Eine unvermeidliche Begegnung

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Ajax verbrachte die folgende Woche in der Scheune. Das war wohl für alle Beteiligten besser so, weil es nur noch Streit im Haus gegeben hatte. Fast wünschte er sich, er wäre fort gegangen. Doch konnte er seine Geschwister hier im Stich lassen? Niemals... vielleicht sollte er einfach fliehen? Nur wie sollte er dann durchkommen, ohne Mora, und wohin sollte er überhaupt gehen? Nachdenklich betrachtete er den fallenden Schnee. War er wirklich das Monster, für das ihn alle hielten? Es geschah einfach, dass er Streitigkeiten anzog, wie ein Magnet... wohlmöglich lag ein Fluch auf ihm...

"Wie soll ich außer meiner kleinen Geschwister jemanden treffen, mit dem ich nicht streite?", fragte er sich und blickte in die Ferne. Doch seine Geschwister waren Kinder, unschuldig und freundlich... er hingegen war... auf der Schwelle zum Erwachsen werden und in diesem Dorf lebten nur alte garstige Menschen und die Welt war ihm zu klein... fast hatte er die Chance greifen können, dieses Drecksloch zu verlassen, aber die Fatui waren auch nicht der Ort, wo er sein wollte. In die Hauptstadt zu fahren hatte ihn immer schon gereizt. Aber eine militärische Ausbildung? Vielleicht war es nur genau das, was er machen sollte? Doch war er bereit, jetzt zu gehen? Wahrscheinlich war es ohnehin zu spät. Ajax seufze und ließ sich ins Heu sinken. Was sollte er nur tun?

Plötzlich hörte er seinen Vater im Hinterhof. Seine Schritte hörten sich laut an, das verhieß nichts Gutes. "AJAX!", brüllte er über den Hof und wartete dort mit verschränkten Armen.

Nachdem er die Augen verdreht hatte, setzte Ajax sich auf und überlegte kurz. Wenn er nicht kam, gab es Ärger. Das wusste er. Für einen Moment fragte er sich, warum sein Vater so wütend war. Immerhin war jetzt eine Woche seit dem Vorfall vergangen. Unsicher, aber dies mit einem trotzigen Stolz versteckt, kam Ajax sodann aus der Scheune.

"Ja, was gibt es, Vater?", fragte er höflich und klopfte sich das Heu von der Kleidung.

"Wir haben Besuch. Ich habe versucht, gute Worte für dich einzulegen aber mir bleibt nichts mehr zu sagen, außer... Leb wohl mein Sohn. Du musst jetzt schauen, wie du selber zurechtkommst", sagte der Vater ernst. Er schien streng, aber klang auch enttäuscht und traurig. Ajax sah ihn überrascht an. Was sollte das denn jetzt? Doch er konnte nicht lange darüber nachdenken, denn sein Vater ging voran und es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu folgen.

Als er mit seinem Vater mit in die Stube ging, saßen dort der Bürgermeister und ein Herr, den er nicht kannte. Mutter war damit beschäftigt, ihnen Tee aus dem Samowar einzuschenken.

"Da ist ja der Übeltäter", sagte der Bürgermeister tadelnd. Jetzt verstand Ajax. Offenbar ging es um den Vorfall mit den Fatui. Er fuhr sich verlegen durchs Haar, aus dem Heugräser hervorfielen.

"Wie siehst du überhaupt aus?", sagte die Mutter besorgt und zog Ajax die Grashalme aus den Haaren. Das war doch alles zu skurril, um wahr zu sein. Zum ersten Mal beobachtete Ajax den Fremden genauer. Er trug eine schwarzrote Uniform mit einem sehr ausladenden schwarzen Pelzkragen. Seine braunen Haare waren wie bei Soldaten zurückgegelt.

"Das ist also der Teufelsjunge... hm... macht einen ziemlich gewöhnlichen Eindruck", sagte er und lachte überheblich.

"Ja. Er hat aber Eure Rekruten niedergeschlagen, und das ohne Waffen, Sir", berichtete der Bürgermeister eifrig.

"Hmm... ich sehe...", sagte der Fremde in der Uniform und schritt auf Ajax zu. Er nahm sein Kinn fest in die Hand und betrachtete ihn ausgiebig bevor er ihn grob los ließ. "Woher hast du so kämpfen gelernt?"

Ajax fuhr sich übers Kinn und drehte sich weg ohne eine Antwort zu geben. So einem aufgeblasenen Typen war er gar nichts schuldig. Es war ihm auch bewusst, dass sich die Schlinge um seinen Hals langsam zuzog, aber der Fremde war ihm einfach zu unsympathisch, als dass er mit ihm reden wollte.

The birth of a heroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt