Kapitel 11

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In dieser Nacht hatten beide einen Traum.

Der Mond schien hell und eine leichte Brise umwehte meine Nase. Das Rascheln der Blätter und das Klackern eines Vogels, der mit seinem Schnabel über einen Baum schabte, weckte mich. Vorsichtig öffnete ich meine Augen, blinzelte mehrmals. Vorsichtig erhob ich mich. Keine Schmerzen. Erleichtert atmete ich ein. Mit leisen Schritten lief ich zum See, der die Form eines Tropfen hatte. Silbern glänzte die Wasseroberfläche unter dem hellen Leuchten des Mondes. Am Rand angekommen, betrachtete ich mein Spiegelbild im Wasser.

Der Wind ließ den See kleine Wellen schlagen, sodass mein Spiegelbild verschwamm. Plötzlich rauschte der Wind kräftig und entwickelte sich binnen Sekunden zu einem Sturm. Die Äste wackelten wild und unkontrolliert hin und her, und ich ging auf die Knie, um mich zu schützen. Das Wasser bildete einen Strudel, der mich magisch anzog. Vorsichtig berührte ich die Wasseroberfläche. Diese griff nach meiner Hand und zog mich nach vorne zu sich. Ich fiel nach vorne hinüber und wurde von dem Strudel verschlungen.

Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war ich nicht mehr an dem See. Unsicher schaute ich mich um. Ich war umgeben von kalten Steinwänden. Ich war allein und hatte Angst. Als ich an mir herunterschaute, sah ich kleine Füße und Hände. War ich ein Kind? Wo und vor allem wer bin ich?

Vor der Tür hörte ich Stimmen.

„Rosa, es ist an der Zeit. Wir können es nicht länger aufschieben."

„Ich weiß, du hast recht. Es ist Zeit. Auch wenn es wehtut."

Angst ergriff mich. Ich verstand nicht, was los war. Ich umschlang mich mit den Armen. Dann öffnete sich die alte Holztür und Licht strömte herein.

„Александр, es ist Zeit. Du musst mit uns kommen."

Zwei Hände packten mich. Ich wehrte mich, hatte aber gegen die erwachsene Frau, deren Gesicht ich nicht erkennen konnte, keine Chance. Sie zog mich mit sich. Geblendet von dem hellen Licht, kniff ich die Augen zu und wurde blind weitergeschleift. Dann hielten wir an und die Person entfernte sich.

Als ich vorsichtig die Augen öffnete, erkannte ich, dass ich auf dem Steinboden in einer großen Halle saß. Ich befand mich inmitten eines großen Kreises mit einem fünfzackigen Stern, der mit vielen mystischen Symbolen gefüllt war. Ich wollte aufstehen, da schoss ein stechender Schmerz durch meinen Fuß. Angsterfüllt schaute ich mich um und sah sechs Gestalten in schwarzen Roben um mich herum. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen, was mir noch mehr Angst machte.

„Wo ist Maria?", fragte ich zitternd. Wo ist Maria, die Nonne, die mich aufgezogen hat?

„Schweig, Монстр." Die kalte Stimme der Person in der Mitte von allen ließ mich erschauern.

Leise begann ich zu weinen. Sobald die erste Träne geflossen war, brach der Damm und weitere folgten. Unkontrolliert fing mein kleiner Körper an zu zittern - hilflos, verzweifelt.

Warum bin ich hier und wo sind die anderen Kinder? Ich will nach Hause.

Dann kam Bewegung ins Geschehen. Fünf der sechs Gestalten stellten sich jeweils an eine der Spitzen des Sterns, der den Kreis ausfüllte. Mit unheimlichen Stimmen begannen sie mit einem schaurigen Gesang, der mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ich verstand kein Wort und hatte Angst. Panisch versuchte ich trotz Schmerzen aufzustehen und ihnen zu entkommen, doch ich prallte gegen eine unsichtbare Wand und wurde in der Mitte des Kreises gefangen gehalten.

Verzweifelt schlug ich mit meinen kleinen Fäusten gegen die unsichtbaren Wände und schrie. Unbeirrt setzten die Gestalten ihren Gesang fort. Stück für Stück begannen die Symbole im Kreis aufzuleuchten. Das Licht wanderte bedrohlich auf mich zu. Panisch vor Angst zog ich die Knie an, kniff die Augen zu und presste meine Hände auf meine Ohren. Bald schon würde das Licht mich erreichen.

Ich habe Angst. Bitte, hilf mir, irgendjemand.

༻✧༺

Schlagartig schreckte Belial aus dem Schlaf hoch.

Was zur Hölle war das? Langsam realisierte er, dass es ein Traum gewesen war. Zu real, es war einfach zu real. Nachdem er innerlich nochmal die Geschehnisse durchging, wuchs die Erkenntnis. Der zweite Teil - das war keine Einbildung gewesen. Es war eine Erinnerung. Aber wessen? Seine eigene war es nicht gewesen.

Seine Gedanken wurden von einem leichten Stöhnen unterdrückt. Stimmt, er lag im Bett. Er und Aleksander hatten gestern...

„Bel... fester..."

Oh ja, er fühlte sich lebendig und nicht nur das, die brennenden Schmerzen, die seine Augen marterten, waren verschwunden.

Vorsichtig betastete er den Augenverband. Mit einem Fingernagel ritzte er den Verband an und nahm ihn vorsichtig ab. Nun kam der Moment der Wahrheit. Langsam öffnete er seine Augen. Helles Licht blendete ihn, sodass er mehrmals blinzeln musste. Eine Weile lang saß er da, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen und nach und nach begannen die verschwommen Umrisse Form anzunehmen. Er erkannte, dass der Schrank gegenüber dem Bett eine Mischung aus schwarz und Nussbaum mit Naturmuster hatte - mit schwarzen Griffen an den Schranktüren und Schubladen. Ansonsten war das Zimmer in einem neutralen Weiß gehalten.

Langsam senkte er den Blick auf das Ende des Bettes mit schwarzen Bettpfosten, die wie aufeinandergesetzte Kugeln aussahen. Sein Blick blieb am Fußende und dieser unglaublich hässlichen Bettdecke hängen. Karomuster in grün und beige mit roten Streifen. Die Person, die diese Bettdecke ausgesucht hatte, sollte sich einer Geschmackstherapie unterziehen.

Eine leichte Bewegung neben ihm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Hellblondes Haar, das die Farbe der Sonne besaß, aus dem ein zierliches Ohr herauslugte. Sein Haar fiel seidig in einen hellen Nacken, auf dem auf der rechten Seite zwei leuchtend rote Punkte die cremefarbene Haut unterbrachen. An diesem Nacken schloss ein definierter Rücken und Arme an. Muskulös, aber definiert. Nicht zu viel, genau richtig. Dem Arm folgend, endete er in einer Hand mit kurzen Fingernägeln, die sich in die grässliche Bettdecke gekrallt hatte. Seine Hände sind kleiner als meine. Vorsichtig lehnte er sich nach vorne, um einen Blick auf sein Gesicht erhaschen zu können. Erstaunt hielt er inne. Wunderschön. Mehr konnte er nicht dazu sagen.

Er hatte Aleks' Gesicht zwar erspürt und hatte eine ungefähre Vorstellung, doch nichts hatte ihn auf das vorbereiten können. Saftige rote Lippen, in die er am liebsten gebissen hätte. Eine feine, schön geschwungen Nase und runde, weiche Wangen. Und die Wimpern - lange, filigrane Wimpern, die leichte Schatten warfen. Sein kurzes Haar fiel ihm leicht in die Stirn und endete knapp über seinen blonden Augenbrauen. Er befand sich weit über Aleks gebeugt, um ihn besser sehen zu können. Dann schlug dieser ohne Vorwarnung die Augen auf.

Von einer Bewegung aufgeweckt, wachte Aleks aus einem doch sehr erholsamen Schlaf auf. Umgeben von Wärme schlug er die Augen auf und blickte in strahlend grüne Augen.

„Wunderschön." Hatte Aleks das gerade gesagt? Nein, er hatte keinen Ton von sich gegeben.

Belial schaut wie gebannt auf die hellblauen Augen, die ihm entgegenschauten. Sie waren wunderschön. Zwei hell leuchtende Saphire.

„Alles in Ordnung?", fragten die rosigen Lippen, doch Belial konnte nicht antworten. Als sich eine weiche Hand an seine Wange legte, löste er sich aus der Erstarrung.

„Du bist wunderschön, Aleksander." Anscheinend hatte er seine Stimme wiedergefunden. Überraschung machte sich auf dem Gesicht seines Menschen breit, dann begann er zu lächeln. Als ob die Sonne aufging.

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben", sagte Aleks und grinste.

Hatte Belials Herz gerade einen Schlag ausgesetzt? Er könnte ihn ewig ansehen. Vorsichtig berührte er mit den Fingerspitzen Aleks' Gesicht und fuhr seine weichen Linien nach, erkundete es wie damals, als er blind gewesen war.

Aleks schloss kurz die Augen und genoss die Berührung. Als er die Augen wieder öffnete sah er, wie Belial auf seinen Mund starrte. Sein Herz begann aufgeregt zu flattern und er biss sich leicht auf die eigene Lippe. Will er etwa...

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Zum ersten Mal sieht er nun seinen  Retter live und in Farbe. Was wohl als nächstes geschieht?

Ist das der Anfang der großen Lovestory? Lest weiter und ihr  erfahrt es.

Eure Mausegöttin

Belial - eine schicksalhafte Nacht (BAND 1) ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt