Der Frust der letzten Jahre

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Stella

Am Abend saß ich mit Hanji an meinen Esstisch und erzählte ihr von meinem Tag mit Reiner. Von dem kleinen Kuss auf seine Wange sprach ich aber nicht, denn dies blieb mein kleines Geheimnis. „Wir haben auch jemanden im Globus getroffen. War kein erfreuliches Treffen.“ Ich sagte es so nebenher, während ich meine Spaghetti aufrollte. Hanji sah verwundert zu mir und zog ihre Augenbrauen hoch. „Wir haben Levi getroffen.“ Obwohl ich versuchte mich mit meinen Emotionen in Bezug auf Levi zurückzuhalten konnte ich es nicht vermeiden ein wenig das Gesicht zu verziehen. „Er ist wahrlich nicht gut auf Reiner zu sprechen, beruht aber auf Gegenseitigkeit. Hat direkt alles so hingestellt als wären Reiner und ich ein Paar und ich solle mir ja bloß nicht die Finger bei dieser Sache verbrennen. Tja, ich wollte schon was dazu sagen, aber Reiner kam mir zuvor.“ „Nimm das nicht zu ernst Stella.“ Diesmal war ich es die, die Augenbrauen hochzog. „Sorry Hanji, aber ich nehme diesen Angriff sehr persönlich. Er soll mich am besten einfach nicht wieder ansprechen, falls er mich wieder sehen sollte.“ Um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu kippen, ließ ich diese Aussage einfach so stehen.

Wir lenkten unser Gespräch wieder zum Thema Musik, unser liebstes Thema, bis unser Gespräch von meinem Handyklingeln unterbrochen wurde. Ich griff nach meinem Handy und sah perplex die Rufnummer meines Vaters auf dem Display. „Mein Vater...“ Innerlich zog ich schon eine Mauer auf um sein Gesagtes einfach abprallen zu lassen. „Ja? Papa?“ „Begrüßt du deinen Vater schon nicht mehr richtig?“ Mein Kiefer spannte sich an und zu meinem Glück sah er meinen Blick nicht. „Hallo Papa. Wie geht’s dir und Mama?“ Meine Stimme war übertrieben freundlich und man hörte klar und deutlich raus das diese Frage rein rhetorisch war. „Es tut mir echt leid, aber nach vielen Monaten rufst du mich plötzlich wieder an und da erwartest du das ich selbstverständlich freundlich bin?“ Da hörte ich wie meine Mutter den Hörer nahm. „Nimm es deinen Vater nicht übel. Ihm geht es zur Zeit nicht so gut. Wieso wir dich eigentlich anrufen, ist deine Tante ist vorgestern gestorben. Am Wochenende ist die Beisetzung in Dillingen. Ich hoffe sehr das du erscheinst.“ Würde es nach mir gehen müsste ich keinen meiner Familie je wieder sehen, aber da es die Schwester meines Vaters war gehe ich hin. Meine Mutter sagte mir in kleinen Sätzen wann die Beisetzung ist, denn jeder von uns wusste das ich keine Lust auf unnötige Fragen hatte. „Wirst du zu der Beerdigung gehen?“ Ich nickte meiner besten Freundin nur zu.

Die Zeit zum Wochenende kam schneller denn je und ich blickte auf die Uhr um nicht zu spät los zu fahren. Ich hatte mich dazu entschieden eine schwarze Hose, weißes Hemd und einen schwarzen Blazer anzuziehen. Viele würden erwarten, dass ich ein Kleid anziehen würde, aber einst machte mir meine Tante ein Kompliment als ich sowas ähnliches anhatte. Daher fand ich es sehr passend. Es gab mehrere Gründe, wieso ich zu ihrer Beerdigung ging. Ich wusste das sie bald sterben würde, denn in den letzten Monaten habe ich sie oft im Krankenhaus besucht. Sie hatte Brustkrebs gehabt, meine Eltern wusste nicht, dass wir ein gutes Verhältnis hatten. Ich war dankbar dafür gewesen, dass sie nichts über mich und mein Leben erzählt hatte. Meine Tante hieß Susi, sie war eine sehr gütige Frau gewesen und neben meiner Schwester war sie die Einzige, die an mich geglaubt hatte. Susi war auch die Einzigen die an meine Schwester geglaubt hatte, denn sie war vor der Diagnose Schneiderin gewesen und das für mehrere Jahrzehnte.

Mein Herz wurde immer schwerer während ich dem Friedhof in Dillingen immer  näher kam. Vom weiten sah ich schon die Luxus Autos meiner Familie, es war abartig wie sie da standen in ihren ach-so-tollen-luxus Klamotten. Meine Mutter stand genau neben meinem Vater und diese abfälligen Blicke trafen schon alle anderen Gäste. Dann war jeder Blick auf mich gerichtet. Aus reinem Respekt begrüßte ich alle, aber hielt dennoch gewissen Abstand zu ihnen, auch zu meinen Eltern. „Mir tut es wirklich leid Papa. Ich weiß wie sehr du Susi geliebt hast.“ Es tat mir wirklich leid und in dem Moment überwand ich meinen Stolz und umarmte meine Eltern. Vermutlich wären viele geschockt wie kaltherzig ich meiner Familie übertrat, aber es war reiner Selbstschutz um ihr gesagtes oder ihre Handlungen an mir abprallen zu lassen. Denn dafür hatten sie mir zu viel aufgeladen, von mir verlangt und mir die Schuld geben an Cindys Tod. Wie konnte man seinem Kind diese Schuld geben? Die einzigen die dran Schuld waren, waren die Männer die ihren Körper und Seele geschändet haben.

Tief in mir machte sich ein schwarzes Loch breit, denn das Wissen das die Urne meiner Tante genau neben der meiner Schwester sein wird, war hart. Die ganzen Minuten vergingen wie Zeitlupe und das Geschwätz der anderen war verzerrt und nicht klar hörbar. Wieder fühlte es sich an als würde jemand gegen mein Herz drücken, das atmen fiel mir schwer und ich dachte an die letzten Worte von Susi während man ihre Urne in die Erde ein ließ. „Ach Mädchen. Schau zum Himmel hoch und du wirst die Sonne mit ihren Strahlen sehen. Denke an das Glitzern des Meeres und an die Leichtigkeit der Luft.“ Diese Worte sagte sie zu mir weil ich wieder tief in meinen Gedanken war, rund um Reiner, der Todestag von Cindy und diese Angst von der Dunkelheit eingezogen zu werden. Eine Therapeutin die selbst damit zu kämpfen hatte, das war schon an sich paradox und witzig.

Mit zitternden Händen warf ich die weiße Rose in das Grab und wiederholte ihre Worte und entfernte mich ein Stück von dem Rest. Die Tränen rannten über mein Gesicht und ich ließ dieses Gefühl der Trauer über mich hereinbrechen. Es war zu schwer, diese trügerische Sippschaft, die Blicke der anderen. „Stella es tut mir leid was geschehen ist.“ Diese Worte kamen von meiner Mutter die einen Meter hinter mir stand. „Ich wollte nie das es so weit kommt.“ Lachend drehte ich mich zu ihr um. „Ach du wolltest das nicht? Was denn? Dieses Verhältnis? Mir das Gefühl geben ich sei Schuld an der Schändung von Cindy? Dieses Gefühl ich wäre eine schlechte Tochter nur weil ich nicht den selben Gott verdammten scheiß Weg eingeschlagen habe wie ihr? Habt ihr jemals in euren Leben dran gedacht wie es mir dabei geht? Ich habe meine Schwester verloren, den wichtigsten Mensch meines Lebens und nun ist auch Tante Susi tot, sie war noch die Einzige die an mich geglaubt hatte. Ihr wolltet immer nur Perfektion und Geld. Es gibt keine Perfektion Mutter! Und wie wären du und Vater wohl wenn man euch euer Geld, teuren Autos und Klamotten abholen würdet? Tja genau das selbe wie jeder andere Mensch auch. Stell dich mal vor einem Spiegel.“ Meinen Frust der letzten Jahren kamen über meine Lippen.

Die Flucht vor den SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt