,,Sebastian?", ich sah wie Frau Weber erleichtert aufatmete und sich die Hand vor den Mund hielt.
Als Papa seinen Wunsch geäußert hatte, sie zu sprechen, hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Schließlich war ich sein Sohn und keine x-beliebige Frau, die nach 21 Jahren Funkstille wieder auftauchte!
Dennoch hatte ich sie in den Flur gebeten und ihr das Haustelefon wortlos in die Hand gedrückt.
,,Oh Gott", eine Träne lief ihre Wange hinunter. ,,Ja, natürlich... Ja, ja... Das ist- nein! Sie können dich nicht- ... Natürlich mache ich das... Nein, du kannst doch nichts dafür! ... Ja, er steht neben mir ... Klar."
Frau Weber wischte sich ihre Tränen weg und reichte mir das Telefon, ehe sie ihr eigenes Handy herausholte, um Papa einen Anwalt zu besorgen.
,,Ja?", sprach ich in den Hörer.
,,Hör mal, Jonas", Papas Stimme klang müde und kraftlos. ,,Ich weiß nicht, wie lange ich hier bleiben soll, aber Julia wird sich um euch solange kümmern. Vincent ist sicher auch für euch da und Friedrich auch. Aber sollte irgendetwas passieren oder schiefgehen, musst du mir versprechen, dass du alles dafür tun wirst, um bei deinem Bruder zu bleiben, ok? Nichts ist wichtiger, als Felix, hörst du?"
,,Papa, wovon redest du?", Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus und seine Worte machten mir Angst und ließen mich wütend werden. ,,Du hast Kaja nicht umgebracht! Sie haben nichts gegen dich in der Hand!"
,,Aber die Profilerin verdreht alles und ich traue der alles zu. Aber nur weil ich mit dir über den schlimmsten Fall rede, heißt es ja nicht gleich, dass er eintreffen wird", Papa lachte leise. ,,Du wirst sehen, ehe du dich versiehst, bin ich wieder da."
,,Ok", gab ich mit ein wenig Hoffnung von mir.
,,Gibst du mir deinen Bruder?"
,,Ja, mach ich."
Nachdem Felix das Telefon bekommen hatte und unserem Vater irgendwann die Zeit zum telefonieren ausgegangen war, saßen Frau Weber, Ella, Felix und ich nun schweigend auf dem Sofa und wussten nicht so recht, was wir jetzt mit uns selbst anfangen sollten.
,,Glauben Sie, dass die Polizei ihm das anhängen kann?", fragte Felix in die bedrückende Stille hinein und sah Frau Weber an.
,,Nennt mich bitte Julia und nein", sie schüttelte den Kopf. ,,Dazu reichen ihre Beweise nicht. Sie werden mich brauchen, damit ihre Theorie aufgeht und ich werde definitiv nicht gegen Sebastian aussagen, weil es da nichts zu melden gibt! Euer Vater ist unschuldig."
Ella zog ihre Beine auf das Sofa, legte ihr Kinn auf ihre Knie und strich mir sanft über den Rücken.
,,Ich bin sicher, dass sie euren Vater bald wieder rauslassen", versuchte sie mich zu beruhigen.
,,Aber er wird einen enormen Imageschaden davon tragen und wenn sie nicht den echten Mörder finden, dann darf Papa vielleicht gar nicht mehr arbeiten! Die nehmen doch keinen Lehrer mehr, der wegen Mordverdacht in U-Haft saß!", grimmig biss ich auf meine Zähne und fuhr mir durch die Haare.
Julia seufzte und stand auf: ,,Ich werde euch alle drei mal für morgen in der Schule krank melden, bevor ich das morgen früh vergesse."
Mein Kopf schellte zu Ella: ,,Du schreibst doch morgen Mathe! Du musst die Schulaufgabe dann nachholen!"
Ella winkte ab und drückte mich kurz an sich.
,,Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich nach all dem noch irgendwas halbwegs sinnvolles zu Papier bekommen könnte, oder?", lachte sie freundlos und setzte sich wieder gerade hin. ,,Kann ich irgendwas für euch beide tun? Soll ich euch was zu trinken holen? Die Xbox anmachen oder den Fernsehr, um euch irgendwie auf andere Gedanken zu bekommen?"
,,Unser Vater sitzt gerade in U-Haft", Felix legte den Kopf schief. ,,Da wird man uns wohl kaum irgendwie ablenken können."
Julia kam wieder ins Wohnzimmer und blickte den alten Küchenschrank von unseren Urgroßeltern nachdenklich von oben bis unten an, dann kniete sie sich hin und öffnete die unterste Schublade.
Wir drei auf dem Sofa sahen uns fragend an.
,,Ha!", flüsterte Julia und kam mit einem Fotoalbum zurück, das ich noch nie gesehen hatte. ,,Eure Großmutter hat für ihr Leben gern diese Alben gemacht und das hier hat sie für unsere Schulzeit gemacht, die aus bekannten Gründen später gemieden worden ist."
Julia setzte sich auf das Sofa und legte das Album auf den Kaffeetisch.
,,Aber da euer Vater aufräumen genauso hasst, wie er Geschichte damals gehasst hat, nahm ich an, dass das Album noch in dem Schrank war und anscheinend in den letzten 21 Jahren nicht verlegt wurde."
Wir vier rutschten enger einander, damit wir einen guten Blick auf die Fotos bekamen und tatsächlich half es ein kleines bisschen Papa in jung und glücklich mit seinen Freunden zu sehen und es machte mir Mut. Denn er würde wieder so lachen wie auf den Bildern von damals, sobald man ihn da rausbekam.
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Vergissmeinnicht
Mystère / ThrillerEine Vermisste. Zwei Augenzeugen. Drei Leute, die die Wahrheit kennen. ,,Es wird Zeit den Fall neu aufzurollen, findest du nicht?" Vor über zwanzig Jahren soll ein Mädchen auf ihrer Abschlussfeier Selbstmord begangen haben, indem sie sich in den S...