- Kapitel 101 -

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„Ich hätte nie gedacht, dass wir beide einmal gemeinsam zum letzten Mal durch diese Tore schreiten werden", entkommt es Tarik nostalgisch, während er seinen Blick zu Ember gleiten lässt, die ebenfalls mit allerhand Gepäck neben ihm in der riesigen Eingangshalle des Anwesens steht. Stumm nickt sie und sieht dabei betrübt zur Seite.
„Ja, das dachte ich auch nicht", stimmt sie ihm leise zu.
„Nun zieh nicht solch ein Gesicht. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir beide durch diese Türen schreiten, doch sicherlich nicht das letzte Mal, dass wir uns sehen. Ich erwarte jeden Monat mindestens einen Brief von dir, verstanden?", muntert er die Brünette auf und legt ihr dabei behutsam eine Hand auf die Schulter. Es bleiben ihnen noch ein paar Minuten bis sich die Belegschaft und die Eigentümer des Anwesens ebenfalls in der Halle einfinden, um die beiden zu verabschieden.
„Das ist bei weitem nicht das gleiche..", kontert Ember seufzend und lässt die Schultern nach vorn fallen. Ein wenig unbeholfen neigt Tarik den Kopf und tätschelt den ihren. Plötzlich hebt Ember die Hände vor sich und konzentriert eine gebündelte Menge an Kraft zwischen ihren Handflächen.
„Agira, kehre zu mir zurück. Videtur", spricht sie den Zauber aus, der ihr Artefakt wiederherstellt. Zunächst materialisieren sich die beiden schwarzen Bügel. Als nächstes zeichnen sich die goldenen Fassungen der Gläser ab, die in Verbindung der Brücke und den Gläsern den Abschluss bilden. Agira glüht förmlich in Embers Händen, der diese enorme Hitze nichts auszumachen scheint. Erstaunt sieht Tarik seiner ehemaligen Schülerin dabei zu, wie sie die Bügel auseinanderklappt und sich die Brille aufsetzt. Ein schelmisches Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.
„Wolltest du nicht zuerst deine Instinkte auf Vordermann bringen, ehe du Agira zurückholst?", triezt er sie, woraufhin sie ihm spielerisch in die Seite boxt.
„Ich sagte, dass ich ihn zurückholen würde, sobald ich ihn brauchen würde. Das ist nun der Fall", erklärt sie und sieht ihm mit klarem Blick entgegen. Wie lange hatte sie seine Gesichtszüge nun schon nicht mehr vor sich gesehen?
Das letzte Mal muss es vor ihrer Abreise in die Hauptstadt gewesen sein. Überrascht hebt er eine Braue an und fährt sich über seine zu einem kurzen Pferdeschwanz gebundenen Haare.
„Ich möchte diesen Abschied mit offenen Augen erleben. Schließlich ist es, so wie sie sagten..Meister. All meine Fähigkeiten sind ein Teil von mir, so auch Agira, der mir das Augenlicht schenkt. Ich möchte diesen Moment mit all meinen Sinnen in Erinnerung behalten", fügt die Brünette mit einem seichten Lächeln hinzu, was Tarik ein wenig überrumpelt. Verlegen lächelt er ihr zu während sich eine dezente Röte auf seinen Wangenknochen abzeichnet.
„Wann bist du nur so erwachsen geworden, Ember?", entkommt es ihm lachend.
„Bitte, nenn mich von nun an Tarik. Ich bin nicht länger dein Lehrmeister", korrigiert er sie lächelnd, doch sie schüttelt grinsend den Kopf.
„Für mich wirst du immer mein Lehrmeister bleiben, Tarik. Ganz egal, wie viel Zeit auch vergehen mag. Ich will, dass du weißt, dass du sogar weit mehr als nur das für mich bist", entgegnet sie und sieht ihm mit strahlenden Augen entgegen. Er hingegen zieht überrascht die Brauen nach oben.
„Du bist über die Jahre zu einem festen Bestandteil meiner Familie geworden. Ich sehe dich nicht nur als einen Freund oder meinen Lehrmeister an. Du warst und bist für mich wie ein Bruder, zu dem ich aufsehen kann. Zu keinem anderen habe ich solch eine tiefe Bindung, wie zu dir. Du hast mir alles beigebracht, was ich kann. Warst stets an meiner Seite und hast mich ermutigt nicht aufzugeben. Genauso, wie es ein großer Bruder eben tut. Selbst wenn nicht das gleiche Blut durch unsere Adern fließt, weiß ich genau, dass wir immer miteinander verbunden sein werden, egal wie weit wir auch voneinander entfernt sind", spricht sie zum ersten Mal ihre tiefsten Gedanken ihn betreffend laut aus.

Wie festgefroren starrt Tarik der Brünetten mit geweiteten Augen entgegen. Niemals hatte er solche Worte aus ihrem Mund vermutet. Nie hatte er sich vorstellen können, das von ihr zu hören. Selbst wenn er es insgeheim bereits vermutet hatte und genauso empfindet, so dachte er stets, dass sie einfach nicht die Art Mensch sei, die ihre Gefühle tatsächlich offen preisgeben würde.
Das Duell hat sie wahrlich verändert, schießt es ihm durch den Kopf, ehe sich ein gerührtes Lächeln auf seine Lippen schleicht. Sprachlos, wie er ist, reißt er sie aus dem Stand in eine feste Umarmung. Stumm drückt er sie so fest an sich, dass kein Blatt Papier mehr zwischen die beiden passt. Er hätte ohnehin nicht die passenden Worte gefunden. Ember erwidert die Umarmung und schlingt ihre Arme ebenso fest um ihn.
„Ich werde dich schrecklich vermissen", nuschelt sie in sein Gewand, woraufhin er ihr über den Haaransatz streicht.
„Du bist aber auch stets für eine Überraschung gut, was?", murmelt er kopfschüttelnd ehe er sich sachte von ihr löst, um ihr in die Augen blicken zu können. „Es ehrt mich sehr, dass auch du mich bereits als einen Teil der Familie ansiehst. Denn auch du hast einen besonderen Platz in meinem Herzen. Du wirst für mich auch immer meine kleine Schwester bleiben. Meine kleine Schwester, die ich aufwachsen sah. Der ich dabei zusah, wie sie Tag für Tag stärker wurde. Wie sie ihre Grenzen immer und immer wieder überschritten hatte. Meine kleine Schwester, die ich immer beschützen werde, auch wenn das mittlerweile nicht mehr notwendig ist. Meine kleine Schwester, die ich so sehr liebgewonnen habe", erwidert er lächelnd und hat sie noch immer leicht im Arm. Embers Augen füllen sich mit Tränen. Sie kann sich nicht dagegen wehren. Es geschieht einfach. Überrannt von der plötzlich ansteigenden Trauer drückt sie ihn erneut eng an sich und versucht aufkommende Schluchzer zu unterdrücken. Sie wusste, dass es schwer werden würde, doch dass ihr der Abschied so schwer fallen würde hatte sie nicht erwartet. Es fühlt sich beinahe so an, als würde ein Teil von ihr plötzlich aus ihrem Leben gehen, als wäre sie nicht länger vollständig.
„Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Ember. Ich bin mir sicher, dass du deinen Weg gehen wirst. Mehr noch, du wirst ihn glanzvoll gehen und alles um dich herum erstrahlen lassen. Du bist so unglaublich stark geworden und ich weiß, dass du in Zukunft noch stärker werden wirst. Ich werde vielleicht nicht länger aktiv ein Teil deines Lebens sein, doch so wie du bereits sagtest, werden wir immer miteinander verbunden sein. Also sei nicht traurig, denn dein Weg hat erst begonnen. Du wirst ihn zwar von nun an ohne mich gehen, doch das heißt nicht, dass sich unsere Wege gänzlich trennen. So wie Wellen kommen und gehen, so werden auch unsere Begegnungen kommen und gehen", redet er ihr beruhigend zu, woraufhin sie sich übers Gesicht wischt und sich nickend von ihm löst.
„Versprich es mir", meint sie heiser und hält ihm den kleinen Finger hin, sowie sie es früher immer taten. Lächelnd streckt auch Tarik seinen kleinen Finger aus und kreuzt ihn mit ihrem.
„Ich verspreche es", entgegnet er ihr leise.
Während die beiden ihr ganz eigenes Abschiedsritual vollziehen, lehnt Eliana sich nachdenklich ein Stück zurück und versteckt sich erneut hinter der Wand am Treppenabgang.

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