Hier und Jetzt

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Hier in den Bergen im kalten Winter kann es eine unglaubliche Herausforderung sein, dass ganze Gebäude gleichwarm halten zu wollen. Das Haus in dem ich lebe erscheint mir an diesen Tagen einschüchternd groß; einschüchternd, wie die riesigen Schneemassen auf den Berghängen, die ungeduldig auf den Startschuss warten, um sich in eine gewaltige Schneelawine zu verwandeln.

Deshalb habe ich mir angewöhnt, nur die Räume warm zu halten, die mir wichtig erscheinen und in denen ich mich die meiste Zeit über aufhalte. Die anderen Räume erkalten, nähern sich allmählich den Außentemperaturen an und entziehen sich letztendlich meinem Interesse. Welch' eine Erleichterung.

Ich schenke meine Aufmerksamkeit stattdessen den gegenwärtigen Räumen und schließe alle anderen Türen sorgfältig ab und verschwende keinen Gedanken mehr an sie, sobald die Tür ins Schloss fällt.
Wieso das Gästezimmer aufheizen und Energie verschwenden, wenn ich doch gar keine Gäste erwarte?

Es gibt andere Räume, die man sich warm halten muss; Räume, die so viel mehr sind, als ihr bloßer Name vermuten lässt.
Das Wohnzimmer zum Beispiel ist für mich das „Hauptzimmer", hier verbringe ich die meiste Zeit und heize es dementsprechend auch oft auf. Mein Wohnzimmer ist das Zimmer, das für alle anderen ersichtlich ist.

Keinen interessieren die Räume die einmal waren oder die Räume die irgendwann vielleicht mal sein könnten.

Zudem gibt es natürlich noch andere Zimmer, in denen viel altes Zeug lagert. Altes, überholtes, nicht mehr zeitgemäßes Zeug. Es wird Zeit loszulassen und den neu entstandenen Platz mit neuen, aktuelleren, und somit wichtigeren Inhalten zu füllen.

Und die anderen Räume? In denen habe ich schlechte Erfahrungen gemacht und möchte die Türen nicht mehr offen lassen. Ich habe abgeschlossen und das ist auch gut so.
Wenn der Frühling kommt und die Temperaturen langsam wieder nach oben klettern, beschäftige ich mich vielleicht wieder mit diesen Räumen, denn in dieser Jahreszeit kann ich es mir leisten.

Doch solange sich die Frühlingssonne mir noch nicht zeigt, solange spare ich mir die Kräfte und verweile in meinem gemütlichen und aufgewärmten Wohnzimmer:

Solange lebe ich im „Hier und Jetzt".

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