Am Samstag war der große Tag – die obersten Fatui hatten ihren Gala-Abend mit der Zarin. Childe wäre auch gerne mitgekommen, aber er wusste, dass sie ihn niemals lassen würden. Also sah er sich dazu gezwungen, zu besonderen Mitteln zu greifen, in der Hoffnung... dass sich das Blatt für ihn wendete.
Und so bestach er einen der Fahrer, tauschte mit ihm die Uniform und fuhr eine der Kutschen direkt vor den Zarenpalast. Er blieb regungslos sitzen, als er sah, wie Pulcinella und la Signora aus der Kutsche stiegen. Er reichte ihr die Hand und sie traten weg. Zum Glück hatten sie nicht zu ihm gesehen. Childe blickte auf den riesigen verschneiten Platz vorm Palast, dessen goldene Türme in den Himmel ragten. Er hatte den Palast schon öfter gesehen, aber so nah war er ihm noch nie gewesen. Er konnte sogar einen Blick hinein erhaschen. Da drinnen waren lauter reiche und schöne Leute... die schicke Kleider trugen, teuren Alkohol tranken und tanzten... wovon er gerne ein Teil gewesen wäre. Aber es war ihm, dem Dorfjungen, wohl nicht vergönnt. Obwohl er sich so anstrengte, bis er zusammen brach... er ballte seine Hand zur Faust. Es war nicht gerecht. Doch so war das Leben in Snezhnaya eben. Die Reichen konnte man wohl alle in einem Ballsaal unterbringen. Der Rest von der Bevölkerung war bitter arm. Wenn er könnte, würde er daran etwas ändern. Aber dazu musste er selbst einflussreich werden. Der Fahrer hinter ihm läutete plötzlich hektisch. Er war nicht weitergefahren. Und so reihte er sich wieder in die Kolonne ein, um einen Abstellplatz für die Kutsche zu suchen, während er dem Zarenpalast einen letzten Blick zuwarf.
Nachdem er die Kutsche abgestellt hatte, ließ er sie in der Obhut der anderen Fahrer, die ihn nun auch erkannten, aber das war nicht so wichtig. Er erzählte ihnen einfach, dass er mit Pulcinella hier war, ob es nun stimmte oder nicht. Dann eilte er zurück zum Palast. Dort suchte er nach einer Möglichkeit, an den Wachen vorbei zu kommen. Das war natürlich kein einfaches Unterfangen, aber wenn er wirklich der beste Soldat im ganzen Regiment war, wäre es doch ein leichtes für ihn, oder?
Und so verschaffte er sich wirklich einen Weg in den Palast. Er hätte es dabei belassen können, sich dort zu amüsieren als anonymer Gast, aber das war es nicht, was er wollte. Nein... immerhin hatte er Pulcinella versprochen, ihn zu überraschen. Und so passte er genau den Moment ab, in dem die Zehn der Fatui nach vorne traten, um sich bei der Zarin vorstellen und lief auf die Gruppe zu. Weit kam er nicht, nun wurde er von den Palastwachen festgehalten.
"Wartet! Mein Name ist Childe und ich bin der Fahrer von den werten Herrschaften hier...", sagte er und versuchte sich zu befreien.
Pulcinella hob die Hand, ohne sich umzudrehen.
"Das stimmt. Lassen Sie ihn los", sagte er knapp. Childe atmete auf. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es auch hätte anders ausgehen können. Aber das konnte er sich nicht leisten. Wer würde denn sonst seine Arbeit machen? Childe klopfte sich über die Kleidung, als die Wachen ihn endlich losließen. Dann blickte er auf. Er konnte sie sehen... die Zarin... nur von einiger Entfernung, weil er nicht weit gekommen war... aber sie war, wie er es erwartet hatte. So hoheitlich schön... und wenn er es richtig sehen konnte, sah sie in diesem Moment auch hier her...
"Was machst du hier?", fragte Pulcinella schließlich, als sie weiter nach vorne gingen. Er schien nicht sonderlich glücklich darüber.
"Mit der Kutsche ist alles in Ordnung, wenn du das meinst", sagte Childe frech.
"Du weißt genau, was ich meine. Wir haben eine Unterredung mit der Zarin. Du bleibst hier. Amüsier dich von mir aus, aber wehe du stellst irgendeinen Blödsinn an", drohte ihm Pulcinella und ging wieder zu den anderen. Childe seufzte. Er hatte gehofft, dass er die Zarin von Näherem sehen könnte. Aber immerhin hatte er es weiter geschafft, als er es je für möglich gehalten hatte ... und wenn er so weiter machte, dann wäre er morgen vielleicht der Elfte der Fatui, wer wusste das schon?
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Als sie wieder zurück in der Kaserne waren, ging Pulcinella äußerst distanziert mit ihm um. Eigentlich hätte er ihn auch dafür direkt entlassen können, nach dem was er getan hatte. Childe wusste nicht, was jetzt passierte. War es das, wovor er ihn gewarnt hatte? Er seufzte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und sich so zu verhalten, wie immer. Vielleicht würde dann Gras über die Sache wachsen. Er würde einfach das tun, was ihm gesagt wurde. Aber er merkte es, dass er bestraft wurde. Die guten Aufträge übernahmen jetzt andere Leute, die sie nicht mal halb so gut kommandierten. Pulcinella ließ ihn auf dem Boden kriechen und er als sein Auszubildender... hatte keine andere Wahl.
Jetzt musste er sogar schon das Gepäck einräumen, als eine Gruppe, bestehend aus den obersten Fünf, la Signora und einigen Rekruten nach Liyue aufbrach. Fluchend warf er die Gepäckstücke in den Wagen.
"Ich weiß nicht, was du hast, du wolltest doch unbedingt unser Fahrer sein. Also gehört sowas auch zu deinen Aufgaben", sagte Pulcinella süffisant, bevor er mit den anderen in die Kutsche steigen wollte.
"Hmpf. Wenn ich eurer Fahrer wäre, dann würde ich jetzt aber mit nach Liyue dürfen", erwiderte Childe trotzig.
"Also die Chance hast du dir wirklich verspielt. Ansonsten hätte ich darüber nachgedacht, dich mitzunehmen", sagte Pulcinella kühl. Dann stieg er ein und schlug die Tür zu. Er ließ einen traurigen Childe zurück, der unter Tränen versuchte, zu lächeln.
"Warte nur...", sagte er leise, als die Kutsche losfuhr, "eines Tages werde ich an deiner Seite nach Liyue fahren..."
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The birth of a hero
FanfictionEin Streit in einem Ort, Schneeflocken in Shnezhnaya, einsame Nächte in der Kaserne, ein Mentor, von dem der Junge ohne Namen nicht weiß was er halten soll... Was ist geschehen, bevor Tartaglia aka Childe einer der Elf wurde und nach Liyue gekommen...