Ein großer Schritt nach vorne

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Es dauerte ein weiteres Jahr. So schnell flog die Zeit vorbei, weil Childe sich nur auf die Arbeit konzentrierte.

"Meine Dame!", sagte er tausendmal galanter, als Pulcinella, als er Signora die Tür aufhielt und ihr dann Unterlagen vorbeibrachte. Sie dankte es ihm mit einem Lächeln. Er war zwar oft nur ein Bote, aber er versuchte, sich bei allen Fatui hervor zu tun.

"Hier, ich habe einen Tee mit den Unterlagen gebracht", sagte er, als er den Stapel auf Scaramouches Tisch legte.

"Keiner hat dich darum gebeten, aber danke", grummelte Scaramouche und zog die Tasse an sich.

"Gerngeschehen, ich wollte nur nett sein", sagte er und winkte strahlend. Er ging weiter. Manchmal dachte er noch an das Gespräch mit Vitaliy. Man musste sich nicht direkt hochschlafen, aber Freundlichkeit und Anpassungsfähigkeit waren sicher nicht unnütz, um sich bei den Leuten einen bleibenden Eindruck zu verschaffen. Natürlich reichte das nicht aus. Also musste er noch einen Schritt weiter gehen. Und so ging er eines Tages zum Haus von Pedrelino, dem Ersten der Fatui. Er klopfte mit dem Türklopfer an und wartete. Seinem Haus nach zu urteilen, war er ein reicher Mann offenbar...

Pedrelino öffnete überraschenderweise selbst die Tür.

"Oh... Wer sind Sie und was verschafft mir die Ehre?", fragte er überrascht. Childe lächelte leicht.

"Nein, warten Sie. Ich habe Sie schon mal gesehen... Sie sind doch der Junge, den Pulcinella ausgebildet hat?"

"Ja, der bin ich. Man nennt mich Childe. Ich bin hier, weil ich einige Unterlagen für Sie habe und denke, dass Sie sich das mal anschauen könnten", sagte er und lächelte.

"Hm... wenn das so ist... nur zu", sagte Pedrelino etwas überrumpelt. Childe nickte und lächelte. Dann ging er mit dem Ersten der Fatui ins Arbeitszimmer und legte die Dokumente auf den Tisch. Er erklärte sie ihm, wie er sich die Strategien vorstellte und Pedrelino stimmte ihm zu.

"Ja, das klingt alles gut. Das kann man alles so machen. Sagen Sie Pulcinella, dass es so recht ist", sagte er, als Childe fertig mit seinen Ausführungen war und klopfte ihm auf die Schulter.

"Warten Sie. Nicht Pulcinella hat das geschrieben... das habe alles ich gemacht... weil ich dachte, die Fatui könnten etwas frischen Wind gebrauchen und ich wollte einfach mal etwas vorschlagen", sagte Childe und sammelte seine Unterlagen wieder ein. Dabei entging ihm nicht Pedrelinos verwunderter Blick.

"Wie ungewöhnlich... aber Pulcinella hat wohl einen ziemlich talentierten Auszubildenden...Ich dachte, Sie sind nur Soldat?", fragte Pedrelino überrascht.

"Zur Zeit... aber es hat mir Spaß gemacht, sowas zu schreiben, ich kann es gerne öfter tun, wenn die Obersten Fatui Unterstützung benötigen", erwiderte Childe und grinste schief.

"Hmm... das tun wir eigentlich immer... ich werde darüber nachdenken, und auf Sie zurückkommen", entgegnete Pedrelino und reichte Childe die restlichen Unterlagen.

"Ich danke Ihnen. Von Herzen", sagte Childe und lächelte. Dann schnappte er sich die Dokumente und ging euphorisch aus dem Haus. Als er auf die Straße trat, jubelte er erstmal vor Freude. Das konnte ja nur noch besser kommen...

#

Eines Nachts war Childe auf dem Rückweg vom Trainingsplatz durch die Kaserne. Er blickte zu den Baracken und erinnerte sich daran, wie er dort in der ersten Nacht angekommen war. Das war noch etwas gewesen. Natürlich hatte es nicht allzu lange gedauert, bis Pulcinella ihm ein besseres Quartier gegeben hatte, als er sich immer besser entwickelt hatte. Aber Childe wollte nie vergessen, woher er gekommen war, damit er sich vornahm, noch weiter zu gehen.

Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als er zwei Männer bemerkte, die sich unterhielten. Als ihm auffiel, dass es sich um Pedrelino und Pulcinella handelte, versteckte er sich schnell hinter einem Baum.

"Wir haben das Konzept übrigens übernommen. Ich kann nicht verstehen, warum du mir nicht gesagt hast, dass dieser Junge so ungeahnte Talente hat...", hörte er Pedrelino sagen.

"Ja, die hat er, das ist richtig. Er ist ja auch mein Auszubildender", sagte Pulcinella kühl.

"Und du wolltest ihn nicht zu einem obersten Fatui ausbilden?", fragte Pedrelino, "denkst du nicht, dass er unterfordert mit deinen Kinder-Aufgaben ist? Ihm ist langweilig und das hat er gezaubert", sagte Pedrelino und zeigte auf das Konzept. "Das kann uns nützlich sein..."

"Das war anfangs der Plan. Aber es hieß doch irgendwann sowieso, dass es keine weiteren von uns mehr geben wird. Und vorher war er eben noch nicht bereit", murmelte Pulcinella, "er ist es jetzt immer noch nicht."

Childe ballte die Hände zur Faust. Hatte ihm irgendwer vorher den Posten weggeschnappt, obwohl er so hart gearbeitet hatte? Es waren schließlich nicht immer Zehn gewesen... Hätte er einfach schneller sein müssen? War es jetzt zu spät für immer? Und hätte er nie eine Chance, wenn Pulcinella dem nicht zustimmte?

"Das Blatt hat sich gewendet. Wir können einen Elften ausrufen. Seit Kurzem haben wir ein äußerst interessantes Objekt erhalten. Es ist von dämonischer Macht. Wer soll es sonst führen, außer ein Mann mit besonderen Kräften und militärischer Stärke? Wenn es einer tragen kann, dann er. Und dieses Konzept hat mir gezeigt, dass er auch was auf dem Kasten hat. Du weißt genau wie ich, dass wir Unterstützung an der unsicheren Grenze in Liyue gebrauchen können", sagte Pedrelino überzeugt.

Childe machte große Augen. Jetzt hätte er zu gerne Pulcinellas Gesicht gesehen, aber er konnte es nicht, das ließ der Winkel in dem er stand, nicht zu.

"Aber... ich... ist das dein Ernst? Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob Childe dazu in der Lage ist und ob...die anderen Fatui dem zustimmen", wandte Pulcinella ein.

"Das werden sie, davon bin ich überzeugt. Und ich weiß, es gab Probleme, aber gib deinem Auszubildenden eine Chance, sich zu beweisen. Die hat er sich verdient", sagte Pedrelino und ging von dannen. Pulcinella blieb alleine zurück und sank in die Knie.

"Mein Junge...", sagte er leise und blickte in den kalten Nordhimmel. Childe blieb unsicher hinter dem Baum stehen. Gerne hätte er gewusst, was Pulcinella dachte. Warum glaubte er nicht, dass er bereit dazu war? Er war keine sechzehn mehr... doch umso glücklicher war er, dass er es offenbar geschafft hatte, egal was Pulcinella dachte – er würde der Elfte der Fatui werden! Am liebsten hätte er gejubelt, aber das konnte er noch, wenn es dann endlich offiziell war. So ging er eben einfach leise zurück zu seinem Quartier. Mit einem stolzen Lächeln auf dem Gesicht. Was würden wohl Vitaliy und seine Freunde denken, wenn sie das wüssten...?

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Wenig später war es offiziell. Pedrelino hatte Childe die entsprechenden Papiere zukommen lassen, die ihn zur militärischen Ehrung an den Zarenpalast einluden. Er konnte sein Glück nicht fassen. Endlich würde er für seine großen Mühen belohnt werden. Natürlich hatte er schon einen Brief nach Hause geschrieben, in dem er versuchte, zu erklären, dass er jetzt direkt am Zarenpalast auf eine sehr hohe Stellung befördert wurde. Er hoffte, dass sein alter Herr stolz auf ihn sein würde. Endlich einmal in seinem Leben.

Er wusste gar nicht genau, wie er sich auf den Anlass vorbereiten sollte. Childe grinste, als er an Vitaliys dummes Gesicht zurück dachte, an dem Tag als er es ihm erzählt hatte.

"Was!? Es gibt jetzt Elf von den Sklaventreibern und du wirst einer von ihnen?", hatte er gefragt.

"Ja. Mit dem Unterschied, dass ich meine Untergebenen fair behandeln werde", war Childes Antwort gewesen.

"Oh. Verpiss dich einfach. Ich bin nicht neidisch oder so", hatte sein Kollege erwidert. Childe hatte nur gelacht.

Das war etwas gewesen. Bald würde er endlich diese Kaserne verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen. Pedrelino hatte gesagt, dass sie Unterstützung in Liyue brauchen würden... wie das Land wohl so war? Bisher wusste er nur, dass es dort sehr warm sein würde. Es wurde Zeit, dass er sich schon mal lockere Kleidung kaufte. Aber eigentlich war er auf den Weg in die Stadt, weil er sich eine besonders festliche Uniform für den Abend am Zarenpalast besorgen wollte. Dafür ging einiges an Mora drauf, zum Glück hatte er einiges beiseite gelegt. Als einer der Elf würde er auch ein reicher Mann werden. Nie wieder Geldsorgen zu haben... darauf war er auch nicht vorbereitet. Wie aufregend das alles war...

The birth of a heroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt