Es ist schon lächerlich, dass ausgerechnet jetzt Fetzen meiner Erinnerungen vor meinem geistigen Auge vorbeihuschen. Es ist beinahe so, als würde mein Leben mich verhöhnen.
Fühlt es sich so an, wenn das Leben an einem vorbeizieht kurz bevor es dem Ende hin zugeht?
Ich erinnere mich an meine Kindheit, an meine Eltern, die mich wie ein rohes Ei behandelt haben. Ich erinnere mich an Eliana, die plötzlich damit begann, nichts als Hass für mich zu empfinden. Ich erinnere mich an die erste Begegnung mit Meister Tarik, damals im Garten des Anwesens. Seine Aura war überwältigend. Mir war augenblicklich klar gewesen, welch starker Magier er war. Ich erinnere mich an all die Jahre des harten Trainings aber auch an die schönen Momente, die ich nahezu komplett mit Meister Tarik erlebte. Ich erinnere mich an den Tag der Artefaktverleihung, an das Gefühl, als ich Agira zum ersten Mal in den Händen hielt. Ich sehe den Moment vor mir, als ich zum aller ersten Mal in meinem Leben den Nachthimmel mit meinen eigenen Augen sah. All die unzähligen leuchtenden Punkte, die funkelnd auf mich herabstrahlten. Ich erinnere mich an den Anblick des ersten Sonnenaufgangs, an den Anblick meines Spiegelbildes, an den Anblick meiner Eltern, den Anblick Meister Tariks.
Wie unglaublich stolz er auf mich war.
Dieses Gefühl war so überwältigend für mich, dass ich es nie wieder missen wollte. Ich wollte, dass er weiterhin stolz auf mich ist. Deshalb habe ich so hart an mir gearbeitet, deshalb bin ich so weit gekommen. Als ich schließlich Alastair kennenlernte und erkannte, wie stark er ist, wollte ich auch seine Anerkennung. Ich dachte, wenn ein so fähiger Magier, wie er, voller Stolz sagen kann, dass er mein Bindungspartner in diesem Duell war, dann würde ich endlich auch die Anerkennung, den Respekt aller anderen für mich gewinnen.
Ich wollte doch nichts weiter, als endlich respektiert zu werden!
Mit einem Schlag fühle ich eine unglaubliche Hitze in mir aufsteigen. Ich habe das Gefühl, jeden Moment zu verbrennen. Ich spüre, wie sich die lodernden Flammen durch meinen Körper ziehen. Ich kann zwar nichts sehen, doch ich kann mit Sicherheit sagen, dass mein gesamter Körper gerade in Flammen steht.
Ein heller Aufschrei ist zu vernehmen, woraufhin sich ein Teil des gewaltigen Drucks, der auf mir lastet, löst. Hastig nehme ich einige tiefe Atemzüge, bleibe jedoch liegen. Die Umgebung und die Stärke meines Gegners zehren einfach zu sehr an meiner Kraft. Ich muss mich erst erholen, mich sammeln, überhaupt erst wieder zu Verstand gelangen. „Verdammt! Was fällt dir ein..", zischt Alastairs Projektion aufgebracht und prescht mit voller Kraft nach vorn. Davon bekomme ich allerdings nur am Rande etwas mit. Mein Geist ist noch immer von unendlicher Leere erfüllt. Meine Sicht ist noch immer so schwarz, wie die tiefste Nacht. Ich fühle nichts, ich spüre nichts. Lediglich den Fluss meiner Flammen vernehme ich deutlich.
Ein ziependes, zerrendes Gefühl durchströmt meinen Körper. Irgendetwas scheint mit aller Macht zu mir durchdringen zu wollen. Unfähig gegen diese Kraft anzukommen lasse ich all meine Barrieren, all die Mauern in mir in sich zusammenfallen. Ich habe nicht die Kraft sie länger aufrecht zu erhalten, wieso auch? Es hat ohnehin keinen Sinn mehr. Ich gebe mich dieser Kraft geschlagen, gebe mich ihr hin und spüre plötzlich eine unsagbar starke Präsenz. Beinahe dazu gezwungen meine Augen zu öffnen, sehe ich der Schwärze entgegen, doch anders als erwartet sehe ich ganz klar und deutlich, was sich vor mir abspielt.
Agira schwebt dicht über mir und verharrt an Ort und Stelle. Stirnrunzelnd betrachte ich mein Artefakt und schenke Alastairs Projektion, die nach wie vor versucht irgendwie durch meine Flammen hindurch an mich heranzukommen, keinerlei Beachtung. Obwohl Agira nicht auf meinem Nasenrücken sitzt, keinerlei physischen Kontakt zu mir hat, kann ich dennoch sehen.
„Unglaublich..", hauche ich und sehe meinem Artefakt dabei zu, wie es sich immer weiter und weiter von mir entfernt. Ich sehe, wie Agira durch den Raum schwebt, doch gleichzeitig sehe ich auch, was Agira sieht.
Es ist ein unbeschreiblich Erlebnis.
Nicht in Worte zu fassen.
Wie ist das überhaupt möglich?
Plötzlich erlischt meine Sicht. Die gewohnte Schwärze umgibt mich erneut, doch dieses Mal ist etwas anders. Ich kann klar und deutlich erkennen wo sich die Projektion befindet. Jedoch nicht so, wie ich es gewohnt bin. Ich sehe keine Person, keine Umrisse, keine Schatten. Ich sehe ein hell leuchtendes Violett, nur wenige Meter von mir entfernt. Die Erscheinung ähnelt einer Wolke, angestautem Nebel, wie auch immer man diese Form nennen mag.
Ein Gefühl neuer Kraft fließt durch meine schweren Glieder, schenkt meinen Muskeln neue Energie und lässt mich aufatmen.
Langsam erhebe ich mich vom Boden und stehe mit festem Stand wieder auf den Beinen. Ich lasse meinen Blick an mir herabwandern und kann noch immer nicht fassen, dass ich mich gerade aus zwei unterschiedlichen Perspektiven gleichzeitig sehe. Mein ganzer Körper ist umgeben von rotem Leuchten, welches nach außen hin in Orange übergeht. Mich beschleicht das Gefühl, dass, was auch immer hier gerade passiert, das Potenzial hat meine aussichtslose Lage doch noch zu meinen Gunsten zu drehen. Ich kann zwar nach wie vor nicht sonderlich viel gegen seine Magie ausrichten, doch immerhin kann ich nun seine Position ausfindig machen. In Sachen Nahkampf bin ich theoretisch, dank Meister Tariks hartem Training, zumindest ansatzweise ein ebenbürtiger Gegner. Nun, das Blatt hat sich scheinbar wirklich gewendet. Grinsend werfe ich der lilafarbenen Wolke neben mir einen frechen Blick zu.
„Dann wollen wir doch einmal sehen, wie sehr du mich tatsächlich unterschätzt hast", flüstere ich motiviert, ehe ich vorpresche. Ich hole mit voller Kraft aus und ziele auf den farbig stärksten Punkt der Wolke. Das muss der zentrale Dreh- und Angelpunkt meines Gegners sein. Der Ort, an dem sich seine Kraft konzentriert und verteilt. Ich lasse ihm keine Zeit sich von dem Treffer zu erholen. Sofort lege ich ordentlich nach und weitere gezielte Schläge folgen. Immer mit dem Ziel das Kraftzentrum zu treffen.
Beinahe blind vor Wut schlage, trete und prügle ich auf den violetten Nebel ein, welcher sich immer weiter zurückzieht und versucht mir auszuweichen, doch ich lasse ihn nicht. Schlag um Schlag spüre ich, wie meine Kraft stärker wird, wie sich meine Angriffe intensivieren. Nahezu ohne Limit wächst meine Kraft weiter heran. Fast so, als würde ich die Stärke meines Gegners mit jedem Schlag, mit jeder Berührung in mich aufnehmen. Wie eine Flamme, die den Sauerstoff um sich herum aufnimmt, um selbst zu brennen.
„Ich werde dir zeigen, wie hell meine Kraft strahlt! Heller als alles andere, was du bisher je zu Gesicht bekommen hast!", brülle ich grinsend, strahlend, strotzend vor Kraft.
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Blind Fire
FantasyDas Königreich Adaron ist bereits seit geraumer Zeit das Mächtigste der vier Lande. Seine ruhmreiche Ära hat es unter anderem seinen talentierten Magiern zu verdanken, von denen sich die Stärksten zu einem Bündnis zusammenschlossen. Der schwarze Ri...