Bei der Arbeit war mein Kopf ein einziges Chaos. Wahrscheinlich hatte ich an diesem Tag den schlechtesten Werbeentwurf meiner Karriere erstellt.
Allein bei dem Gedanken an mein Projekt kam Scham in mir hoch. Dementsprechend war ich relativ glücklich, als ich am Feierabend mein Büro verlassen konnte, um mich auf den Weg zu Sebastians Söhnen zu machen, bei denen Ella und ich wenigstens vorübergehend zum Abendessen kamen, damit sie sich nicht so verlassen fühlten.
,,Julia Weber?"
Ich fuhr herum. Neben der Eingangstür meiner Arbeit stand eine Frau mit kurzen braunen Haaren und Lederjacke. Sie kam mit sicheren Schritten auf mich zu.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich die Fremde, die etwas jünger als ich sein musste. Irgendetwas in meinem Gehirn schlug Alarm, aber ich kam nicht darauf wieso.
,,Ja?"
,,Ich bin Janine Bergmann, die Exfrau von Sebastian."
Am liebsten hätte ich mir mit der Hand gegen die Stirn geschlagen.
Ja, klar. Sie musste ja irgendwann auftauchen.
,,Wie kann ich Ihnen helfen?", ich kreuzte meine Arme vor der Brust.
Schütze dich!
Janine Bergmann war einen halben Kopf größer als ich und ihr gegenüber fand ich mich beinahe hässlich. Sie hatte lange Beine, einen flachen Bauch, Brüste und feine Gesichtszüge. Ich kam mir stattdessen fast plump neben ihr vor.
Perfekt für eine Prostituierte, zischte die Schlange in meinem Kopf und fauchte sie an.
,,Janine allein reicht", meinte sie lächelnd. ,,Ich war heute bei Sebastian und er hat mir erzählt, dass seine Zukunft nun mehr oder weniger von dir abhängig ist."
,,Nun Janine, dann kann ich dich mal beruhigen: Ich halte Sebastian nicht für den Mörder. Brauchst du sonst noch was?", antwortete ich kühl.
,,Ja, Sebastian hat mir erzählt, dass du dich vorübergehend um unsere Söhne kümmerst. Ich würde sie gerne wiedersehen."
Mir gefiel diese Idee ganz und gar nicht und ich konnte noch nicht einmal sagen wieso. Ich mochte Janine einfach nicht. Vielleicht war das auch meine Eifersucht, die in dieser Hinsicht die Kontrolle übernommen hatte.
,,Die Jungs werden sehr überrascht sein dich nach... wie vielen Jahren wieder zu sehen?"
Mir war bewusst, dass das furchtbar gemein war. Sogar Janines Lächeln entgleiste etwas.
,,Es sind 13 Jahre", antwortete sich ohne mit den Wimpern zu zucken. ,,Julia, hör zu... Ich weiß nicht, was du durchgemacht hast und du weißt nicht, was ich durchgemacht habe. Sparen wir uns die Vorwürfe."
Ich löste meine Arme von der Brust und zuckte mit den Schultern.
,,Wie du meinst."
Janine folgte mir durch die Innenstadt.
,,Sebastian hat mir von euch erzählt", begann seine Exfrau die Unterhaltung. ,,Er hat dich wirklich gern."
,,Hm", besonders erpicht war ich nicht gerade mit einer fremden Frau über meine Gefühle zu reden, vor allem nicht mit ihr. ,,Sebastian hat mir auch von euch erzählt und den Problemen. Du siehst aus, als hättest du alles wieder im Griff?"
,,Ja, ich bin seit drei Jahren clean."
,,Drei Jahre?", verwundert blickte ich zu ihr auf.
Sie hatte drei Jahre lang die Möglichkeit gehabt, sich bei ihren Söhnen zu melden.
,,Du verstehst das sicher nicht", meinte Janine und steckte sich die Hände in die Jackentasche. ,,Ich war nicht bereit Felix und Jonas zu treffen. Ich hatte Angst ihre erwachsenen Gesichter zu sehen und dann wieder diesen inneren Schlag zu bekommen, der mich bereits einmal rückfällig werden ließ."
Verständnislos blickte ich sie an. Ich hatte noch nie Drogen genommen und verstand dementsprechend nicht viel mehr als Bahnhof.
Janine seufzte: ,,Als Felix auf die Welt kam, lag ich sehr lange in den Wehen und während einer der letzten Wehen, da war das wie so ein Schalter, der sich bei mir im Kopf umgelegt hat. Da war diese Stimme, die mir sagte: Erinnerst du dich an diese Sachen, die du mal zu dir genommen hast? Damals hast du keinen Schmerz gespürt. Und als Felix dann endlich auf der Welt war, hat er nicht geschrien. Die Doktoren haben sich in den Kreißsaal gequetscht und Felix in einen anderen Raum gebracht. Ich habe ihn noch nicht einmal halten können. Und als Sebastian dann auch schon wieder in die Uni gegangen ist, habe ich mich furchtbar einsam und verlassen gefühlt. Die Ärzte wollten mir nicht sagen, was mit meinem Kind los war und Jonas war bei einer Freundin, die noch schlief."
Die Frau blickte mich traurig an, als wir über eine Ampel liefen.
,,Die einzigen Freunde, die mich besucht haben, waren jene, die ich im Rotlichtmilieu kennengelernt habe. Eine von ihnen ist ebenfalls im Krankenhaus gewesen und hatte die anderen eingeladen, um bei mir vorbeizuschauen. Ich hatte mit ihnen den Kontakt abgebrochen, weil Sebastian es für die richtige Entscheidung hielt. Und genau diese Leute, die mein Leben bereits einmal ruiniert hatten, taten es wieder. Wie gesagt, weil ich mich so allein gefühlt habe, bin ich wohl ein leichtes Opfer für sie gewesen und dann war ich wieder schneller in dem Drogenrausch gefangen, als ich es eigentlich wollte."
,,Das tut mir wirklich leid", sagte ich nach einer kurzen Pause ehrlich betroffen und hielt vor dem Haus der Bergmanns an. ,,Wir sind da. Bist du bereit?"
Janine nickte.
Ich schritt voran und klingelte an der Haustür. Jonas öffnete mir.
,,Ich hab Besuch mitgebracht", war alles was ich aus mir herausbekam.
Jonas sah aus, als würde er jeden Moment umfallen. Die Treppe polterte und Felix kam zum Vorschein und als er seine Mutter sah, die neben mir stand, wurde er ganz blass um die Nase.
,,Hallo, Jungs", gab Janine vorsichtig von sich.

DU LIEST GERADE
Vergissmeinnicht
Детектив / ТриллерEine Vermisste. Zwei Augenzeugen. Drei Leute, die die Wahrheit kennen. ,,Es wird Zeit den Fall neu aufzurollen, findest du nicht?" Vor über zwanzig Jahren soll ein Mädchen auf ihrer Abschlussfeier Selbstmord begangen haben, indem sie sich in den S...