Wir sind Stars, aber ticken so wie Dealer (Capital Bra)

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Weder Dennis noch seine Mutter waren Zuhause gewesen. Frustriert lehnte Anna den Kopf an die Scheibe der U-Bahn. Jetzt war sie umsonst eine dreiviertel Stunde durch die Gegend gefahren. Vielleicht sollte sie sich solche Wochenend-Einsätze ohnehin sparen, die älteren Kollegen schüttelten schon ständig den Kopf über sie, weil sie sich nicht genug abgrenzen konnte. Aber die Kinder lagen ihr eben einfach am Herzen.
Auf dem Weg zu ihrer neuen Wohnung ging sie noch schnell in einen überteuerten Rewe To Go, um etwas Bier, Wein und Chips zu kaufen. Essen wollten sie ja bestellen. Wenn Anna an den Abend dachte, machte sich Aufregung in ihr breit, ihr Magen kribbelte. Gerade, als sie überlegte, ob Felix wohl ebenso süchtig nach Cashewnüssen war, wie sie, fiel ihr siedend heiß etwas ein. Schnell fummelte sie ihr Smartphone aus der engen Jeans und drückte auf den Anrufknopf.
„Anna, Süße, ich hab gar keine Zeit gerade", Lea meldete sich direkt, „ein schöner Mann wartet auf mich und ich muss mir noch die Haare föhnen."

„Dauert nur zwei Minuten. Sag mal, hattest du mir die Sido-Karten eigentlich besorgt? Wann ist das Konzert nochmal?"
„Nächste Woche, Süße, und wenn du mal ab und zu deine Mails checken würdest, wüsstest du auch, dass ich dir die Karten schon vor ein paar Tagen gemailt habe. Wieso?"
„Felix kommt heute Abend vorbei und ich dachte..."
„Oh, Dankeschön-Sex mit dem würde ich mir auch nicht entgehen lassen."
„Darum geht es doch gar nicht, ich wollte mich ja ohnehin noch bei ihm für die Wohnung bedanken und dachte, wenn wir schon zusammen Essen bestellen und so... außerdem hat er mir eben den Kaffee bezahlt."
„Süße, ich wünsche dir mega viel Spaß mit der Schnitte. Um so einen Abend werden dich viele beneiden."
„Danke. Dir auch viel Spaß mit..."
„Mr. Einkaufstüte. Die Story erzähle ich dir, wenn ich wieder da bin."
„Okay."

Anna legte auf, kaufte die Cashews und freute sich, dass sie die Konzerttickets schon auf dem Laptop hatte. Dann musste sie die Sachen nur noch drucken. Sie blickte auf die Uhr, es war schon halb sieben durch. Langsam wurde es Zeit, dass sie nach Hause kam.
Gegen halb acht fragte Anna sich, ob es übertrieben war, dass sie die Wohnung noch gesaugt und die Duftkerze, die sie auf dem Tisch stehen hatte, angezündet hatte. Nachdenklich ging sie zur Kerze und blies sie wieder aus, checkte ihr Spiegelbild noch einmal im Schrankspiegel.
Sie wollte nicht zu aufgedonnert wirken, aber auch nicht dieselben Sachen tragen, wie die, die sie den ganzen Tag angehabt hatte. Sie hatte sich für ein Pulloverkleid und Leggins entschieden und war nach wie vor zufrieden mit ihrer Wahl. Es war nicht overdressed, aber sah gut aus. Sie ging wieder in die Küche, nahm die Cashews aus dem Schrank und genehmigte sich einige. Die Konzertkarten hatte sie ausgedruckt und auf ihren Schreibtisch gelegt, der wie immer einer kleinen Müllhalde glich. Irgendwie konnte sie einfach keine Ordnung halten. Umständlich räumte Anna ein paar Schulmaterialien in das kleine Kallax-Regal, das neben ihrem Schreibtisch stand, doch es wurde einfach nicht besser. Trotzdem fühlte sie sich wohler als ich Svens riesiger Wohnung, auch, wenn sie da ein eigenes Arbeitszimmer gehabt hatte.
Sie drückte gerade auf den ON-Knopf der Bluetooth-Box, als es auch schon an der Tür schellte. Sie fuhr zusammen und lief dann mit großen Schritten zur Tür.
Und da stand er, Hoodie, lässige Jeans und bunte Sneaker. Lächelte sie an und hatte tatsächlich einen Sixpack Bier mitgebracht.
„Ich dachte irgendwie, Rosen passen nicht so", grinste Felix.
„Finde Bier auch besser", stellte sie fest und nahm ihr Handy aus der Tasche, „ich wollte gerade Musik anmachen, was willst du hören?"
„Mach doch einfach mal deine Lieblingslieder-Playlist."
„Ich glaube nicht, dass du das willst. Da tun sich Abgründe auf."
„Ich habe mit meinem Bruder auch so eine Playlist, die heißt ‚den Coolman Zuhause lassen', mich schockt so schnell nichts."
Anna seufzte und gab sich geschlagen. Felix konnte sich das Lachen trotzdem nicht verkneifen, als ABBA mit ‚The Winner takes it all' aus der Box wummerte.
„Okay, so richtige Trennungsmucke also", er runzelte kurz die Stirn und hörte auf zu lachen, stellte das Bier auf den Tisch. „Geht's dir so schlecht?"
„Gerade nicht. Also skippen wir mal weiter."
Capital Bra drang aus den Lautsprechern.
„Ist auf jeden Fall ein krasser Mix. Ich gebe dir gleich DJ-Applaus", zog er sie auf und Anna öffnete sich kommentarlos ein Bier. „Gib Tilidin, ja ich könnte was gebrauchen, Wodka-E, um die Sorgen zu ersaufen", rappte sie mit und lachte auf.
„Ich weiß noch nicht, ob ich den so gut finde", lachte Felix und biss sich auf die Unterlippe, „gib mir auch mal Bier, voll unhöflich von dir, du schlechte Gastgeberin."
„Ist doch eigentlich deine Wohnung", sagte sie lässig.
„Stimmt", er grinste, „richtig nice, meine Wohnung", er blickte aus dem Fenster, „ich geh mal eben eine rauchen."
„Ich komme mit", Anna ärgerte sich, aber sie hatte es heute Nachmittag doch nicht lassen können, eine neue Schachtel Marlboro zu kaufen. Scheiße. Dass die Mutter von Dennis wieder nicht da gewesen war, hatte sie gestresst.
„Wie war's heute bei deinem Schüler?" fragte Felix, als könnte er Gedanken lesen.
„Hat keiner aufgemacht. Richtig unnötige Fahrt gewesen. Danach hab ich mir auch wieder Kippen gekauft, obwohl ich es jetzt mal zwei Tage ohne ausgehalten habe."
„Scheiße", Felix gab ihr Feuer.

„Ja", sie nahm dankend an und sog den Rauch in die Lungen, „aber ist halt so. Vielleicht beim nächsten Mal. Oder ich probiere es morgen mal, vielleicht ist ja sonntags einer da."
„Du bist ziemlich engagiert", stellte er fest. Anna zuckte die Achseln.
„Lass mal Essen bestellen, oder?", fragte sie und nahm noch einen Zug, „ich hab mega Hunger. Lässt dein Fitnessplan das zu, heute Abend fett Kohlenhydrate in dich reinzustopfen?"
„Klar. Verkneife mir ja meistens tagsüber so ungesundes Zeug, damit ich abends genießen kann."
„Du genießt hundertprozentig nicht jeden Abend", sagte Anna mit Blick auf seinen Oberkörper.
„Nicht jeden, ne", Felix grinste und drückte die Zigarette in den Blumentopf, den Anna behelfsweise auf den Balkon gestellt hatte.
„Worauf hast du denn Lust?"
„Ich wäre schon bei vietnamesisch oder so, richtig geile Nudeln. Oder mexikanisch."
„Mexikanisch lieber nicht, ich bin nicht so der Mais und Bohnen-Fan."
„Alles klar."

Sie gingen zurück in das kleine Wohnzimmer.
„Mich jagen Großfamilien und das LKA. Wir sind Stars, aber ticken so wie Dealer...", rappte Capital gerade, als Anna sich mit ihrem Bier auf das Sofa fallen ließ.
„Hörst du eigentlich wirklich Rap?", Felix nickte ein wenig ungläubig zur Box.
Anna nickte. „Ich glaube, man kann das irgendwie nicht vermeiden, wenn man an so einer Schule arbeitet. Ich find's einerseits irgendwie geil, andererseits hilft's auch voll, wenn du den Schülern mit Rapzitaten antworten kannst, dann lieben die dich. Nur Straßenbande bin ich raus, die sind mir echt zu krass, was Frauen angeht."
Felix schmunzelte. Anna nahm ihr Handy und gemeinsam bestellten sie bei Lieferando einen Haufen Essen. Als Ali Bumaye anlief, fing Felix an, mitzurappen. Anna lachte ihn aus.
„Mann, lach nicht, der Song ist voll geil."
„Hab gerade ein bisschen Angst, dass du noch anfängst, professionell zu rappen."
„Ne, ich bin Komiker. Würde das voll gerne können, aber so aufgeblasen ist mein Ego dann doch nicht. Manchmal frag ich mich auch, wann die Leute merken, dass ich voll der Hochstapler bin."
„Ich sag dir Bescheid, ob du einer bist, wenn dein Buch da ist."
„Hast du bestellt?"
„Ja."
„Danke für das Geld, wird gut in einer zweiten Rolex angelegt."
„Oder bei Seawatch, bei der Kältehilfe Berlin oder der Caritas."
„Du hast mich gegoogelt."

Ein bisschen beschämt wich Anna seinem Blick aus. „Na ja, Lea meinte, du wärst irgendwie berühmt. Stimmt ja auch so ein bisschen. Ich meine, ihr seid Nummer 1 der Podcast-Charts, das ist schon krass."
Felix zuckte die Achseln. „So im Alltag merke ich da aber noch nicht viel von."
In diesem Moment schellte es an der Tür. „Ah, da ist das Essen", Anna sprang auf und drückte auf den Summer, „ich muss mal eben gucken, ob ich noch Trinkgeld habe."
„Ich hab auf jeden Fall was", Felix zog ein schwarzes Lederportemonnaie aus der Hosentasche, „wenn er erst hier hoch laufen muss, geben wir ihm mal ordentlich Trinkgeld."
Es klopfte an der Tür und Felix öffnete.
„Hi, euer... euer... krass!"
Felix starrte den Typen an, Anna lugte über seine Schulter.
„Du bist Felix, Alter, Felix Lobrecht."
„Ja, glaube schon", grinste dieser.
„Boah, können wir ein Foto machen, Dicker? Ich war bei der letzten Hype-Show, das war so geil, Mann."
„Na kla", Felix stellte sich neben den Typen, der schnell ein Selfie machte.
„Mega krass, Alter, geil! Du hast mir voll den Abend gerettet, Bruder."
„Hab ick doch gerne jemacht."
„Hier, euer Essen, Mann", Felix drückte ihm Trinkgeld in die Hand, dann war er wieder verschwunden.
„Von wegen, kein Promi", lästerte Anna und nahm ihm die Tüten ab.
„Aber sowas ist doch voll nice, der Typ war nett."

„Ja, das stimmt", lächelte Anna. Sie stellte das Essen auf den kleinen Wohnzimmertisch, drehte die Musik ein wenig leiser und holte Bier aus dem Kühlschrank. Sie sprachen wenig, während sie aßen, aber es war kein unangenehmes Schweigen. Anna überlegte, wann sie ihm wohl die Karten für das Konzert geben könnte. Schließlich wollte irgendetwas in ihr, dass er sich freute. Und sie wollte auch gerne mit ihm dorthin gehen, auch, wenn sie sich fragte, was es wohl mit dieser Becci auf sich hatte. Was die wohl dazu sagte, dass er seinen Samstagabend mit einem anderen Mädchen verbrachte? Bisher hatte sie, zugegebenermaßen, dieses Thema ausgeblendet. Doch jetzt, wo die Nudeln fast leer waren, fragte sie sich, wo dieser Abend noch hinführen sollte. Klar, sie konnten einfach als Freunde hier sein. Trotzdem gab es doch immer wieder diese Momente zwischen ihnen, oder nicht? Bildete sie sich die ein?

„Du bist aber gerade ganz weit weg, wa?", fragte Felix und schob die Nudelbox von sich, „oh shit, mein Handy."
Er nahm das vibrierende iPhone aus seiner Hosentasche und stand auf.
„Ja? Mann Becci, lass das doch morgen besprechen. Wieso muss dit heute noch raus? Es ist Samstag."
Anna runzelte die Augenbrauen. Irgendwie kam ihr das immer komischer vor. Felix trat beim Telefonieren auf den Balkon und fummelte die nächste Kippe aus seiner Jeans.
„Allet klar. Bis dann.", er legte auf. Anna, ebenfalls fertig mit Essen, folgte ihm auf den kleinen Balkon und steckte sich ebenfalls eine an. Mist, mit ihm zusammen neigte sie dazu, viel öfter zu rauchen als sonst. Sie wusste nicht, warum sie nicht nach dieser Becci fragte. Vielleicht hatte sie Angst vor der Antwort.
Felix stieß den Rauch aus. „Becci ist einfach die Beste, deswegen muss ich halt auch samstags mal ran gehen. Sorry."
„Ähm, kein Problem, ich meine... für seine Freundin sollte man ja immer Zeit finden", Anna betrachtete den gefliesten Boden und aschte ab.

„Was?", fragte Felix und lachte verblüfft auf.
„Wie, was?", fragte sie verwirrt, etwas angepisst, weil er so lachte.
Er bekam einen regelrechten Lachanfall. „Du denkst... du denkst, dass...", er grinste wie ein kleiner Junge. Anna zog nur die Augenbrauen hoch. Sie wusste, dass sie sich albern benahm, aber konnte doch nicht anders.
„Becci ist doch nicht meine Freundin. Dit ist meine Agentin."
„Oh, achso", sagte Anna matt.

„Meinst du, sonst würde ich mich Samstagsabends hier mit dir treffen? Die würde mich doch umbringen. Hab auch ein bisschen Angst vor ihr", gab er zu und nahm noch einen tiefen Zug, „aber die Vorstellung... ist absurd. Sorry, Anna."
„Kann ich ja nicht wissen", sie zuckte mit den Achseln. Er runzelte die Stirn, schien über etwas nachzudenken, sagte jedoch nichts. Anna wich seinem Blick aus, weil sie sich ein bisschen schämte. Irgendwie hatte sie es gewurmt, dass sie diese Becci nicht einordnen konnte. Sie fragte sich, woran das lag. Felix drückte die Kippe in den Blumentopf und wandte sich ihr zu.
Er legte die Hände auf ihre Arme und fuhr langsam von der Schulter bis zum Ellbogen. Anna spürte, wie sich ihr Atem beschleunigte. Sie wusste, dass sein Blick auf ihr ruhte, doch sie traute sich nicht, aufzublicken.
„Hat dich das genervt, dass du dachtest, Becci wäre meine Freundin?", fragte er.
„Bisschen", gab sie zu und wich seinem Blick noch immer aus.
Sie konnte hören, dass er schluckte. „Guck mich doch mal an, bitte", lächelte Felix.
Vorsichtig hob sie den Blick und begegnete seinem. Seine Augen wirkten in der Nacht dunkler als sonst. Anna spürte, wie das Blut in ihren Adern pochte. Sein Gesicht war so nah an ihrem, dass sie jede einzelne Wimper zählen konnte. Felix schloss die letzte Distanz zwischen ihnen, Anna schloss die Augen. Dann spürte sie seine Lippen auf ihren, weich, vorsichtig. Ein Prickeln durchfuhr ihren gesamten Körper.

Weiber, oder? Gemischtes Hack - Felix Lobrecht x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt