(Annie) Babysitter

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                    "Bist du dir sicher?"
                    „Ja."
                    „Hast du Hunger?" Wieder nicke ich. Habe ich tatsächlich. Wie um meine Antwort zu untermalen, knurrt mein Magen in diesem Moment laut auf.
Sam verzieht seinen Mund, nickt dann aber fast nachdenklich. Er runzelt seine Stirn und sieht in diesem Moment so viel älter aus. Sam ist ein gutaussehender Mann, gutgebaut, kurze blonde Haare, dichter Bart. In seinen blauen Augen könnte ich mich ewig verlieren, wenn ich nicht wüsste was für ein kranker Kopf dahinter steckt. Wenn mich jemand mit ihm sehen würde, würde sie mich wahrscheinlich beneiden. Oder sich denken, was jemand wie er von mir will. Was ich mich auch immer wieder frage. Aber das Äußere täuscht über das Innere eben doch hinweg. Er ist launisch. Oder nein. Er kann seine Launen nicht kontrollieren, wie es normale Menschen tun. Wenn er wütend ist, sollte man wie eine Maus an ihm vorbeilaufen und hoffen, dass er einen nicht sieht. Wenn er gute Laune hat ... wobei. Eigentlich sollte ich hier immer alles tun um nicht aufzufallen. Sam ist zärtlich zu mir, will mich beschützen, aber ich bin auch verletzt. Manchmal wache ich nachts auf, wenn er seinen Arm um mich fester zuzieht, und bin schweißgebadet. Ich weiß nicht, was er mit mir tun wird, wenn ich wieder brauchbar bin. Wenn er nicht mehr mein großer Beschützer sein kann.
                    „Kannst du laufen?", reißt er mich aus meinen Gedanken.
                    „Ja, alles gut." Ich richte mich zu schnell auf und sehe Sternchen, kralle mich aber im Bett fest, sodass ich nicht umkippe. 
Er hilft mir hoch und ich gehe hinter ihm die Treppe hinunter. Meine Hand ist um den Handlauf gekrallt und als ich die drei Männer am Tisch sitzen sehe, stellt sich das als gute Entscheidung heraus. Meine Füße scheinen keinen Schritt mehr gehen zu wollen, als ich Gabriels eisige Miene erblicke. Er starrt Michael an und scheint uns noch gar nicht wahrgenommen zu haben und trotzdem habe ich das Gefühl von ihm durchbohrt zu werden.
                 „Guten Morgen!", Luke winkt mir zu und sein Grinsen reicht über das ganze Gesicht. Das Gesicht, das von eben dem Mann, der neben ihm sitzt, so misshandelt wurde. Sein Auge ist zwar nicht mehr so geschwollen, aber die dunkelverfärbte Haut rundherum macht es fast noch schlimmer. Wäre ich in meinem alten Leben so jemanden über den Weg gelaufen, hätte ich wahrscheinlich Reißaus genommen. Ich habe mich mit ihm immer gut verstanden, bis zu dem Moment, als ich mich sicher fühlte und ihm meine geglaubte Überlegenheit demonstrieren musste. Heute könnte ich mich dafür selbst ohrfeigen, aber woher sollte ich wissen, dass die Polizei unterwandert ist von kleinen dreckigen Verrätern. Ich bin selbst davon überrascht wie hart meine Worte klingen, aber als ich gerade noch hinter Sam stand und dann auch noch von meinen Füßen verraten wurde, waren die noch fast unschuldig im Vergleich zu meinen neuen. Was für eine Scheiße ist das Ganze hier eigentlich?
                    „Verdammte Kacke!", fluche ich, als ich mich gerade noch am Handlauf festhalten kann, bevor ich mit voller Wucht gegen Sams Rücken krache und gegen das Geländer fliege. Er fährt herum und fängt mich auf, als meine Kraft in der Hand nachgibt.
                    „Was machst du denn?", Luke kichert, verstummt aber, als Sam ihm einen Blick zu wirft, den ich nicht sehen kann. Er hebt die Hände verteidigend vor die Brust.
                    „Nichts passiert. Bin nur gestolpert.", flüstere ich und richte mich mit roten Kopf wieder auf. Sam sieht mich mit hochgezogener Braue an, nickt aber und geht vor mir zum Tisch.
                    „Guten Morgen.", brummt er und füllt zwei Teller. Gabriel sieht immer noch zu Michael und verdreht die Augen. Meine Angst, sie würden ihn töten oder schwer verletzen, scheint unbegründet, denn sein Gesicht ist bis auf die blutige Lippe, die ihm Luke gestern verpasst hat, unversehrt und so wie er blickt, scheint höchstens seine Laune nicht unversehrt geblieben zu sein.
Michael sieht zu mir und lächelt.
                   „Geht es dir besser, Dingo?" Ich nicke, kann ihm aber nicht in die Augen schauen. Wie lange werde ich diesen Namen noch hören müssen?
                   „Das freut mich. Sam, Gabriel und ich werden heute in die Stadt fahren und Luke bleibt hier bei dir." Aha. Luke ist also mein Babysitter. Er grinst mich an und streckt den Daumen nach oben. Michael wendet sich wieder mit ernsterer Miene an Sam.
                   „Sam, hast du alles zusammengepackt?"
                   „Ja, wir haben Kapazitäten für vier oder fünf, je nachdem wie schnell Luke wieder fit ist." Die drei Männer wenden sich an Luke.
                   „Hey, ich bin fit.", er verschränkt bockig die Arme vor der Brust.
                   „Wir können dich aber so nicht mitnehmen.", Michael deutet auf sein Gesicht.
                   „Da kannst du dich bei Gabriel bedanken, ist nicht meine Schuld."
Gabriel knurrt bedrohlich und zuckt mit den Achseln, gerade so, als hätte er Luke nur ein Bein gestellt oder ihn aus Versehen geschubst. 
                   „Schaffst du eine?", Michael ignoriert seinen Einwurf und blickt auf sein Handydisplay.
                   „Ich nehme auch zwei. Kein Problem.", Luke scheint immer noch beleidigt zu sein.
                   „Okay. Wir fahren in zehn Minuten los."

Als sie sich verabschieden, hebe ich kurz meine Hand und winke. Sam geht einen Schritt auf mich zu und beugt sich zu mir herunter. Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und schließt seine Arme kurz um mich. Von außen betrachtet, ist das eine süße Geste, die seine Zuneigung zu mir zeigt. Und trotzdem, meine Nackenhaare stellen sich auf. Soll er sich ruhig in Sicherheit wähnen und denken, dass ich seine Freundin bin. 

Wenn ich fertig mit ihm bin, wird er den Tag bereuen, an dem er mich das erste Mal gesehen hat.

Dingo - Der Feind ich meinem Bett (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt