Gedankenverloren

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Stella

Es wurde ziemlich spät, denn wir sind nach dem Essen noch in eine Bar gegangen. Keiner von uns sprach von dem Vorfall im Einkaufszentrum, aber mir gingen die Bilder von den Narben nicht mehr aus dem Kopf. Sein Tonfall und am meisten dieser Blick, dieser Blick der alles gesagt hat. Obwohl ich mich selbst im Spiegel sah, in meinem Badezimmer, sah ich seine Augen. Ich hatte mir eigentlich geschworen, dass mir sowas nie wieder zu nahekommt, aber nun stand ich da und war kurz davor zu weinen. Der Gedanke wie er wohl in seinem Zimmer saß, mit dem Gewehr und bereit dazu abzudrücken. Was wäre wohl passiert, wenn er seine Cousine nicht gehört hätte? Hätte er dann abgedrückt? Das durfte doch nicht wahr sein. Immer wieder tauchte dieses Stechen in meinem Herzen auf und ich versuchte es zu ignorieren. Ich war wohl doch ein zu emphatischer Mensch, sein Leiden war mein Leiden. In diesem Moment dachte ich an ein Lied von Nick Cave und zwar O Children. „Pass me that lovely little gun. My dear, my darling one. The cleaners are coming, one by one. You don’t even want to let them start.“ Ich versuchte mich von diesem Gedanken loszureißen und fing an mich abzuschminken und meine Rutine bei zu behalten.

Zum ersten Mal kam mir meine Dreizimmerwohnung so unendlich klein und verlassen vor, obwohl meine Wohnung voll war mit Erinnerungen und Deko. War ich damit zufrieden? Wie es in dem Moment war? Ich erlag diesem Gefühl und nachdem ich mich auf mein großes schwarzes Boxspringbett unter meiner roten Decke verkrochen hatte, schielt ich mein Fernseher an und öffnete die Youtube App. Das Lied von Nick Cave summte durch die Boxen, danach schallte may it be von Enya durch den Raum und mit einem Mal entfernte ich mich von der Realität. „Mornië utúlië. Believe and you will find your way. Mornië alantië. A promise lives within you now.“ Das beste Lied aus den Herr der Ringe Filme, allein die Musik reichte aus um zu entfliehen. Mein Blick fiel dann auf das Buch was ich in der Zeit gelesen habe, ein ganz neues Leben von Jojo Moyes. Wie führt man sein Leben weiter, wenn der Mensch, den du am meisten geliebt hast, gestorben ist? Viele würden sagen, dass die Geschichte von ein ganzes halbes Jahr und die darauffolgenden Bücher einfach nur kitschig und unsinnig sind. Aber wenn man genauer drüber nachdachte, war dieses Thema doch schwerer als gedacht. Würde man selbst dieses Ende nehmen, wie in Band eins? Würde man diese Situation besser meistern?

Mit diesen Gedanken schlief ich ein und erwachte um neun Uhr morgens, wegen meinem Wecker. Ich kam dieses Mal schwerer denn je aus meinem Bett. Das Sonnenlicht schien nur gedimmt durch mein Fenster, die roten Vorhänge hielten das was sie versprachen. Mein Körper war träge und meine Knochen fühlten sich wie Blei an. Noch völlig benommen griff ich nach meinem Handy um den Wecker auszumachen und da erblickte ich mehrere Nachrichten von Reiner Braun bei Whats App. Er bedankte sich für meine Hilfe und das er sich über das Essen gefreut hat. Mit einem müden Lächeln legte ich das Handy weg, aber sofort ertönte mein Smartphone wieder und diesmal rief mich Hanji an. Ich war nicht mal zehn Minuten wach und schon ging es los. „Moin Hanji. Ich bin nicht mal zehn Minuten wach und da rufst du mich auch schon an.“ „Jaja. Ich wollte dich nur dran erinnern, dass wir uns um halb elf im Fitnessstudio treffen wollten und danach gemeinsam frühstücken wollten.“ „Ich bin nicht so vergesslich wie du. Ich habe dran gedacht.“ Hanji zog das Gespräch unnötig in die Länge und ich brechte es schnellstmöglich ab damit ich genug Zeit für mich und meinen Kaffee zu hatte. Ich fühlte mich nicht in der Lage um trainieren zu gehen, aber ich tat es trotzdem.

Die Zeit raste nur so an mir vorbei, denn es kam mir doppelt so schnell vor als sonst. Mit Kopfhörer im Ohr und meiner rot schwarzen Sporttasche machte ich mich zu Fuß auf dem Weg zum Fitnessstudio. Meine Wohnung lag nur paar Minuten entfernt davon, denn sowohl meine Wohnung als auch das Studio befanden sich in der Stadt Saarlouis. In meinen Ohren dröhnte das Lied Mr Brightside von the Killers und wie immer hatte ich den Drang einfach mit zu singen. Ich hatte mir an dem Morgen extra viel Zeit gelassen, aber zu meiner Überraschung war meine beste Freundin schon da und wartete diesmal auf mich. „Unfassbar das ich mal früher hier bin als du.“ Ohne Umschweife machten wir uns auf den Weg zu den Umkleidekabinen, obwohl ich kein Grund hatte war meine Stimmung gedrückt. Diesmal war meine Motivation zum Sport weniger denn je, irgendwann fiel das auch ihr auf und fragte nach. „Ich kann es dir wirklich nicht sagen. Heute ist nicht mein Tag.“ Aber im nächsten Moment waren ihr Fragen auch schon Geschichte denn sie stand plötzlich auf und rief ganz laut einen Namen quer über den ganzen Raum.

„Levi!“ Ich rannte ihr schon halber hinterher bis wir vor einem Mann standen, der paar Zentimeter kleiner als ich war und etwas längere schwarze Haare hatte. Sein Blick war alles andere als freundlich aber er begrüßte Hanji wie ein guter Freund. Plötzlich kam mir der Name wieder ins Gedächtnis und ich fragte mich ob es der selbe Levi war, wie der von dem Reiner gesprochen hatte, denn der Name war alles andere als verbreitet. „Oh Gott es tut mir so leid Stella. Das ist Levi Ackermann, er ist einer meiner Kameraden von der Bundeswehr. Und sie ist meine beste Freundin, Stella Weiß.“ Bingo, er war es. Reiner hatte recht, sein Blick konnte alles gefrieren. „Stella Weiß? Sind sie nicht eine Therapeutin für Traumata?“ Levi drehte sich bewusst zu mir und musterte mich von Kopf bis Fuß. „Ja das bin ich.“ Sofort verschränkte ich meine Arme und zog meine Augenbrauen hoch, denn es gefiel mir nicht wie er mich ansah. „Bestimmt ist einer ihrer Patienten, Reiner Braun, oder?“

Die Flucht vor den SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt