Von der Skyline zum Bordstein zurück (Bushido)

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Anna stöhnte entnervt auf. Wenn der Typ, der da über ihr wohnte, nicht so langsam mal seine Rap-Scheiße ausstellte, musste sie nachher doch noch klopfen gehen. Dabei wollte sie eigentlich gar nicht so sein. Eigentlich wollte sie fünfundzwanzig sein und gechillt reagieren, wenn jemand nach elf Uhr unter der Woche Bushido-Tracks in voller Lautstärke hörte. War ja echt schön für ihn, dass er sich die dicken Bassboxen leisten konnte und ja, er hatte auch vollkommen recht damit, vernünftige Musik nicht über den Laptop zu hören, aber verdammt, sie musste morgen früh arbeiten und auch wenn er anscheinend nie früh raus musste, ihre Förderklasse unterrichtete sich eben nicht von alleine.


Vielleicht hatte er ja Liebeskummer und konnte diesen nur von der Skyline zum Bordstein zurück bewältigen. Vielleicht hatte er den Song aber auch für Bushido geschrieben und konnte sich deshalb dieses verdammt große Penthouse leisten. Anna seufzte. Sie würde wohl bald ausziehen müssen – es sei denn, er überlegte sich das mit der Trennung nochmal. Sah aber nicht so aus. Wieder tauchte die Szene in ihren Gedanken auf, wie Sven ihr sagte, dass er jemanden kennengelernt hatte. Hier, in diesem durchgestylten Schlafzimmer, hatte er ihr gesagt, dass er jetzt mit dieser Katharina zusammen sein wollte. Dass er erstmal zu ihr ziehen würde, bis Anna etwas anderes fand. Sie vergrub den Kopf in den Kissen und spürte die Wut, gemischt mit Trauer, in sich aufsteigen. Den ganzen Tag hatte sie es geschafft, sich mit Schulkram abzulenken, aber jetzt, wo die Bässe über ihr dröhnten und ansonsten nur die dunkle Leere der kalten Wohnung zu spüren war, brach es wieder über sie herein.
Fünf Jahre, weggeworfen. Fünf Jahre, ein ganzes Studium, ein halbes Leben, ihre besten Jahre. Alles, was ihr Halt gegeben hatte, innerhalb weniger Wochen zerstört, erst langsam eingerissen und dann mit dem Vorschlaghammer eingeschlagen. Sie spürte, wie ihr Herz sich zusammenzog. Anna weinte warme Tränen in ihr Kissen, die sie langsam beruhigten und sie schließlich in einen unruhigen Schlaf gleiten ließen.
Am nächsten Morgen wachte sie beim penetranten Ton ihres Handyweckers auf und fühlte sich, als hätte sie keine zwei Stunden geschlafen. Auf dem Weg ins Badezimmer mied Anna den Blick in den Spiegel, stellte sich im großen Bad aber dann doch der Wahrheit: Ihre dunkelbraunen Augen waren rot umrandet und dicke, schwarze Schatten lagen darunter. Ihre braunen Haare klebten an ihrem Hals, ihr Ausschnitt wurde von roten Flecken geziert. Gut, dass ihre Förderkinder es nicht interessierte, wie sie aussah. Träge schlurfte sie unter die Dusche, in der Hoffnung, dass diese sie ein wenig wach machen würde. Die warme Dusche half nicht. Anna fühlte sich noch immer wie gerädert, als sie eine halbe Stunde später ihre Schulsachen in die abgewetzte Ledertasche warf. Inzwischen hatte sich ihr langsamer Start in eine hektische Betriebsamkeit umgewandelt, da sie schon zwanzig Minuten zu spät dran war. Die erste Stunde war zwar nur Sport, aber Aufsichtspflicht zählte eben trotzdem... Sie raste die Treppen hinunter zu ihrem Fahrrad, das im Hausflur stand. Mit einem Stirnrunzeln stellte sie fest, dass irgendein Arschloch einen leeren Kaffeebecher in ihren Fahrradkorb geschmissen hatte. Der Tag begann ja super.
Sie quälte sich durch den Tag, der nicht enden wollte. Während der Mittagspause bekam Anna so üble Kopfschmerzen, dass sie am liebsten nach Hause gegangen wäre. Schreiende, kleine Kinder, denen sie auch noch Hochdeutsch beibringen sollte, halfen da auch nicht gerade weiter. Sie war froh, als sie gegen vier Uhr endlich den Heimweg antrat, auch wenn das eine Fahrt durch den stinkenden Berliner Feierabendverkehr bedeutete, der für Fahrradfahrer teilweise lebensgefährlich war. Leicht verschwitzt und mit hämmerndem Kopf stand sie schließlich wieder vor dieser Wohnung, die nicht ihre war, und suchte ihrer Parka-Tasche nach dem Haustürschlüssel.
Doch nachdem Anna sowohl Jacke, Jeans als auch Tasche durchsucht hatte, musste sie sich eingestehen, dass sie den Schüssel wohl in der Wohnung vergessen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie machte ihrem Ärger Luft, indem sie gegen die Felge eines prolligen weißen Mercedes trat, der unverschämt direkt vor dem Eingang parkte. Ein Typ, der gerade vorbeiging, schnaubte belustigt.
„Hat dir das Auto was getan?", fragte der große Kerl belustigt und musterte Anna und das Auto genauer.
„Ehrlich? Scheiß Diesel-Dreckschleuder, aber das geht mir eigentlich am Arsch vorbei, ich will nur in die Wohnung. Ich hab mich ausgesperrt", Anna begann frustriert, noch einmal ihre Tasche auf den Kopf zu stellen, in der Hoffnung, der Schlüssel würde doch noch auftauchen.
Der Typ beobachtete sie weiter und nickte dann in Richtung Haus. „Musst du da rein?"
Anna hörte auf, zu kramen, und blickte zu ihm auf. „Ja", erwiderte sie, „du etwa auch?"
„Ja, ich muss zu Felix, Podcast aufnehmen", antwortete er und blickte sie abwartend an, als erwartete er eine Reaktion.
Anna kannte zwar weder Felix noch hörte sie Podcasts, war aber froh, zumindest in den Hausflur zu kommen. Die Schande, Sven anzurufen, würde ihr vielleicht doch erspart bleiben...Sie blickte wieder zu dem Typen mit den lockigen Haaren.
„Hast du einen Schlüssel?"
„Ne, aber eine Hand, um die Klingel zu drücken", antwortete er schlaumeierisch und lachte dann. „Ich bin Tommi", er wandte sich noch einmal zu ihr um, während er die Klingel zum Penthouse drückte.
„Anna", stellte sie sich vor.

Weiber, oder? Gemischtes Hack - Felix Lobrecht x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt