Die Rettung

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„Bringe Kylo Ren zu mir. Es ist Zeit, dass seine Ausbildung beendet wird."
Wenige Worte des Obersten Führers hätte General Hux in diesem Augenblick unwilliger aufgenommen. Er wusste jedoch aus Erfahrung, dass Widerspruch zwecklos war und wenn er Zeit vergeudete, würde er es unter keinen Umständen mehr schaffen, die Starkiller Basis lebend zu verlassen, ob mit oder ohne Ren.
„Wo ist er?"
„Auf der Planetenoberfläche. Geht jetzt."
Snokes Hologramm verblasste und Hux' Gesicht war seine Wut und Enttäuschung nicht anzusehen. Nur seine Hände ballten sich zu Fäusten, so dass das Leder seiner Handschuhe spannte. Er machte auf dem Absatz kehrt und musste im nächsten Moment einem riesigen Metallstück ausweichen, das von der Decke krachte und ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte.
Erniedrigend. Eine Demütigung ohne Gleichen, von der Basis zu fliehen, die er selbst miterschaffen hatte und die dazu auserkoren war, Planeten zu zerstören. Herabwürdigend, wie ein gejagtes Tier flüchten zu müssen von dem Ort, den er befehligt hatte, seiner großen Hoffnung, der Waffe, die ihm seinem Ziel nähergebracht hatte. Und in seinem tiefsten Innern war er sich sicher, dass auch hieran Kylo Ren die Schuld trug. Wie an allem, was in seinem Leben nicht geordnet und geradlinig verlief.
Sein meist ausdrucksloses Gesicht verzerrte sich zu einer Maske des Schmerzes, als er von einem heißen Eisensplitter am Arm getroffen wurde und wütend stieß er einen verirrten Sturmtruppler zur Seite, der ihm auf seinem Weg zu den TIE Fighters entgegenkam. Das war nicht seine Art. Kylo Ren war derjenige, der vor Wut die Kontrolle verlor. Er musste sich zusammenreißen, auch wenn sein Lebenswerk gerade um ihn herum in Schutt und Asche versank. Sirenen schrillten, er hörte etwas im Innern der Basis bersten und der erste Weg, den er nehmen wollte war von Metallteilen versperrt. Nur der Tatsache, dass er den Bauplan der Basis in und auswendig kannte war es geschuldet, dass er es überhaupt bis zu den TIE Fightern schaffte. Die meisten von ihnen waren bereits verschwunden. Gekapert von feigen Untergebenen, die bei den ersten Schwierigkeiten ihre Posten verlassen hatten, um zu fliehen. Es war sein Glück, dass er immer vorausplante, jede noch so unwahrscheinliche Möglichkeit bedachte und einige der Flieger mit einem speziellen Code versehen hatte, den nur er kannte. Er war kein guter Pilot. Das wiederum war schon immer Kylo Rens Stärke gewesen. Er konnte planen, befehlen, konstruieren. Er hatte Visionen und die Fähigkeit eine Armee unter sich zu vereinen. Das direkte Gefecht lag ihm nicht. Zu wenig subtil, zu aggressiv. Genau richtig für jemanden wie Kylo Ren, der keine einzige seiner Emotionen unter Kontrolle hatte.
Dennoch wusste er natürlich was er zu tun hatte. Er konnte einen TIE Fighter fliegen, denn es wäre nicht infrage gekommen, dass er nicht in jeder Situation in der Lage war, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die augenblickliche Verwirrung, die ihn im Cockpit überkam, war mehr der allgemeinen Situation geschuldet, der Tatsache, dass alles um ihn in sich zusammenfiel, dessen er sich sicher gewesen war. Es fühlte sich an, als würden auch in seinem Innern Risse entstehen. Aber er kannte diese Risse und er wusste, dass er ihnen auf keinen Fall erlauben durfte, die Oberhand zu gewinnen. Seine Kiefer pressten sich aufeinander und seine Faust schloss sich fest um den Steuerknüppel. Dann raste der Fighter auf das geöffnete Tor der Basis zu und er musste sich darauf konzentrieren, Trümmerteilen auszuweichen, die jetzt auf ihn herabregneten.
Als er im Freien war, bot sich ihm ein Anblick, der sein Blut zu Eis gefrieren ließ. Nicht nur seine Basis, der gesamte Planet war dabei, zu zerfallen. Auf seiner Oberfläche bildeten tiefe Krater, die alles hinabzogen. Gewaltige Baumriesen stürzten nieder wie gemähte Grashalme und die Erdoberfläche wurde von Beben erschüttert. „Unmöglich ihn hier zu finden, oberster Führer", flüsterte er. „Das hier kann er nicht überlebt haben. Nicht, wenn er schon länger hier draußen ist." Es war fast unmöglich, nah an der Oberfläche des Planeten zu fliegen, der jetzt förmlich auseinander barst.
Warum überhaupt war Kylo Ren noch immer hier draußen? Hux war nach dem Explodieren der Bomben die Nachricht überbracht worden, dass Ren aufgebrochen war, um den Kampf mit dem seltsamen Mädchen aufzunehmen, das er an Bord gebracht und das ihn überlistet hatte. Er hätte sie längst besiegt haben müssen. Warum war er mit ihr nicht zur Basis zurückgekehrt?
Hux spürte, wie ihn erneut rote Wut übermannte, die fast seinen Blick vernebelte. Für einen Augenblick wünschte er, dass Ren seine eigene Unbedachtheit diesmal zum Verhängnis geworden war und der sterbende Planet ihn mit in den Abgrund gezogen hatte. Er dachte sogar darüber nach, Snoke einfach die Botschaft von Kylos Tod zu überbringen, ohne überhaupt nach ihm zu suchen. Auf diesem Schlachtfeld von einem Planeten war mit Sicherheit nichts mehr am Leben. Doch er konnte sich dem Befehl des obersten Führers nicht widersetzen und dieser würde ihn außerdem sofort durchschauen.
„Wo bist du Kylo Ren?" fragte er durch zusammengebissene Zähne hindurch. Einer Eingebung folgend, die vermutlich eher auf Verzweiflung beruhte, ließ er den Flug des TIE Fighters einem Krater folgen, der die Erdkruste wie eine tiefe Wunde teilte. Vielleicht war es Zufall, aber vielleicht lenkte auch etwas seinen Blick auf die zusammengekrümmte schwarze Gestalt im Schnee am Rand des Kraters. Es kostete ihn einige Mühe, den Fighter zu landen und er fragte sich, ob es ihm überhaupt gelingen konnte, ihn wieder zu starten. Er hatte geglaubt, dass ihn Lärm an der Oberfläche des zerstörten Planeten erwarten würde, aber als er das TIE Fighter verließ, empfing ihn fast geisterhafte Stille. Nur wie von Ferne war ein tiefes dumpfes Grollen zu hören, als beklage diese Welt ihr eigenes Sterben. Eisige Kälte schlug ihm ins Gesicht, seine Stiefel knirschten im Schnee.
„Ren", rief er, als er sich der regungslosen Gestalt näherte. Keine Reaktion. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass Kylo Ren tatsächlich nicht mehr am Leben sein könnte. In der dumpfen Leere in seinem Inneren, dem Ort wo früher vielleicht einmal Gefühle wie Angst oder Trauer gewesen waren, die er seit Jahren nicht mehr fühlte, nahm er einen leisen Stich wahr. Es fühlte sich an als würde etwas an der äußeren Hülle dieses abgestorbenen Ortes in ihm kratzen und es war ein unangenehmes Gefühl, das ihm die Taubheit, die er jetzt meist empfand noch bewusster machte.
„Kylo Ren", sagte er noch einmal, als er direkt über ihm stand. Die Lache aus Blut, die den Schnee rot färbte, reichte bis an Hux' Stiefelspitzen und einen Moment lang wurde sein Blick von der Schönheit der verfärbten Kristalle angezogen. Jetzt fühlte er auch das leise Vibrieren der Macht, das noch immer von Ren ausging. Er war am Leben. Hux kniete nieder und packte Snokes Schüler an der Schulter. Kylo lag auf der Seite und auch unter seinem Gesicht hatte sich der Schnee dunkelrot gefärbt. Als er ihn zu sich umdrehte sah er auch weshalb. Ein tiefer Schnitt schien sein Gesicht beinahe zu teilen. Er reichte von oberhalb der Augenbraue bis zu seinem Hals. Offenbar hatte er versucht, den unfassbaren Schmerz im Schnee zu betäuben. Seine Augen öffneten sich und in ihnen spiegelte sich ein Entsetzen, das nicht nur durch den zweifellos unerträglichen Schmerz zu erklären war. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er etwas sagen.
„Was, Ren?" fragte Hux. „Was ist es?"
„Ich habe Han Solo getötet."
Hux schluckte. Er hatte Berichte erhalten, dass Han Solo sich auf der Basis befunden hatte, dass Kylo Ren mit ihm gekämpft und ihn besiegt hatte. Aber in dem Chaos der explodierenden Bomben und dem was darauffolgte, hatte er diese Meldung als zu absurd abgetan, um sich mit ihr zu befassen.
„Ich habe meinen Vater getötet." Rens Lippen zitterten und seine Augen schlossen sich, als würde er geblendet.
Hux fragte sich, ob es dieser Kampf gewesen war, der Kylo Ren so verwundet hatte, aber er war sich sicher, dass er keine Antwort von ihm bekommen würde. Sie hatten auch keine Zeit mehr. Mit einem Krachen, das die Stille durchbrach, stürzte neben ihnen ein weiterer Baum nieder und aus der Schlucht drang jetzt ein Knirschen, das nichts Gutes verhieß.
Rens Augen öffneten sich und sein Blick fand den seinen. „Warum bist du hier?"
„Ein Befehl von Anführer Snoke. Ich soll dich zu ihm bringen. Kannst du aufstehen?"
In Hux sträubte sich alles dagegen, Kylo Ren anzufassen. Er mied jegliche Art von Kontakt, wo es ihm möglich war und normalerweise war es ihm immer möglich. Aber auch wenn Ren Anstalten machte, sich aufzurichten war klar, dass er es nicht alleine zum Raumschiff schaffen würde. Hux schnaubte und legte ihm einen Arm um die Schultern, um ihn hoch zu ziehen. Er sah, wie Rens Unterkiefer sich vor Schmerzen aufeinanderpressten, aber er gab keinen Laut von sich, als er sich mit Hux Hilfe aufrichtete.
Hux zog ihn in Richtung des TIE Fighters. Der Planet wurde von einem Erdbeben erschüttert, das sie beinahe zu Boden warf.
„Wir müssen hier weg."
Kylo Ren nickte. Er presste eine Hand in seine Seite und stützte sich schwer auf Hux. Hux fragte sich wie ernst er tatsächlich verletzt war. Würde es ihm überhaupt gelingen, ihn zu Snoke zu bringen oder kam er bereits zu spät? Aber Ren war robust und an Bord des TIE Fighters befand sich ein Medikit.
Ren war größer als er selbst und schwerer und es kostete Hux Mühe, ihn die Rampe hinauf zu helfen, nachdem er ihn durch den Schnee zum TIE Fighter gestützt hatte. Ren sank auf den harten Durastahlboden nieder und Hux beeilte sich das Medikit aus dem Kasten zu nehmen, der in die Wand eingelassen war. Seine Finger waren ruhig, als er die Spritze hervorzog, die Schmerzlinderung und Heilung versprach und sein Blick fand Kylo Rens. „Gib sie mir", sagte dieser und Hux sah, wie trocken und eingerissen seine Lippen waren. Trotz des tiefen Schnitts und des vielen Bluts konnte er auch erkennen, wie bleich sein Gesicht wirkte.
„Es ist besser, wenn ich es mache."
Kylo Ren schüttelte den Kopf und streckte eine Hand nach der Spritze aus. Hux gab sie ihm und Ren rammte sie sich durch den Stoff seiner Kleidung hindurch in die Brust. Mit einem Ausdruck der Erleichterung ließ er sich nach hinten auf den harten Boden sinken, die Faust noch immer um die Spritze geschlossen. Sein schmerzverzerrtes Gesicht entspannte sich allmählich und er schloss die Augen.
Hux sah ihn noch einen unnötigen Augenblick lang an und beeilte sich dann ins Cockpit zu kommen. Er musste sie von hier wegbringen, wenn sie noch eine Chance haben wollten, den sterbenden Planeten zu verlassen. Er biss sich auf die Lippen während er den Steuerknüppel erneut umfasste. Das Schiff wurde von einem weiteren Erdbeben erschüttert.
„In die Schlucht", flüsterte Ren.
„Was?"
„Wenn du uns zunächst in die Schlucht steuerst, kannst du genug Geschwindigkeit aufbauen um uns nach oben zu bringen."
„Genau das hatte ich vor", sagte Hux, der geplant hatte, möglichst steil nach oben zu fliegen, was vermutlich dazu geführt hätte, dass die Bäume sie aufgehalten hätten.
Er atmete tief ein und zog den Steuerknüppel nach hinten. Es war ein heikles Unterfangen, den TIE Fighter in der engen Schlucht zu fliegen und er benötigte all seine Konzentration. Erst als sie Geschwindigkeit aufnahmen und er sie nach oben bringen konnte, entspannte er sich. Sie verließen die Atmosphäre des Planeten. Er schaltete auf Autopilot und sank in den Sitz zurück. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen beobachtete er, wie der Planet unter ihnen förmlich in sich zusammenfiel. Es fehlten nur Minuten und sie wären mitgerissen worden. Die entsetzliche Waffe, die er geschaffen hatte, um den Widerstand auszulöschen und Snoke ein für alle Mal von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, gab es nicht mehr. Dennoch hatte er unerklärlicherweise nicht das Gefühl, alles verloren zu haben.
Er sah sich um als er hörte, wie Kylo Ren sich aufrichtete.
„War es Han Solo, der dich verletzt hat?" fragte er.
Kylo Ren schüttelte den Kopf.
„Aber du hast ihn getötet."
„Ja."
Wieder das Aufblitzen von Ungläubigkeit und Entsetzen in Rens Blick. Hux dachte unwillkürlich an den Tod seines eigenen Vaters und die ungeheure Erleichterung, die er empfunden hatte, als er erfahren hatte, dass sein Plan aufgegangen war. Bis heute empfand er nie etwas Anderes wenn er daran dachte, dass Brendol Hux nicht mehr lebte. Wenn er sich erinnerte, wovon er sich nach so vielen Jahren mit Phasmas Hilfe befreit hatte. Da war nicht ein Funken Reue oder Zweifel in seinem Innern.
„Dann war es das Mädchen, das dich so zugerichtet hat", sagte er kühl. „Wie konnte das passieren?"
„Ich weiß es nicht."
„Du wirst es Snoke erklären müssen."
Ren schwieg. Er erhob sich langsam und mühevoll und ließ sich in den Sitz des Co-Piloten neben Hux sinken. „Die Starkiller Basis ist vollkommen zerstört, wie ich sehe."
Hux verzog das Gesicht, antwortete jedoch nicht.
„Ich bin also nicht der einzige, der etwas zu erklären hat. Bleibt abzuwarten ob Snoke dich in seinem Dienst behält." Es war Ren anzumerken, wie sehr ihn das Sprechen schmerzte. „Trotz deines Scheiterns."
„Das wird er. Wie sieht es mit deinem Scheitern aus? Besiegt von einem Mädchen, das noch nie ein Lichtschwert geführt hat?"
Kylo Ren zögerte. Seine Lippen verzogen sich zu einem trotzigen Ausdruck. Obwohl sein Gesicht blutüberströmt war und der Schnitt eine Hälfte verunstaltete, hatte er fast etwas Kindliches. „Ich habe Han Solo getötet. Für die dunkle Seite."
„Du hast ihn deinen Vater genannt."
Ren sah zu ihm. „Das habe ich nicht."
Hux hielt seinen Blick nach vorn gerichtet, wo jetzt Sterne und Planeten an ihnen vorbeizogen. „Vorhin hast du es getan."
„Wie auch immer." Rens Hände schlossen sich um die Armlehnen des Sitzes. „Er kann jetzt nicht mehr nach mir rufen. Ich habe ihn ausgelöscht."
Hux überlegte ob er ihm sagen sollte, dass der Tod nicht das Ende von allem war, aber er entschied sich dagegen. Kylo Ren war in seinem Sitz nach hinten gesunken und seinem schweren Atem war anzuhören, dass die Spritze seine Schmerzen nicht ganz betäuben konnte. Wütend presste er eine Hand gegen die Wunde in seiner Seite, als könne er sie mit der Kraft seiner Gedanken schließen. Hux hatte ihn noch nie so geschlagen gesehen und er wunderte sich, dass es ihm nicht tiefere Befriedigung verschaffte.
„Snoke hat davon gesprochen, dass es Zeit sei, deine Ausbildung abzuschließen", sagte er. „Weißt du, was damit gemeint ist?"
„Ja", sagte Kylo Ren und sein Blick wurde noch dunkler. „Ich weiß es."

Fear of the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt