen BMW an. Er öffnet zuerst den Kofferraum und verstaut seine ganzen Sachen dort, woraufhin er mir den Ordner anschließend meine Tasche aus der Hand nimmt. Wir setzen uns stumm ins Auto. Es ist recht kalt, weshalb ich meine Hände an meine Oberschenkel reibe. „Mach die Sitzheizung an wenn du willst.", bietet mir Ayaz an als er losfährt. Das lasse ich mir kein zweites Mal sagen und tue deshalb sofort was er sagt. „Darf ich wissen wieso sie dort ist?", fragt Ayaz vorsichtig. „Ich weiß selber nicht genau.", entgegne ich ihm etwas bedrückt. Ich würde es nicht richtig finden, die Wahrheit zu sagen. Vielleicht möchte Ipek nicht, dass er es weiß? Auch wenn es unendlich nett ist dass er mich gerade fährt, sage ich lieber nichts. Vielleicht erklärt ja Ipek selber, was Sache ist. „Ich hoffe alles wird gut.", versucht Ayaz mich aufzumuntern. „Ich hoffe es auch.", gebe ich traurig von mir.
Angekommen steigen wir aus und laufen mit schnellen Schritten an die Info. „Hallo, wo liegt Ipek Akar?", frage ich den Herren. Er tippt am Computer rum und übergibt mir dann einen Zettel. „Zweites Obergeschoss, Zimmer 154.", liest er noch vor. Ich laufe mit Ayaz zu den Aufzügen. „Der hatte voll die komische Frisur.", flüstert er mir zu. Ich drehe mich zu dem Mann von eben und sehe, dass seine Haare etwas zu voluminös gestylt sind. Ich muss schmunzeln, weshalb ich mir auf meine Lippen beiße. „Stimmt.", stimme ich ihm zu und laufe dann in den Aufzug. Schnell laufe ich vor und mustere mit meinen Augen die Zahlen neben den ganzen Türen. „Hier!", sagt Ayaz und zeigt auf eine Tür. Schlagartig drehe ich mich um und laufe ohne Vorwarnung rein. Dass erschreckt Ipek sichtlich, denn sie zuckt auf und zieht laut die Luft ein. Ich schmeiße mich auf sie und umarme sie erst einmal. „Alles ist gut.", versichert sie mir und streicht über meinen Rücken. Meine Tränen steigen wieder auf, welche ich dieses Mal nicht bekämpfen kann. Leise lasse ich sie laufen. „Ah Hey!", sagt sie überrascht. Vermutlich zu Ayaz. „Hey.", murmelt dieser etwas verlegen. Ich löse mich von Ipek und wische mir meine Tränen weg. „Setz dich.", sagt Ayaz und schiebt mir einen Stuhl zu Ipek ans Bett. Ich lächele etwas erschöpft und tue was er sagt. „Was genau ist passiert?", frage ich vorsichtig. Ipek zögert kurz. „Ich kann auch raus.", sagt Ayaz und will gerade raus, doch Ipek haltet ihn davon ab. „Ich hatte nur einen epileptischen Anfall und bin bewusstlos geworden.", sagt sie locker. „Nur? Nur?!", schimpfe ich. „Das ist länger nicht mehr passiert, ich habe erstens wenig geschlafen und vergessen meine Antiepileptika einzunehmen. Deshalb kann das passieren.", beruhigt sie mich. „Seit wann hast du das? Und wieso?", möchte ich detailliert wissen. „Ich glaube seit.." Sie muss kurz überlegen, schaut dafür an die Decke. „Sechs Jahren?", sieht sie mich fragend an. „Ich hatte damals eine Hirnhautentzündung, das war echt schlimm. Aber ich kann froh sein nur Epilepsie als Spätfolge zu haben. Ich könnte auch Hör- und Sehstörungen bekommen. War aber zum Glück nicht der Fall.", erzählt sie und setzt das „nur" durch ihre Finger in Anführungszeichen. „Hast du häufig solche Anfälle?", will Ayaz wissen. Sie grübelt kurz. „Eigentlich nicht. Wirklich sehr selten, da ich echt auf alles aufpasse." „Kann ich dich da auch irgendwie unterstützen?", frage ich etwas hektisch. „Du machst schon genug.", lacht sie. Es klopft an der Türe und eine junge Krankenschwester spaziert herein. „Hallo.", begrüßt sie uns alle freundlich. Bei Ayaz bleibt ihr Blick hängen. Sie durchbohrt ihn merklich mit ihren Blicken. Als sie sich endlich abwenden kann, gibt sie uns nähere Informationen. „Frau Akar, wir würden Sie bis morgen hier behalten. Einfach um sicher zu gehen, damit keine Komplikationen entstehen.", rattert sie förmlich runter. Ipek seufzt, aber muss sich nun mal ergeben. Als die Krankenschwester raus geht, mustert sie Ayaz noch ein letztes Mal. Dieser zwinkert und lächelt schief. Was ein Charmeur. Die Tür schließt sich endlich. „Ich koche für dich und bringe dir Essen! Was magst du essen?", nerve ich Ipek mit meinen Fragen. Sie lächelt leicht. „Egal was. Hauptsache kein Krankenhaus Essen.", schmollt sie nun. „Wird gemacht, wie wäre es mit.." Nun bin ich die jenige, die grübeln muss. „Mantı!", schreie ich schon fast auf und sehe sie an. Ihre Augen weiten sich. „Ja!", sagt sie und schluckt wahrscheinlich das Wasser, welches in ihrem Mund zerlaufen ist, runter. Wir lieben Mantı beide über alles. „Ich will auch Mantı!", schmollt jetzt Ayaz, woraufhin er von Ipek getröstet wird. „Ich bin mir sicher, dass Yade dir auch ein Teller Mantı vorbereitet." Seine Augen strahlen, beide sehen mich erwartungsvoll an. Er hat dich her gefahren und auf die Vorlesung geschissen! Natürlich, ich kann es mir nicht leisten nein zu sagen. „Gerne, das bin ich dir schuldig.", sage ich und lächele ganz leicht. „Wow du kannst ja lächeln!", staunt Ayaz. Ipeks Lächeln wird größer, weshalb meines automatisch auch größer wird. „Wie seid ihr hergekommen?" „Ich bin gefahren.", übernimmt Ayaz die Antwort. „Oh, hattet ihr keine Vorlesung?", fragt Ipek nun überrascht und legt sich in eine bequemere Position. Doch hatten wir. Mein Blick gleitet zu Ayaz, den ich beschämt anschaue. „Doch, aber ist ja nicht so schlimm.", lächelt er und tätschelt Ipeks Kopf. „Danke. Ich wollte keine Umstände bereiten.", nuschelt sie nun kopfsenkend und spielt mit ihren Nägeln. „Bist du blöd? Was für Umstände?", platzt es aus mir. Für die Aussage kriegt Ipek einen leichten Klaps auf den Hinterkopf von Ayaz. „Ist doch alles gut, wie kam es überhaupt zu dem Anfall? Los, erzähl.", wechselt er das Thema. Er ist viel zu nett. Warum ist er so nett? Darüber mache ich mir später Gedanken.
Als wir nach längerer Zeit aufstehen, steuern wir wieder auf Ayaz' Auto zu. „Ich kann von hier auch mit dem Bus nach Hause das wäre kein Problem.", sage ich da ich ihm nicht noch mehr zur Lasst fallen will. „Nein steig ein.", kommt es von ihm kurz und knapp. Ich bleibe aber stehen und sehe ihn an. „Mantı?", sieht er nun fragend. Ah stimmt, die Sache. Logisch. Stillschweigend setze ich mich ins Auto. Kommt er jetzt zu uns nach Hause? „Sagst du mir die Adresse?", bittet Ayaz mich. „Ich beschreibe den Weg.", kommt es etwas ruhiger von mir. Ich will nicht, dass er meine Adresse kennt. Er nickt und startet den Motor.
Angekommen steigen wir aus und begeben uns in das Treppenhaus. Wir müssen Treppen steigen, aber zum Glück nur zwei Stockwerke. „Wieso habt ihr keinen Aufzug?", keucht Ayaz als wir oben ankommen. „Der Architekt hat mich nicht gefragt.", witzele ich. Ayaz lacht gefälscht und zieht sich seine Schuhe aus, während ich die Tür aufschließe. Ich laufe erst in mein Zimmer, um meine Jacke und Tasche abzulegen. Ayaz kommt mir nach, doch das stört mich keineswegs. „Das ist dein Zimmer also. Magst wohl keine Farben?", möchte er indirekt wissen. Mein Zimmer ist komplett weiß gehalten. Weißes Bett, weißer Schrank, weiße Lampe, weißer Schreibtisch und weiße Regale. Mein kleiner Fellteppich ist sogar weiß. „Ich bevorzuge schlichte Einrichtung.", stelle ich fest und beantworte ihm somit auch die Frage. Er nickt und schaut sich weiter in meinem Zimmer um, als wäre es ein Museum. Mein Handy hole ich aus meiner Tasche und stecke es in meine hintere Hosentasche. Anschließend stelle ich mich vor den Spiegel an meinem Schrank und binde meine bis zum unteren Rücken reichenden Haare zu einem Pferdeschwanz. „Bist das du? Mit deiner Mutter?", fragt Ayaz amüsiert und schaut sich das Bild im Regal an. Tatsächlich ist es ein Bild von meiner Mutter und mir. Er sieht mich abwartend an. Ich nicke. „Du siehst fast gleich aus. Nur deine Haare sind auf dem Bild etwas dunkler.", deckt er auf. Wieder einmal nicke ich und öffne die Zimmertüre. Damit will ich verdeutlichen, dass wir uns in die Küche begeben sollten. Denn ich möchte keinesfalls dieses Gespräch vertiefen. Ayaz versteht und läuft vor mir aus dem Zimmer. In der Küche angekommen wasche ich zuerst meine Hände, hole genügend Mantı aus dem Gefrierfach und lege los. „Kochst du gerne?", fragt Ayaz nach und setzt sich auf einen der Stühle am Esstisch. „Ja schon." Mein Handy klingelt, weshalb ich danach greife und sehe, dass Anneanne anruft. „Ist es Ipek?" Ich schüttele den Kopf. „Meine Oma, bitte keinen Laut von dir geben Okay?", frage ich ihn in einem netten Ton. Er nickt macht eine Handbewegung, wie er seinen Mund abschließt und den Schlüssel wegschmeißt. Dadurch muss ich leicht schmunzeln. Ich stelle sie einfach auf laut, somit kann ich weiter kochen. „Hallo Anneanne", kommt es erfreut von mir. „Hallo Yade. Wie gehts euch? Was macht ihr schönes?" Für einen Moment dachte ich, dass sie Ayaz und mich meint, was jedoch nicht der Fall sein könnte und mir deshalb Ipek einfällt. Ich möchte sie nicht traurig machen, auf keinen Fall. „Gut Anneanne. Und euch?", entgegne ich ihr. „Auch gut. Dede hat sich etwas erkältet, sonst ist alles beim Alten.", informiert sie mich. „Wie läuft das Studium?", möchte sie nun wissen. „Ganz gut eigentlich, ich komme gut mit.", sage ich ehrlich. „Und Ipek?", möchte sie jetzt wissen. „Sie auch." Ich versuche so normal wie möglich zu klingen. Ayaz beobachtet mich stumm, während ich eine Knoblauchzehe schäle. „Gib' sie mir doch kurz, damit ich ihre Stimme auch höre.", bittet sie mich. Meine Augen weiten sich und ich sehe hilfesuchend zu Ayaz. „I-Ipek hat noch Uni Anneanne. Ich koche schonmal für uns weil ich heute nicht so lang hatte.", lüge ich und beiße gequält auf meine Unterlippe. „Was kochst du denn schönes?" „Mantı" Sie lacht freudig auf. „Okay, dann reden wir am Abend nochmal. Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an Yadem.", versichert sie mir noch. Ich nicke, was ich im Nachhinein als total dumm empfinde, da sie es nicht sieht. „Tamam Anneanne. Öptüm.", sage ich und lege auf. Erleichtert atme ich aus und sehe zu Ayaz. „Wieso hast du ihr nicht die Wahrheit gesagt?", fragt er. Ach Ayaz, wenn du nur wüsstest. „Ich möchte ihr keine Sorgen bereiten. Außerdem geht es Ipek gut. Meine Oma hatte wegen mir genug Sorgen.", gebe ich am Ende etwas leiser von mir und widme mich wieder der Knoblauchzehe. Ayaz sieht mich nur komisch an.
Ich lege den vollen Teller mit Mantı vor Ayaz ab und gebe ihm zusätzlich einen Löffel und Salz. Meinen Teller stelle ich gegenüber von ihm ab. Wasser und Eistee stelle ich auch noch auf den Tisch, ehe wir beginnen zu essen. Bevor ich überhaupt anfange, streue ich Salz auf das Essen. Das mache ich immer, ist eine Art Angewohnheit. Und ich liebe Salz über alles. „Das schmeckt hammer!", schwärmt Ayaz. Ich grinse stolz und lächele. „Danke Yade.", bedankt er sich zum gefühlt tausendsten Mal und isst genüsslich weiter. Mir fällt dabei auf, dass ich mich kein einziges Mal bei ihm bedankt habe. Obwohl er so viel heute für mich getan hat. Sowas ist nicht selbstverständlich. „Äh..", versuche ich meinen Satz zu beginnen. Ayaz sieht mich mit vollem Mund und großen Augen an. „Hm?", frägt er. „Danke für heute. Also dass du mich gefahren hast und nicht zur Vorlesung bist wegen mir.", sage ich geniert. Egal wie sehr ich solche Situationen hasse, muss ich das jetzt tun. Außerdem hat er es verdient. Ayaz lächelt und kaut zu Ende. „Gar kein Thema, du hast mir auch geholfen. Freunde helfen sich in solchen Zeiten.", erklärt er mir und tätschelt meinen Kopf. Ich glaube, dass er das oft macht. Sind wir denn auch wirklich Freunde? Nennt man das eine Freundschaft? Ach, keine Ahnung. „Ah Sorry, wir sind ja nur Kommilitonen!", sagt er beleidigt und widmet sich dem Essen. Ich lache dieses Mal laut und schüttele den Kopf. Ich kann Ayaz nicht böse sein oder ihn irgendwie abstoßen. Das wäre egoistisch.
Mit einer Tupper voll Mantı machen wir uns auf den Weg zu Ipek. Vor ihrer Türe angekommen hilft mir Ayaz mal wieder und öffnet diese. Ipek schaut mit großen Augen und klatscht in ihre Hände. Bei diesem Anblick muss ich lächeln. Ich lege ihr alles bereit und setze mich dann wie heute Mittag auch, wieder neben sie. Ayaz steht neben uns. „Das schmeckt himmlisch!", schwärmt nun auch Ipek. Mein stolzes Grinsen entgeht ihr nicht. „Ich weiß nicht wann ich zuletzt so lecker gegessen habe.", gesteht Ayaz. Mir fällt das Telefonat von vorhin ein, weshalb ich Ipek drauf aufmerksam mache. „Ruf Anneanne am besten jetzt an, dann haben wir es hinter uns.", beende ich meine Erzählung. „Warte Mal. Seid ihr verwandt?", frägt Ayaz verwirrt. Wir nicken beide. „Wir sind Cousinen.", klärt Ipek ihn auf. „Ahhh.", sagt er wissend. Ipek tut was ich ihr sage. Wir reden beide mit Oma, damit sie keinen Verdacht schöpft.
Da die Besucherzeit leider vorbei ist, verabschieden wir uns und laufen runter. Ayaz muss mich wieder einmal nach Hause fahren, der Arme. „Ist das für dich kein Umweg?", möchte ich wissen. Ayaz schüttelt seinen Kopf. „Nein, ihr wohnt nicht so weit von mir weg.", informiert er mich. Ob er alleine wohnt? „Wohnst du alleine?", schießt es aus mir. „Nein, also ja." Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Ab Montag ist mein Mitbewohner wieder da. Mein bester Freund, der wo eigentlich mit uns studiert.", sagt er als ich immer noch nicht verstehe. Wissend nicke ich nun. Er wirkt irgendwie bedrückt, aber darauf gehe ich nicht ein.
Es ist dunkel und wir kommen vor dem Mehrfamilienhaus wo wir wohnen an. Ich schnalle mich ab und drehe mich zu Ayaz. „Danke nochmal.", sage ich kleinlaut. Ayaz lächelt wieder leicht. „Gerne, nichts zu danken. Soll ich dich morgen früh abholen?", fragt er nach. Stimmt, zur Uni muss ich ja auch irgendwie kommen. Aber das ist halb so wild, dann laufe ich halt einmal. Schnell schüttele ich den Kopf und bedanke mich noch einmal. Er hat schon mehr als genug für mich getan. „Bis morgen", verabschiede ich mich und steige aus. Oben angekommen lege ich mich in mein Bett und denke nach. Was ein ereignisreicher Tag. Sind wir wirklich Freunde? Ist Ayaz ein Freund? Das kann ich noch nicht sagen. Ich darf mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, muss alles auf mich zukommen lassen.

Vielleicht sind wir wirklich am Anfang einer guten Freundschaft?

Zu zweit alleinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt