Kapitel 44 / Jonas

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Ich wischte mir den Speichel, der mir während meines Nickerchen aus dem Mundwinkel gelaufen ist, mit meinem Ärmel weg.

Ich erschrak, als ich auf meinen Wecker sah. Es war bereits 16 Uhr. Ich hatte zwei Stunden lang geschlafen!

Nachdem ich das Wohnzimmer von den Chipskrümel befreit hatte, hatte ich meine Haare gewaschen und war tot müde ins Bett gefallen.

Gähnend streckte ich mich und hörte den Grund, weshalb ich überhaupt aus meinem Mittagsschlaf aufgewacht bin: Jemand klingelte penetrant an der Haustür.

Noch halb schlafend schleppte ich mich aus meinem Zimmer und beugte mich über das Geländer, da sah ich bereits meinen Vater zur Tür laufen.

,,Julia?", fragte er verwirrt und öffnete die Tür.

Jetzt war ich hellwach.

Frau Weber hatte rote Augen und schien generell in einem grauenvollen Zustand zu sein.

,,Ist sie bei dir, Sebastian?", fragte sie weinerlich.

Sie?

,,Was ist denn passiert?", wollte Papa wissen, bekam aber keine Antwort, da sich Frau Weber an ihm vorbeiquetschte.

,,Ella!", rief sie, dann sah sie nach oben und erkannte mich. ,,Jonas, ist Ella bei dir?"

Ich schüttelte meinen Kopf: ,,Nein, Sie haben sie doch heute Mittag abgeholt."

Was ist mit Ella? Geht es ihr gut?!

,,Oh Gott!", weinte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

,,Was ist denn mit Ella? Ist ihr was passiert?", wollte Papa alarmiert wissen.

,,Sie weiß es!", schluchzte Julia hysterisch und drückte meinem Vater seine Armbanduhr in die Hand. Ihm wich die Farbe aus dem Gesicht.

Hä? Woher hatte sie denn jetzt seine Uhr?

,,Wie lange suchst du sie schon?", fragte Papa eine Spur hastiger.

,,Sie ist seit vier Stunden weg! Sie ist in mein Zimmer gegangen und- und ha- hat es gesehen! Ich dachte, sie kommt irgendwann wieder, aber ich kann sie nicht erreichen und ich weiß nicht, wo ich noch nach ihr suchen soll!"

Ich riss meine Augen auf und bekam sofort Angst um Ella.

Was ist, wenn ihr was zugestoßen ist?

Papa nahm die weinende und schluchzende Frau Weber in den Arm.

,,Jonas?", Papa sah zu mir nach oben. ,,Weißt du, wo Ella sein könnte?"

,,Ich... Ich weiß nicht", unschlüssig trat ich von einem Fuß auf den anderen.

Ella war weggelaufen? Sie sah nicht nach einem Mädchen aus, dass einfach so weglaufen würde!

,,Vielleicht am Stausee?", fiel mir endlich ein. ,,Wir joggen da immer."

Papa flüsterte Frau Weber etwas zu, die nur den Kopf schüttelte, dann wog Papa sie weiter beruhigend in seinen Armen.

,,Hol Felix. Wir suchen nach Ella!", ordnete er an.

Felix war zwar nicht besonders erfreut darüber den Stream, den er gerade ansah, zu unterbrechen, aber er kam letztendlich doch nörgelnd mit.

,,Wieso sehen die eigentlich so vertraut aus?", flüsterte mir Felix auf dem Weg zum Stausee zu und nickte nach vorne zu Papa, der einen Arm um Frau Weber gelegt hatte.

,,Keine Ahnung", gab ich grübelnd von mir.

,,Papa war doch gestern bei euch, oder?"

Wie von der Tarantel gestochen holte ich mein Handy hervor und suchte die WhatsApp Nachricht, die mir mein Vater gestern Abend geschickt hatte.

Papa [20:20]
Hey, ich bin bei Vincent. Löst bitte kein Feuer aus und unterhaltet nicht die ganze Nachbarschaft!

,,Er soll bei Vincent gewesen sein", antwortete ich langsam.

Papas Armbanduhr, die Frau Weber mitgebracht hatte, ihre Worte und Ellas Verschwinden...

,,Oh shit", fluchte ich leise. ,,Bei den beiden läuft was!"

Felix schlug sich die Hand vor den Mund.

,,Ach du scheiße! Ist Ella deswegen davon gerannt, weil sie es herausgefunden hat? Wenn meine Mutter was mit meinem Lehrer anfangen würde, würde ich es nicht anders machen!"

Ich beschleunigte meine Schritte und holte Papa und Frau Weber ein, die nun am Ende des Waldes angekommen waren und sich nach Ella umschauten.

,,Psst, Jonas. Ist sie das?", Felix, der hinter mir her gerannt war, nickte zu dem blonden Mädchen, dass am Ende eines hölzernen Steges saß.

Ihre blonden Haare wehten im Wind und ihre Beine baumelten über dem Wasser. Der Steg war normalerweise das Dock für die Segelboote, die Anfang Dezember selbstverständlich nicht mehr im Wasser standen. Außerdem war der Bereich mit einem niedrigen Zaun abgesperrt, aber das dürfte Ella nun wirklich gleichgültig gewesen sein.

Ich hörte Frau Weber einen erleichterten Seufzer von sich geben, dann beeilte ich mich zu Ella zu gelangen. Leise kletterte ich über den Zaun und ging vorsichtig auf sie zu.

,,Hey", begrüßte ich sie, als ich mich neben sie setzte und ebenfalls meine Beine über dem Wasser hängen ließ.

,,Hey", Ella wischte sich ihre Haare aus dem Gesicht, in dem noch getrocknete Tränen zu erkennen waren. Sie lächelte mich sanft an, bis sich ihr Blick wieder über dem Stausee verlor. ,,Ich wollte nicht weglaufen."

,,Du hast das mit meinem Vater und deiner Mutter herausgefunden, oder?"

Ella lachte freudlos auf: ,,Es ist noch nicht einmal das, weißt du? Es... letztes Jahr ist einfach zu viel passiert. Irgendwie hat mich heute alles überwältigt."

,,Das kann ich verstehen, aber mach das bitte nie wieder mit dem Weglaufen. Ich hatte echt Angst!Außerdem kannst du doch nicht vor deinem besten Freund abhauen", fügte ich schelmisch hinzu.

Ellas Kopf drehte sich zu mir: ,,Wir sind jetzt beste Freunde?"

,,Ich sehe nichts was dage- uff!"

Sie fiel mir plötzlich um den Hals und drückte mich an sich.

,,Danke, Jonas", schniefte sie und ich verstand noch nicht einmal wirklich weshalb sie sich bedankte, wobei es eigentlich ziemlich einleuchtend war.

Wenn man oft umzog, musste es schwierig sein lange und tiefe Freundschaften zu pflegen.

,,Ella", eine weibliche Stimme wehte am anderen Ende des Steges zu uns.

Papa, Felix und Frau Weber waren ebenfalls über den Zaun gestiegen. Letztere breitete nun ihre Arme aus, in die ihre Tochter, nach einem bekräftigen Nicken von mir, rannte und Mutter und Tochter sanken weinend zu Boden.

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