Kapitel 9

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•Lucia Jones•

»Mom? Dad? Ich bin Zuhause!«, schreie ich durch das Haus. Die Tür schließe ich hinter mir ab, ziehe meine Lederjacke aus und hänge sie auf. Seelenruhig spaziere ich in die Küche, da ich einen riesen Hunger habe.

Im Diner habe ich nichts gegessen. Genau so wenig wie die Anderen. Wir haben alle nur einen Milchshake getrunken, uns unterhalten und sind dann getrennte Wege gegangen. Lange haben wir aber nicht geredet, weil jeder von uns etwas zu tun hatte. Chris muss auf die Zwillinge aufpassen, Charlie und Louis gehen gemeinsam ins Kino und ich muss mit meinem Vater shoppen gehen.

Apropos Vater... »Dad?«, rufe ich erneut. Keine Antwort. »Mom? Dad? Seid ihr hier?« Wieder keine Antwort. Also sind die nicht hier. Ich zucke mit den Schultern und wende mich dem Kühlschrank zu. Aus dem Kühlschrank hol ich einen Joghurt mit Kaffeegeschmack heraus und schnappe mir noch einen Löffel, um es essen zu können. Den Joghurt stelle ich auf die Tischplatte in der Küche ab und will mich schon umdrehen um ein Glas aus dem obersten Regal herunterzuholen, als ich ein Blatt auf dem Tisch sehe. Verwirrt nehme Ich ihn in die Hand.

Heute doch nicht shoppen.
-Dad.

Ich seufze. Na toll. Eigentlich war es ja klar, weswegen ich auch keinen Wirbel darum gemacht habe. Es ist immer so. Erst übertreibt er, wie wenig wir machen, wie sehr er wieder etwas mit mir unternehmen möchte und wie dieser Teenager, der unser Haus besprüht hat, ihn die Augen geöffnet hat und dann versetzt er mich für was weiß ich wen oder was. Es überrascht mich einfach nicht. Es würde mich eher überraschen wenn er mal wirklich etwas mit mir unternimmt.

Mein Vater arbeitet jeden Tag. Ich sehe ihn nicht so oft, da er ein viel beschäftigter Mann ist, wie er so schön sagt. Wir sehen uns zwar jeden Tag am Abend, wenn er pünktlich um acht wieder zuhause ist. Aber das einzige was passiert ist, das wir zusammen essen, er mit meinen Geschwistern etwas fernsieht und ich mich in mein Zimmer verschanze und behaupte, ich müssen etwas lernen.

Augenrollend nehme ich das kleine Zettelchen in die Hand, zerknülle es und werfe es dann in den Mülleimer.

Da ich alleine Zuhause bin, muss ich davon ausgehen das meine Mom einkaufen ist und meine Geschwister noch in der Schule. Meine Mom arbeitet schon lange nicht mehr. Sie hatte einen Unfall, der ziemlich lustig aber schmerzhaft war. Zumindest für sie war es schmerzhaft.

Vor zwei Jahren ungefähr haben meine kleinen Bruder jeweils ein Hoverboard bekommen. Die waren richtig cool und ich mochte sie sehr. Jedenfalls wollte es meine Mutter versuchen und am Anfang klappte es richtig gut. Sie konnte ein wenig fahren auch wenn nur langsam und mehr als nur vorsichtig. Dann geschah was geschehen musste. Meine Mom ist gestürzt und hat sich mehrere Knochenbrüche am Armgelenk zugezogen. Sie musste operiert werden. Zwei mal. Einmal um Platten reinzusetzen und einmal um sie herauszunehmen, weil sie viel zu sehr gestört haben.

Von dem Tag an darf sie keine schweren Sachen mehr mit der Hand tragen und hat auch dazu entschieden ihren Job aufzugeben. Klar, es ist kein Grund seinen Job hinzuschmeißen aber wir verdienen sowieso genug Geld durch meinen Vater, also ist es kein großes Drama. Wenn ich arbeite, werde ich natürlich auch etwas von meinem Geld meinen Eltern abgeben. Auch wenn die Beziehung zu meinen Eltern... wie soll ich sagen... beschissen ist, möchte ich für sie sorgen, wenn ich kann.

Wie gesagt, meine Beziehung zu meinen Eltern ist beschissen. Eigentlich unerklärlich. Manchmal gibt es Momente wo ich froh bin sie zu haben und im nächsten Moment will ich nichts lieber als meine Koffer zu packen und ganz weit weg von hier zu ziehen. Ich liebe meine Eltern, das tue ich wirklich aber... es ist kompliziert.

Sie verstehen mich einfach nicht. Aber wer tut das schon?

In ihren Augen bin ich ein pubertierender Teenager. Verrückt, wütend, aggressiv und zu sensibel. In meinen Augen bin ich... na ja, das ist jetzt nicht wichtig.

Seufzend schnappe ich mir ein Glas aus dem Regal und fühle es mir Wasser auf. Ich trinke die Hälfte davon aus und lege das Glas etwas zu unvorsichtig auf dem Tisch ab. Dann esse ich schweigend meinen Joghurt auf und starre in die Leere hinein. Dabei überlege ich was ich jetzt machen soll. Ich könnte zuhause bleiben und auf meine Schwester warten, die in einer Stunde kommen sollte. Dann könnte ich mit ihr etwas machen. Kochen, zum Beispiel.

Die Idee ist nicht schlecht aber ich denke ich habe heute keine Lust auf kochen. Wenn ich mir im Kopf widerrufe wie meine Mutter immer sauer wird, wenn ich koche, weil ich nicht direkt alles aufräume, vergeht mir der Spaß. Aber was anderes fällt mir gerade nicht ein.

Ich könnte meinen kleinen Bruder von der Schule abholen! Obwohl, das geht auch nicht. Meine Mutter wollte ihn heute abholen, wie auch meinen zweiten kleinen Bruder.

Wie es aussieht muss ich etwas anderes machen.

Vielleicht sollte ich zu Charlie gehen. Sie müsste noch mit Louis im Kino sein und Spaß haben, aber was soll's. Ich gehe zu ihr nachhause und hänge etwas mit ihrer Mutter ab. Sie kann mich zwar nicht so richtig leiden, aufhalten würde es mich trotzdem nicht. Charlie's Mom mag mich einfach nicht so sonderlich, was ich ihr nicht übelnehme. Ich bin eine Bitch, natürlich möchte sie nicht das ihre Tochter mit mir anhängt. Das ist mir aber egal und das weiß sie.

Na gut, ich sollte Stress vermeiden und mit einer Leiter vom Fenster aus in ihr Zimmer klettern. Dort würde ich auf sie warten. Ich war seit einem Jahr nicht mehr in ihrem Zimmer, wahrscheinlich hat sich da etwas geändert. Neue Planzen, oder Gemälde vielleicht. Was es auch ist, ich werde es lieben. Charlie hat das schönste Zimmer von uns beiden. Verständlich, sie ist verdammt kreativ. Man könnte echt neidisch auf sie werden.

Nachdem ich meinen Joghurt gegessen habe, werfe ich ihn weg und sprinte dann in mein Zimmer hoch, um mich umzuziehen. Auf die Schnelle schnapp ich mir eine graue Jogginghose und ein weißes kurzes Top. Eigentlich wollte ich noch ein Pullover anziehen, aber ich klaue lieber eines von meiner besten Freundin. Ich hätte auch eines von Louis nehmen können aber die sind alle in der Waschmaschine.

Ich renne wieder herunter in die Küche, heule mein Handy aus der Tasche und schnappe mir meine Hausschlüssel. Vor der Haustür ziehe ich meine roten snickers an und binde meine Haare zu einem hohen Knoten. Ein paar Strähnen löse ich und lasse sie locker von mir herunterhängen.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel, der gleich rechts ist, wenn man das Haus betritt, ehe ich schon raus spaziere und die Tür schließe.

Hold on tight to meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt