Nutzlos

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Hux spürte seinen Herzschlag bis in seinen Hals, als er drei Zyklen später den Gang entlang eilte, der zu Rens Quartier führte. Alles war in Aufruhr. Es gab einen Aufstand auf Corellia, um den sie sich kümmern mussten und vermehrte Hinweise auf eine Basis der Rebellen im lyasischen System. Außerdem hatte er eine Anfrage von einem ihrer größten Waffenlieferanten erhalten, bei dem sie mit der Zahlung im Rückstand waren. Und zu guter Letzt hatte die Finalizer bei einem ihrer letzten Gefechte mit Aufständischen ein Leck in der Schutzhülle erlitten, das mehr Schwierigkeiten bereitete, als zunächst angenommen.
All diese Dinge benötigten sofortige Aufmerksamkeit. sie mussten dringend handeln und er konnte Kylo Ren bereits seit geraumer Zeit nicht erreichen.

Zunächst hatte er sich wenig Gedanken darüber gemacht, da Ren sich immer öfter in sein Quartier zurückzog und Hux alles überließ, aber er befand sich zurzeit nicht in einem Ruhezyklus. Normalerweise war er dann zumindest durch seinen Kommunikator zu erreichen. Aber keine von Hux' Mitteilungen war bisher zu ihm durchgedrungen und der Versuch ihm eine Holo-Nachricht zukommen zu lassen war ebenfalls gescheitert.

Da alle Probleme wie immer gleichzeitig auf ihn eingestürmt waren, hatte er zunächst nicht einmal Zeit gehabt sich über die fehlende Rückmeldung von Ren zu wundern und erst als die drängendsten Befehle gegeben waren, war ihm bewusst geworden, wie ungewöhnlich Rens vollkommenes Stillschweigen war. Daraufhin hatte er verzweifelt versucht, ihn zu kontaktieren und da das gescheitert war und auch die Androiden, die er zu Rens Quartier geschickt hatte, unverrichteter Dinge aufgegeben hatten, war er jetzt selbst auf dem Weg zu dessen Räumen.

Er versuchte den Gedanken zu vertreiben, dass er Ren ermordet in seinem Quartier finden würde, ebenso wie er Snoke gefunden hatte. Wenn es so war, dann trug er selbst eine Mitschuld daran, denn er hatte Ren nicht die Wahrheit gesagt, hatte ihn nicht ausreichend gewarnt. Er wusste nicht einmal, warum der Gedanke, dass Ren nicht mehr am Leben sein könnte so unerträglich war. Es war vollkommen unlogisch, dass er so fühlte. Es ging ganz und gar gegen seine Natur. Denn damit wäre das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt, das sein Schicksal davon abhielt, sich zu erfüllen. Er selbst würde endlich der Oberste Anführer der Ersten Ordnung sein. Warum nur fühlte sich diese Aussicht plötzlich so schal an, so bitter?
Er schlug mit der Faust gegen das Portal, das zu Rens Quartier führte. Immer noch das gleiche, denn er hatte keine Anstalten gemacht einen Thronsaal zu beziehen, so wie Snoke.
„Ren!" rief er. „Mach auf!"

Er wusste, dass Ren ihn vermutlich noch nicht einmal hören konnte, aber er hoffte, dass er seine Anwesenheit spüren würde, wenn er es denn noch konnte. Er schlug auf die Tasten der Code-Eingabe, auch wenn er wusste, dass das nicht das geringste nutzen würde.

Doch dann öffnete sich das Portal für ihn und er hielt überrascht inne. Ren sah ihm ruhig entgegen und Hux sagte sich, dass die unglaubliche Erleichterung, die sich in ihm ausbreitete völlig irrational war.

Er betrat Rens Quartier und rang einen Moment lang nach Atem. „Warum antwortest du nicht?" fragte er dann. „Warum reagierst du nicht auf meine Anfragen?"

„Ich habe meditiert."

Hux fragte sich, wie tief Ren in diesen Zustand versunken gewesen war, wenn er tatsächlich keinen seiner Versuche wahrgenommen hatte, ihn zu kontaktieren. Sein schnell schlagendes Herz beruhigte sich langsam.

„Meditiert. Ich dachte du wärst..."

„Dachtest du mir sei etwas zugestoßen?" fragte Ren.

„Natürlich nicht. Aber es gibt dringende Angelegenheiten, um die du dich kümmern musst."

Er ging hinüber zu Rens Konsole und schaltete sie ein. Schnell hatte er die wichtigsten Dokumente und Mitteilungen aufgerufen. „Hier." Er wies auf eine Karte. „Ein Aufstand von einer Größe, mit der wir es bisher noch nicht zu tun hatten. Darum müssen wir uns als erstes kümmern. Du solltest persönlich anwesend sein, um sie einzuschüchtern. Oder ist es dir lieber, dass ich Truppen sende und die gesamte Kolonie niederbrennen lasse?"

Ren trat neben ihn. „Sie denken, dass sie eine Chance haben sich von ihren Ketten zu befreien."

„Ein trügerischer Gedanke." Hux schnaubte. „Alles, was die Rebellen tun werden ist die Galaxie in erneutes Chaos zu stürzen."

„Aber für die Menschen auf Corellia wirkt es wie eine Befreiung."

„Pass auf was du sagst, Ren. Man könnte fast glauben du verstehst sie." Er sah zur Seite als Ren nicht antwortete. „Und genauso ist es, nicht wahr? Du verstehst sie."

„Ich verstehe jeden, der sich gegen etwas auflehnt, das ihm unerträglich erscheint."

„Natürlich." Hux zögerte. „Ist dir bewusst, dass das vermutlich dein Drang zur hellen Seite ist, der aus dir spricht?"

Ren presste die Lippen aufeinander. „Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht mehr sicher."

„Wie mir scheint bist du dir über nichts mehr sicher, Ren." Hux war erstaunt darüber, wie wenig ihn das überraschte. „Weder Han Solos noch Snokes noch Skywalkers Tod konnten dir zeigen auf welcher Seite du stehst. Nichts davon hat dazu geführt, dass du die Seite des Lichts vollkommen losgelassen hast. Was willst du noch dafür opfern?"

„Komm mit", sagte Ren. „Ich will dir etwas zeigen."

Es war das erste Mal, dass Hux das Portal durchschritt, das von Rens ersten Raum abging und tiefer ins Innere seines Quartiers gelangte. Der Raum, den sie betraten war achteckig und seine Wände bestanden aus schwarzem Durastahl. Es befand sich nichts darin außer einem Sitz aus dem gleichen dunklen Material und dieser war ausgerichtet auf eine Art dreieckigen Altar. Als Hux sah, was sich darauf befand stockte ihm kurz der Atem. Die Gerüchte, die er darüber gehört hatte, dass er sich auf der Finalizer befand, hatte er stets für frei erfunden gehalten. Aber hier war er. Verbogen. Unbrauchbar. Geschlagen, wie sein einstiger Besitzer. Der Helm, den einst Darth Vader getragen hatte. Und auch wenn es nunmehr ein nutzloses Stück Metall sein sollte, jagte es Hux kalte Schauer über den Rücken. Es kam ihm vor als sei etwas an diesem Artefakt noch immer am Leben, besäße noch immer Macht.

Ren sank auf den Sitz und sah den Helm an wie hypnotisiert. „Vergib mir", flüsterte er. „Ich schaffe es nicht, mich zu befreien."

In diesem Moment wäre Hux am liebsten neben Ren getreten, hätte ihn am Arm hochgezogen und ihn aus diesem Raum gezerrt, der von den Geistern der Vergangenheit erfüllt war. Noch nie hatte er Rens innere Zerrissenheit so deutlich gespürt. Es war als liefe der Riss in diesem Moment auch durch sein eigenes Inneres, obwohl er bis vor kurzem nie gezweifelt hatte, nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, ob sein Weg der richtige war. Jetzt jedoch fühlte es sich an, als fehle ihm die Luft zum Atmen.

„Ich bin noch immer mit ihr verbunden", flüsterte Ren und Hux wusste, dass er zu dem Gebilde vor sich sprach. Er redete mit ihm als könne der Helm ihm antworten, als sei er ein menschliches Wesen. „Ich kann ihre Macht spüren und sie ist stark. Was hat das zu bedeuten? Warum werde ich erneut auf die Probe gestellt?"

Ren versank in Schweigen, den Blick fest auf den Helm gerichtet und Hux spürte, wie Kälte sich in ihm ausbreitete. Also sprach Kylo Ren mit Rey. Noch immer. Und er nutzte diese Kraft nicht um sie und damit die Basis der Rebellen aufzuspüren. Das bedeutete, dass Akh Anbar und die Anderen Recht hatten. Kylo Ren war für ihre Seite verloren. Hux fragte sich nur, warum Ren das ausgerechnet ihm offenbarte. Er musste wissen, auf welcher Seite Hux stand. Dass er sich mit seinem Vertrauen in Gefahr brachte.

Es dauerte lange, ehe Ren sich wieder erhob und Hux stand wie versteinert neben ihm, bis sie den Raum wieder verließen. Hux fühlte sich noch immer kalt wie Eis, als sie wieder in Rens Vorraum standen.

„Es ist ein Stück Metall", sagte er. „Er kann dir nicht helfen. Wenn du dich nicht selbst befreien kannst, dann kann es niemand."

„Ich weiß."

„Du musst deine eigene Entscheidung treffen, Ren. Und du musst es bald tun." Er machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

„Warte Hux."

Er blieb stehen. „Ja?"

„Ich habe den Sicherheitscode geändert, so dass du Zugang zu meinen Räumen hast. Wenn ich so tief in die Meditation versinke, brauche ich jemanden, der mich zurückholt."

Hux drehte sich nicht zu ihm um. „Du solltest niemandem so sehr vertrauen."

„Auch dir nicht?"

„Ganz besonders mir nicht."

Er verließ Rens Quartier.

*
Hux stützte sich auf das Waschbecken in seinem Badezimmer und sah sich im Spiegel an. Seine Züge waren angespannt, seine Augen leuchteten kalt. Er wusste, was er zu tun hatte, wusste, dass es keinen Weg mehr daran vorbei gab. Es kam ihm fast vor, als habe Ren ihm selbst den Beweis dafür liefern wollen, dass er sterben musste. Aus den Augenwinkeln glaubte er die Gestalt seines Vaters wahrnehmen zu können, ganz am Rande seines Blickfeldes, aber er sah nicht hin.

Wut flackerte jetzt in seinem Blick auf. Er holte aus und schlug mit der Faust in den Spiegel. Er bekam Risse und Hux schlug ein weiteres Mal zu. Diesmal bohrten sich kleine Splitter in seine Haut, aber er spürte es kaum.

Warum musste Ren wieder mit dem Mädchen reden? Warum hatte er selbst es nicht geschafft sie zu finden und sie und die gesamte Bande von Gesetzlosen aus der Galaxis zu sprengen, bevor sie wieder einen Weg zu Kylo Ren gefunden hatte. Jetzt war es zu spät und Ren war vielleicht für immer verloren.

Er würde es selbst tun müssen. Er würde nicht abwarten, bis irgendwelche Attentäter ihre Wege auf das Schiff fanden und Ren hinterrücks ermordeten. Das zumindest schuldete er ihm.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er vollenden würde, was Skywalker nicht gekonnt hatte. Als er aufblickte war er erstaunt in dem gesprungenen Spiegel zu sehen, dass seine Lippen zitterten.

*

Die Lache aus Blut, die den Schnee rot färbte, reichte bis an Hux' Stiefelspitzen und einen Moment lang wurde sein Blick von der Schönheit der verfärbten Kristalle angezogen. Dann richtete er sich auf die dunkel gekleidete Gestalt, die vor ihm im Schnee lag. Bewegungslos. Kein Vibrieren der Macht ging mehr von Kylo Ren aus.

Hux kniete neben ihm nieder und drehte ihn auf den Rücken. Er kannte das Messer gut, das in Rens Brust steckte. Es war sein eigenes, das er stets verborgen unter seiner Kleidung trug. Er legte es nie ab und deswegen wusste er auch, dass er es selbst gewesen sein musste, der Ren getötet hatte. Einen Moment lang blieb er vollkommen ruhig. Er hatte es geschafft. Er hatte zu Ende gebracht, wovon er seit Jahrzehnten geträumt hatte.

Dann richtete er sich auf und schrie.

Er schrie noch immer als er in seinem Bett hochfuhr.

„Licht auf 50 Prozent" keuchte er. Sein Mund war so trocken, dass er für einen Moment das Gefühl hatte zu ersticken und er tastete nach dem Wasserglas auf seinem Nachttisch, warf es um.

Kurz darauf stand er vor seinem Waschbecken, trank und kippte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

„Nutzlos" hörte er Brendol hinter sich sagen. „Noch immer keinen Schneid, keinen festen Willen."

Er blendete die Illusion aus, musste seinem Vater aber dieses Mal recht geben. Als er sich im Spiegel sah wirkte er wie ein Schatten seiner selbst. Bleich, verschreckt wie ein kleines Kind nach einem Alptraum. Er beobachtete sich, während sein Gesicht wieder gewohnte Züge annahm, die Härte und Entschlossenheit zurückkehrte. Es war lächerlich, sich so gehen zu lassen, solche Schwäche zu zeigen, wegen einer Sache, die ihn weiterbringen würde. Das musste aufhören.

„Du hast dich einspinnen lassen von ein paar freundlichen Handlungen", ließ sich Brendols Stimme wieder vernehmen. „Wie ein getretener Köter, der sich dem einen Menschen zuwendet, der sein zottiges Fell streichelt. Verachtenswert. Und so etwas ist mein Sohn."
„Ich wünschte ich wäre es nicht", sagte Hux. Er drehte sich vom Spiegel weg. In drei Zyklen würde er dem Rat auf Felucia seine Entscheidung mitteilen.

Fear of the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt