Kapitel 42 / Sebastian

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Der Geruch von karamellisierten Popcorn hatte mich aus meinem Büro gelockt. Ich liebte die Art von Popcorn, vor allem weil es mich immer wieder an Zeiten erinnerte, in denen die Welt noch gut war.

Das Bild, dass Jonas von mir, Julia, Kerim und Kaja auf dem Dachboden gefunden hatte, ist auf Kajas sechzehnter Geburtstagsfeier entstanden, die wir im Kino gefeiert haben und karamellisierten Popcorn ins Kino geschmuggelt haben.

Es war definitiv nicht mein Plan gewesen einen Flashback bei diesem Geruch zu bekommen, aber da die im Supermarkt nur noch die salzige und karamellisierte Popcornvariante hatten, musste ich eben damit leben.

Eigentlich wollte ich mich nur in die Küche schleichen, mir selbst eine kleine Schale von dem Popcorn klauen und dann selbst irgendwas in meinem Schlafzimmer anschauen, aber dazu kam ich nicht.

Stattdessen erwischte ich Ella und Jonas dabei, wie sie über ein Treffen mit Kerim redeten und darüber, dass mich die Polizei für einen potentiellen Mörder hielt.

Nicht gerade das, was man unter einer normalen Teenagerkonversation verstehen wollte.

Mir wurde schlecht, als Jonas seine Befürchtung äußerte bei seiner Mutter leben zu müssen. Wenig später fuhr ich mit meinem Auto aus der Garage zu der einzigen Person, mit der ich über meine Ängste reden konnte.

,,Sind die Kinder zu laut?", fragte mich Julia schmunzelnd, als ich in ihre Wohnung eintrat und sie hinter mir die Tür schloss.

,,Sie waren bei Kerim", ich fuhr mir durcheinander durch die Haare.

,,Was?!", Julia drehte sich erschrocken zu mir um. ,,Aber woher wissen sie von ihm?"

,,Jonas hat das Bild von Kajas Geburtstagsfeier mit uns vieren gefunden."

,,Scheiße", flüsterte Julia hinter hervorgehaltener Hand. ,,Was wissen sie?"

,,Oh, nicht viel", gab ich zynisch von mir. ,,Nur, dass ich Kaja umgebracht habe und die Polizei das weiß."

Ich lachte gehässig auf.

Julias Gesicht wurde weiß, dann ballte sie ihre Fäuste.

,,Das ist nicht lustig, Sebastian!", sie machte einen Schritt auf mich zu. ,,Wenn die Bullen dich abführen, sind deine Jungs am Arsch!"

,,Ich weiß das, Julia! Verdammt! Glaubst du, ich habe gerade Lust darauf im Gefängnis zu landen wegen Mord? Ich bin alleinerziehender Vater und Lehrer verdammte Scheiße, Julia!", ich rieb mir verzweifelt meinen Nacken.

,,Aber du warst es nicht, Sebastian!", flüsterte Julia traurig. ,,Ich lass schon nicht zu, dass dir was passiert!"

,,Und wie willst du das anstellen?", ich fuhr mir über mein müdes Gesicht. ,,Selbst wenn ich da heil rauskomme, kann ich nicht als potentieller Mörder wieder unterrichten. Sie brauchen jemanden, den sie für den Mord verantwortlich machen können!"

Julia trat einen Schritt zurück und kreuzte ihre Arme vor der Brust.

Weint sie etwa?

,,Ich habe Angst um dich", murmelte sie leise und sah mir in die Augen. ,,Wir müssen mit Kerim reden."

,,Genau", gab ich sarkastisch von mir. ,,Ich rede definitiv nicht mit dem Arschloch, das mir die ganze Scheiße hier eingebrockt hat. Er ist doch an allem Schuld!"

,,Hör mir zu, Sebastian!", Julia packte meinen Pullover und zog mich zu ihr. ,,Lass dein beschissenes Ego mal an die kurze Leine! Wir haben ein echtes Problem, um das wir uns kümmern müssen!"

,,Wie denn, hm?", ich berührte fast ihre Nasenspitze. ,,Indem wir ihm die Wahrheit sagen?"

,,Ja", hauchte sie wobei ihre Augen kurz zu meinem Lippen sahen.

,,Red keinen Schwachsinn, Julia! Wir haben die Wahrheit 21 Jahre lang geheim halten können, da werden wir es auch für den Rest unseres Lebens schaffen!"

Jetzt glitt mein Blick zu Julias wunderschönen Lippen und ich musste schlucken. Irgendwas in mir begann heftig zu bröckeln.

War das meine Kontrolle? Mein Verstand? Oder die Mauer in denen ich diese doofen Schmetterlinge im Bauch Jahre lang verstecken konnte?

Nur ein einziger penetranter Gedanke war in meinem Kopf: Küss sie!

Ich beugte mich zu Julia, die nicht zurück wich. Ihre Augen begannen sich zu schließen, dann küsste ich sie und es war das beste Gefühl seit Jahren.

Julia seufzte und schlang ihre Arme um meinen Nacken.

Ich roch ihr Parfüm, das gut riechende Shampoo in ihren Haaren und ich spürte ihre Trauer, ihre Verzweiflung und ihre Zuneigung.

Nach kurzer Zeit wurde ich mutiger und der Kuss wurde leidenschaftlicher. Julia schlang ihre Beine um mich und ich setzte sie auf ihrer Kommode ab.

Dann unterbrach sie den Kuss und fuhr mir sanft mit der Hand über meine Wange. Ihr Blick war warm und traurig zu gleich.

,,Werden wir es wieder bereuen?", fragte sie mich und strich mir über meine Haare.

,,Ich weiß es nicht", gab ich ehrlich zu.

,,Wenn unsere Kinder das erfahren, werden sie uns hassen", Julia lachte leise.

Ihr Gesicht und ihre liebevollen Berührungen waren wie Balsam auf meiner Seele.

,,Nicht mehr als sonst auch", flüsterte ich und küsste sie wieder.

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