Kapitel 35 / Sebastian

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Ich saß am Montagnachmittag im Verhörraum und meine Finger krallten sich nervös in meine Oberarme, dabei sollte ich eher noch schnell Schokolade für meine Söhne einkaufen gehen.

Es war der verdammte Nikolaustag, wobei der mit den Jahren wirklich in Vergessenheit geraten ist.

Aber stattdessen saß ich auf diesem unbequemen Stuhl und blickte seufzend auf meine Armbanduhr.

Natürlich hatte ich nicht auf Julia gehört und mir keinen Anwalt besorgt.

Wir groß war denn schon die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei dieser blöden Zeugenaussage mit ein paar Möchtegern-Kriminalkommissaren den Kopf verlor?

Meiner Meinung nach ziemlich gering.

,,Guten Tag, Herr Bergmann", eine etwa Anfang fünfzigjährige Frau betrat mit einem jungen Mann den Raum.

Sie stellten sich als Profilerin Regina Fechter und Kriminalkommissar Philip Rauscher vor. Ich verwettete den Gaming-PC, Jonas' Heiligtum, drauf, dass hinter der verspiegelten Scheibe Kerim Remzi stand.

,,Herr Bergmann, ich möchte mit Ihnen die Standardfragen noch einmal durchgehen, damit wir die Aussagen von 2000 erneuern können", begann die Frau, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte. ,,Herr Bergmann, Ihre Mutter Silvia Bergmann ist Stewardess-"

,,- und tot", unterbrach ich sie kühl. ,,Sie verstarb letztes Jahr im April."

,,Das tut mir leid", antwortete die Profilerin automatisch und blätterte um. ,,Und stimmt es, dass Ihr Vater Andreas Krämer Pilot ist?"

Diese miese Hexe!

Sie sah mich mit ihren wasserstoffblauen Augen unschuldig an, als hätte sie nicht eben ein hochsensibles Thema meiner Kindheit angesprochen.

,,Ich weiß nicht wer mein Vater ist oder als was er arbeitet. Ich habe ihn nie kennengelernt."

,,Aber Sie wissen, dass Ihr Vater, Andreas Krämer, der Ehemann der Schwester ihrer toten Freundin ist, stimmt's?"

Ich biss mir auf die Unterlippe.

,,Worauf wollen Sie hinaus?", brummte ich.

,,Sie wussten es, stimmt's? Sie wussten die Identität Ihres Vaters, bevor Ihre Freundin Julia Weber am Freitag mit ihrer Tochter ganz aufgelöst vor Ihrem Haus aufgekreuzt ist, habe ich nicht recht?"

Langsam fiel es mir immer schwerer dieser eiskalten Frau in die Augen zu sehen. Nicht weil ich Angst hatte bei einer Lüge ertappt zu werden sondern, weil sie mich mit allem, was sie hatte provozieren wollte. Sie wollte mich als Mörder meiner festem Freundin hinstellen und dieser Gedanke ärgerte mich nur noch mehr.

Schließlich hatte ich einen Job, mein Ansehen, mein Haus und meine Kinder zu verlieren und dieses Weib würde sie mir ganz sicher nicht wegnehmen.

,,Woher wissen Sie, dass Julia bei mir war?"

,,Oh, Herr Bergmann. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir Sie nicht beschatten würden, oder? Sie sind der interessanteste Mann in diesem Fall."

Das letzte Wort betonte sie überdeutlich, dass es mir beinahe schlecht wurde.

,,Behaupten Sie etwa, ich hätte meine feste Freundin umgebracht? Auf der Abschlussfeier? Auf einem Schiff voller Menschen?"

,,Ich behaupte nichts, Herr Bergmann. Ich habe noch nicht einmal von einem Mord gesprochen, wo Sie doch das Wort umgebracht benutzt haben. Glauben Sie denn, dass man Ihre feste Freundin damals umgebracht hat?"

,,Das stand in der Zeitung, verflucht!"

,,In der Zeitung steht viel", die Frau spielte mit ihrem Kugelschreiber, mit dem sie sich ab und zu Notizen machte, obwohl sie ein Aufnahmegerät dabei hatte und in der rechten Ecke auch noch eine Überwachungskamera war. ,,Wie fanden Sie den Zusatz, den mein Kollege Kerim Remzi hinzugefügt hat?"

,,Was?", überfordert sah ich sie an.

Welcher Zusatz?

,,Sie haben den Zusatz auf Seite 2 nicht gelesen?", fragte mich die Profilerin bedauernd. ,,Remzi hat angegeben, dass alle, die Kaja Preissner zum Zeitpunkt ihres Todes nahe standen, überwacht werden."

Ich versuchte mich angestreckt an den Zusatz in der Zeitung zu erinnern und verfluchte Remzi dabei so eine Scheiße angeordnet zu haben.

,,Und sie werden überwacht, seitdem man den Fall wieder neu aufgerollt hat", fügte sie hinzu.

Nein. Nein. Nein!

Dann wussten Sie, dass ich mich mit Julia mitten in der Nacht am Steg getroffen hatte. Dann wussten Sie, dass ich seitdem sie Kajas Leiche gefunden hatten, keine ruhige Nacht mehr hatte und um zwei Uhr morgens zum See fuhr. Dann wussten Sie, dass ich am Friedhof nicht nur vor dem Grab meiner Großeltern und meiner Mutter stand, sondern auch vor dem Grabstein von Julias Vater Edvin Strand und ihn jedes Mal um Vergebung bat.

Ich sah in die Augen der Profilerin. War jetzt alles vorbei? War ich geliefert? Meine Hände wurden feucht und ich musste schlucken.

,,Entspannen Sie sich, Herr Bergmann", lachte sie. ,,Sie glauben doch nichts ernsthaft, dass wir die Personalkapazität hätten, um Sie zu beobachten ohne einen triftigen Grund zu haben. Ich bin gestern nur zufällig an Ihrem Haus vorbeigefahren und habe Julia Weber mit ihrer Tochter vor Ihrer Haustür gesehen."

,,Sie haben mich angelogen", bemerkte ich trocken. ,,Sie wollten mich mit der Lüge aus der Reserve locken. Sie haben mir eine Falle gestellt, in der Hoffnung ich würde Angst bekommen und Ihnen irgendetwas verraten."

,,Ja, aber Sie haben nicht angebissen", die Profilerin schnalzte mit der Zunge. ,,Sie verbergen etwas, Herr Bergmann und ich werde herausfinden was das ist. Das kann ich Ihnen versichern."

,,Großartig", gab ich bissig von mir und richtete mich auf. ,,Brauchen Sie noch etwas von mir? Ich würde jetzt gerne die Schulaufgaben weiter korrigieren. Die erledigen sich nicht von allein."

,,Natürlich, Sie können gehen", antwortete sie und der junge Kriminalkommissar öffnete mir die Tür. ,,Wir sprechen uns, Herr Bergmann!"

Hoffentlich nicht.

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