Vergissmeinnicht

Kapitel 5 / Ella

Nachdenklich betrachtete ich in der Doppelstunde Französisch das Blatt, welches mein Physiklehrer Herr Bergmann mir in die Hand gedrückt hatte:

Tutorenprogramm für die Klassen 5 und 6:

Das Tutorenprogramm ermöglicht Ihren Kindern von älteren Schülern eine konkrete und gute Nachhilfe in einem schwachen Fach zu erhalten. Die Tutoren bekommen das Lernmaterial direkt von der entsprechenden Lernkraft und können auch mit ihren eigenen Schülerkenntnissen dabei helfen den Schulstoff entsprechend zu erklären. Sie verstehen sicherlich, dass dies auch den Tutoren eine Möglichkeit gibt ihr Taschengeld aufzubessern und Sie würden deshalb ihre Lernkraft mit 8 pro Stunde anbieten. Sollten Sie und ihr Kind daran interessiert sein, bitten wir Sie das Untenstehende auszufüllen.

Bei Fragen melden Sie sich telefonisch bei mir oder in einer Sprechstunde.

OStR Mario Hopf

,,Hey, Lara", flüsterte ich meiner Banknachbarin zu und legte das Blatt in mein Heft. ,,Weißt du, wie viel die Nachhilfe in der Stadt kostet?"

Lara-Sophie Stolz sah auf und musterte mich kritisch: ,,Keine Ahnung. Wieso?"

Ich zuckte mit den Schultern und begann den Hefteintrag von der Tafel abzuschreiben.

,,Jacob, psst!"

Lara kippte ihren Stuhl und stützte sich an der Tischkante von der Reihe hinter uns ab.

,,Was brauchst du denn, Schnuckelchen?", witzelte Jacob und sein Banknachbar Mathias lachte leise über den Spitznamen.

,,Wie viel hat deine Nachhilfe in der Stadt gekostet?", fragte Lara unbeirrt.

,,10 für 45min. Wieso fragst du?"

,,Einfach so", antwortete Lara und stellte ihren Stuhl wieder auf dem Teppichboden ab. ,,Reicht dir die Antwort?"

,,Ja, danke", flüsterte ich und lächelte sie an.

,,Quest-ce que le protagoniste de lhistoire a acheté, Ella? Et pourquoi?", rief mich die Lehrerin Frau Reber auf einmal auf.

Ihr Blick war streng. Sie hatte meine Lippen bewegen sehen und wollte mich nun eiskalt erwischen. Doof nur, dass mein Französisch durch den häufigen Aufenthalt in afrikanischen Ländern, die es oft als Amtssprache hatten, perfekt war.

,,Il a acheté du pain pour sa mère malade."

Mit einem knappen Nicken nahm sie meine Antwort auf und drehte der Klasse wieder den Rücken zu und langweilte uns weiter mit der Geschichte eines Protagonisten, der für seine kranke Mutter Brot kaufte.

,,Willst du Nachhilfe nehmen?", fragte mich Lara, als wir das Klassenzimmer zum Pausengong verließen und uns auf den Weg zu den Geographieräumen machten.

,,Naja, sollte ich nach meiner Physiknote oder nicht?", meinte ich sarkastisch und schob mich zwischen den schreienden Fünftklässlern durch.

,,Hat das der Bergmann zu deiner Mutter gestern gesagt, Ella?", fragte Dana, die auf einmal neben mir lief.

,,Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Hab nicht mehr mit Mum darüber gesprochen."

,,Wieso denn nicht?"

Warum musste dieses Mädchen überall ihre Nasen reinstecken?! Ich beeilte mich die volle Haupttreppe hinunter zu laufen, aber Dana bleib an meiner Seite kleben wie eine Klette.

,,Weil ich eingeschlafen bin, bevor sie nach Hause gekommen ist."

,,Um 20 Uhr schon?", hakte Dana nach.

,,Ja", brummte ich.

Dann hörte Dana auf und wir legten unsere Rucksäcke vor dem Klassenzimmer ab.

,,Hey, Ronny", Lara drehte sich zu der schlausten aus unserer Gruppe um. ,,Hast du den Hefteintrag für Geo gelernt?"

Veronika nickte und drückte ihre runde Brille auf die Nase.

,,Ja, ich denk der Herr Büchner will heute mit uns eine Ex schreiben."

Mein Herz rutschte in meine Hose. Ich hatte komplett vergessen für Geographie zu lernen, da ich bereits abgefragt worden bin.

,,Neeeiiin", beschwerte sich Dana und griff fluchend nach ihrem Geoheft. ,,Das Thema Umweltschutz ist doch so abgekaut! Wieso will der jetzt ne Ex darüber schreiben?"

Veronika lachte: ,,Hier, auf den zwei Blättern steht der Hefteintrag zusammengefasst drin. Wir können dann ja einmal durchwechseln."

,,Du bist ein Engel!", gab Lara von sich, mit der ich in ein Blatt schaute.

Und tatsächlich: Unser Geolehrer Herr Büchner kam zwanzig Minuten nach Pausenschluss mit einer Stegreifaufgabe in der Hand zu uns.

,,Naja", meinte Veronika nüchtern und stand auf, ,,wenigstens haben wir jetzt ein bisschen was gelernt und notfalls kann man bei dem auch noch abschreiben."