- Kapitel 64 -

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Meine Schritte hallen von den Stahlwänden des Korridors wieder. Ich sehe weder links noch rechts. Alles was ich sehe ist der dunkle Teppich und der endlos lange Gang vor mir.
Meine Gedanken haben sich mittlerweile von einem tosenden Sturm zum absoluten Stillstand gewandelt. Das immer wiederkehrende Licht der Fenster blendet mich, stört mich.
„Agira, verdunkeln", befehle ich meinem Artefakt harsch und mit knirschenden Zähnen. Eine Angewohnheit, die ich von Meister Tarik übernommen habe.
Wie ferngesteuert bewege ich mich immer weiter auf mein Zimmer zu. Es kommt mir vor, als würde ich selbst meinen Beinen überhaupt nicht den Befehl erteilen sich fortzubewegen. Ich tue es einfach. Blind.
Die Klinke der Tür ist kalt und ein leises Klacken ist zu hören, als ich sie hinunter drücke. Ehe ich mich versehe finde ich mich inmitten meines kleinen Zimmers wieder. Abwesend starre ich vor mich hin. Unfähig mich zu bewegen, unfähig etwas zu tun, etwas zu sagen, etwas zu denken. Auch wenn ich den Großteil meines Lebens bislang völlig auf mich allein gestellt klarkommen musste und lediglich Meister Tarik auf meiner Seite stehen hatte, so war es ein schönes Gefühl einmal dazuzugehören. Sich aufgehoben zu fühlen. Es klingt wahnhaft, das ist mir durchaus selbst bewusst, doch Alastair gab mir zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Er hat mich nie verurteilt, nie bevormundend, nie bemuttert und nie bemitleidet. Er hat mich so behandelt, wie jeden anderen auch. Er hat mich bestärkt und an mich geglaubt. Er war so überzeugt von mir, dass er sich dazu entschied mein Bindungspartner zu werden.
Zaghaft schreite ich auf's Fenster zu. Ich stütze mich mit meinen Handflächen auf dem kalten Fenstersims ab.
Seine Überzeugung hat nicht nachgelassen. Er glaubt noch immer an mich. Er ist noch immer fest entschlossen, dass ich das Duell gewinnen kann. Doch wie soll das ohne ihn an meiner Seite funktionieren? Ich habe vieles bewältigen können. Dank Meister Tarik war ich auf vieles vorbereitet, doch..

„Ember? Ist alles in Ordnung?", unterbricht eine mir bekannte Stimme meine wirren Gedanken und trifft mich unverhofft. Erschrocken wende ich meinen Blick nach hinten und sehe Levion im Türrahmen stehen.
„Ich habe mehrfach angeklopft, doch es kam keine Reaktion, da dachte ich es könnte vielleicht etwas geschehen sein", erklärt er sein Eindringen. Ich atme die angestaute Luft aus und schüttle den Kopf. „Nein, nein. Schon gut. Es ist nichts. Ich bin nur..in Gedanken gewesen", stammle ich während ich einen Punkt auf dem Boden fixiere. Wissend senkt Levion den Blick und seufzt leise.
„Hast du dich schon entschieden?", stellt er mir die Frage, woraufhin ich verdutzt aufsehe. „Entschieden? Was meinst du?", entgegne ich ratlos. „Nun, ob du überhaupt zur dritten Etappe antreten willst und wenn ja, mit wem?", erklärt der Langhaarige und sieht mir dabei mit seinen stillen blauen Augen entgegen. Sein Blick erinnert mich an einen tiefen und ruhigen Ozean, der tausend Geheimnisse birgt.
Ich verarbeite seine Frage nur langsam.
„Das..das steht doch überhaupt nicht zur Auswahl", kontere ich und verschränke meine Arme vor der Brust. Überrascht hebt er die Brauen und schüttelt dezent den Kopf.
„Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Es würden keine Konsequenzen auf dich zukommen, solltest du deine Teilnahme am Duell zurückziehen. Du hast keinen Bindungspartner mehr, des Weiteren wurde mehr oder weniger ein Anschlag auf dich verübt. Das weiß auch General Sekurion. Er würde einen Weg finden dich zurücktreten zu lassen", meint er nachdenklich und sieht mir prüfend entgegen.
Sekurion würde einen Weg finden? Wenn er so allwissend und umsichtig ist, wieso kann er dann nichts für Alastair tun?! Ich stoppe die aufsteigende Wut in mir und schiebe den Gedanken weit nach hinten. Das ist jetzt nicht relevant.
„Zurücktreten..", murmle ich abwesend. Ich habe mir darüber ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht. Will ich denn überhaupt noch am Duell teilnehmen? Ohne Kalen? Mit einem völlig neuen Bindungspartner?
Sicher doch, Alastair sagte, er würde Sekurion darum bitten mir Levion zur Seite zu stellen, doch ob das letztendlich so läuft, wie er es geplant hat ist äußerst fragwürdig. Abgesehen davon kann Levion mir nicht hundertprozentig garantieren, dass ich meine Fähigkeiten wirklich behalten darf sollte ich zurücktreten. Das Risiko ist auf beiden Seiten zu hoch. Für was soll ich mich entscheiden? Was würde Meister Tarik tun? Was würde Alastair tun?
Was für eine dämliche Frage. Weshalb bin ich denn eigentlich in erster Linie hergekommen?
Wütend verziehe ich mein Gesicht. Ich bin hier um Mitglied des schwarzen Rings zu werden. Ich bin hier, um mir meine Freiheit endlich zu verdienen. Ich bin hier, um endlich nicht länger bemitleidet zu werden.
Seufzend atme ich aus und entspanne meine Kiefermuskeln wieder. Ja, das war mein eigentliches Ziel, doch ist es das noch? Ist es mittlerweile nicht noch viel mehr als das?
Gekränkt wende ich mich ab und blicke erneut aus dem Fenster. Insgeheim habe ich mir bereits vorgestellt, wie es wäre mit Alastair an meiner Seite zu gewinnen. Ich habe mir ausgemalt, wie es werden wird unter seinem Kommando zu dienen. Wie es wäre Teil seines Trupps zu sein. Wie stolz Meister Tarik wäre, wenn er sehen würde, dass ich einen Platz innerhalb des Trupps der großen Nummer zwei ergattern konnte. Wie stolz Alastair wäre..

Nein, zurücktreten ist keine Option für mich. Es war Alastairs Wunsch mich siegen zu sehen also werde ich alles in meiner Macht stehende tun, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Es würde ihm schließlich noch weniger nützen wenn ich nun wirklich zurücktreten würde. Nein, solange ich in seiner Nähe bin kann ich ihm am ehesten helfen auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich das anstellen soll. Doch ich finde einen Weg.

„Ich werde nicht zurücktreten", verkünde ich meine Entscheidung und bilde mir ein, ein schelmisches Funkeln in Levions Augen zu sehen.
„Gut, dann brauchen wir einen Plan und Alastairs Zimmerschlüssel", entgegnet er mir grinsend und schlägt ein Bein über das andere.

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