Der Rest der Woche verlief relativ ruhig. Auch, wenn Dennis ein weiteres Mal sein Butterfly mit in die Schule brachte, Anna hatte sich in ihrer neuen Wohnung eingelebt, ging wieder regelmäßig zum Sport und begann langsam, sich wieder wohl in ihrer Haut zu fühlen. Obwohl die Sehnsucht nach Svens starken Armen sie immer mal wieder übermannte, die Abende, an denen sie traurig die Wand anstarrte, wurden weniger.
Lea war ein paar Tage nicht in der Stadt, da sie bei einem großen Festival mitorganisierte, das jetzt Anfang Herbst im Ruhrgebiet stattfinden sollte. Anna telefonierte ein paar Mal mit ihr, doch Lea war sehr beschäftigt. Anna musste zugeben, dass sie sich ein wenig einsam fühlte. Sonst hatten sie immer viel mit Svens Freundeskreis unternommen, das brach nun völlig weg. Sie bemerkte, dass sie sich von ihren anderen Freunden entfernt hatte und bereute dies nun wirklich. Bescheuert, wie sie war, hatte sie gedacht, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Sie seufzte, dann beschloss sie, noch ins Fitnessstudio zu gehen. Es tat ihr gut, die Gedanken zu vertreiben und beim Sport einfach mal richtig laut Musik zu hören.
Es war ein schöner Samstagmorgen, die Luft war klar und kühl, die schwache Herbstsonne setzte alles in leuchtende, unwirkliche Farben. Als sie die Brücke der Spree überquerte, sah sie eine Gruppe Jugendlicher, die es sich am Ufer gemütlich gemacht hatten. Ihre Laune, die durch das schöne Wetter gestiegen war, sank augenblicklich, als sie sah, dass sie auf einem Löffel Heroin kochten. Mann ey, was für eine Scheiße, warum mussten die ihr Leben so wegschmeißen?
Melancholisch beobachtete sie die Gruppe einen Moment, riss sich dann aber zusammen und ging weiter zum Fitnessstudio, in Gedanken noch immer bei den Jugendlichen, die gerade ihr Leben wegwarfen.
Nachdem sie ihre Karte abgegeben hatte, zog sie sich in der Umkleide um und beobachtete neben sich ein Mädchen, das einen Hintern hatte, so rund und perfekt, dass man nur neidisch werden konnte. Verbrachte sie die gesamte Zeit hier auf dem Stepmaster oder wie? Anna seufzte und betrachtete ihre eigene, unvollkommene Figur im Spiegel. Sie war nicht dick, aber ihre Brüste waren ihr zu klein und der Hintern lange nicht so, wie sie sich ihn wünschte. Irgendwie demotivierte sie auch das.
Mit Handtuch und Trinkflasche bewaffnet machte sie sich trotzdem auf den Weg. Das John Reed hier war zwar eine Prollbude für Muskelprotze, aber Samstagsmorgens ging es meistens, da traf man auch mal ein paar Frauen. Montags und Donnerstagsabends mied Anna das Studio meistens, da dann eindeutig viel zu viel Testosteron in der Luft lag.
Sie ging zum Crosstrainer, erstmal aufwärmen. Sie drehte die Musik voll auf, Kanye beflügelte sie, sich auszupowern. Es tat gut, abzuschalten und an nichts anderes zu denken. Mit jedem Schweißtropfen spürte sie, wie der Stress in ihrem Inneren abgebaut wurde. Außerdem hatte sie von hier aus einen guten Blick auf den Hantelbereich, wo Männer mit Muscleshirts animalische Laute ausstießen, während sie viel zu schwere Gewichte wuchteten, wahrscheinlich, ohne sich vorher aufgewärmt zu haben.
Ein dünner Typ mit ausländischem Teint fiel ihr ins Auge, der gar nicht so richtig zu den anderen passte. Er schien auch nicht sonderlich interessiert am Sport, sondern schlürfte an einem Eiweißshake, während er mit seinem Kumpel sprach, der anscheinend hinter ihm auf der Hantelbank lag. Anna fragte sich, wie jemand, der auf so einer Hantelbank trainierte, auch noch ein entspanntes Gespräch führen konnte.
Sie stieg von ihrem Crosstrainer, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und desinfizierte das Sportgerät anschließend. Einen Moment verschnaufte sie und nahm einen Schluck. Das Wasser war fast leer, sodass sie schnell zur Theke ging, um es aufzufüllen. Dabei fiel ihr Blick auf den Typen auf der Hantelbank, der seinem Freund gerade etwas zu erklären schien.
„Kawus, wenn du nicht trainierst, bringt dir der ekelhafte Eiweißshake auch nichts."
Anna erkannte die Stimme, bevor ihr klar wurde, dass es sich um Felix handelte. Wie erstarrt blieb sie stehen und wunderte sich über die merkwürdige Reaktion ihres Körpers. Sollte sie ihn ansprechen? Sie fühlte sich eigentlich nicht in der Stimmung für ein Gespräch. Außerdem war sie verschwitzt und sah sicher schrecklich aus.
„Hey, Anna", rief Felix da aber schon und sie drehte sich mit einem Lächeln um.
„Hi", sagte sie und strich sich die dunklen Strähnen, die sich aus ihrem strengen Zopf gelöst hatten, aus der Stirn.
„Ich wusste gar nicht, dass du auch hier trainierst", bemerkte er. Anna musterte ihn. Felix sah gut aus, einfaches Shirt, Shorts, Bizeps.
„Ja, seit kurzem wieder. Ich wollte gerade zu den Hanteln, aber im Frauenbereich."
Felix musterte seine männlichen Kollegen, die sich mit den Gewichten abmühten, „kann ick schon verstehen. Würde mich hier auch nicht zwischenquetschen."
„Die Gefahr, von irgendeiner Hantel erschlagen zu werden, ist relativ groß", grinste sie, „machst du auch immer so Urlaute, wenn du trainierst?"
„Versuche ich, zu vermeiden", grinste er, „das ist übrigens Kawus, kommt auch aus Neukölln."
„Hi", der dünne, große Typ gab ihr die Hand, „ich will auch mal so aussehen wie Felix."
„Viel Glück dabei", lachte sie.
„Ähm, hast du Lust, gleich noch n Kaffee zu trinken, nachm Training? Ich bin so in einer halben Stunde fertig."
„Können wir machen, ich wollte aber eben noch duschen."
„Kein Problem", er lehnte sich an eine Hantelstange und schmiss prompt das Gewicht herunter. Anna machte sich auf den Weg zum Frauenbereich und musste lachen, als Felix unter den Augen des feixenden Kawus das Gewicht wieder aufheben musste.
Ungefähr eine halbe Stunde später kam Anna frisch geduscht zum Eingangsbereich des Fitnessstudios. Sie musste zugeben, dass sie ihr Training doch arg abgekürzt hatte, nachdem Felix den Kaffee vorgeschlagen hatte. Gut, dass sie an Wechselkleidung gedacht hatte, nur Makeup hatte sie keines dabei. Na ja, musste er eben so mit ihr Vorlieb nehmen. Sie erblickte den blonden Mann in einem der Sessel vor der Theke, wo sie noch nie jemanden hatte sitzen sehen.
„Hier saß sicher auch noch keiner, außer dir", stellte sie fest und er drehte sich um.
„Korrekt. Sind auch sau ungemütlich, die scheiß Sessel."
Er trug einen weiten Guccihoodie und eine Trainingshose von Adidas. Die bunten Sneaker passten dazu. Felix grinste sie breit an.
„Kennst du ein gutes Café in der Nähe?"
„Ja, gehe ich öfter hin. Ist zwar son Hipsterschuppen, aber der Cortado ist super da."
„Was ist denn Cortado?"
„Espresso mit Milch."
„Milchkaffee."
„Cortado."
„Alles klar", sie grinste. „Voll Straße, sowas zu bestellen."
Felix lachte auf. „Ich bin gar nicht mehr so Straße."
„Ich glaub, ich war noch nie Straße. Ich fand die Männer immer alle scheiße und die Girls, die sich da so rangeschmissen haben, auch. Ich durfte auch voll nicht viel."
„Ich hab meinen Vater schon echt in den Wahnsinn getrieben, hab viel Scheiße gebaut. Aber Frankie hat immer das Beste rausgeholt, auch, als ich von der Schule geflogen bin."
Als sie im Café ankamen, hatten sie sich schon ihre halbe Kindheit erzählt. Anna wunderte sich, dass sie mit ihm so tiefschürfende Gespräche führen konnte, ohne, dass es unangenehm war. Sie fühlte sich einfach wohl und fragte sich, ob es ihm ähnlich ging. Der Cortado sah wirklich aus, wie ein Milchkaffee, wie der kleine Bruder des Latte Macchiatos, den Anna sich bestellt hatte. Felix grinste, als sie das erwähnte.
„Hattest du eigentlich noch Ärger mit Sven?", fragte sie, während Felix sich eine Zigarette anzündete.
„Ne. Hab die Scheiße dann aber auch einfach weggeräumt, war ja auch ein bisschen asozial von uns. Aber der ist ja echt unentspannt, Alter."
„Ja, er hält recht viel von sich", Anna lächelte, „sein Geld und sein Ansehen ist ihm schon ziemlich wichtig."
„Ziemlich dumm."
„Sagt der Typ mit der Rolex", rutschte ihr heraus.
„Mir ist Geld halt auch wichtig, aber ich verstehe nicht, warum man deswegen nur darüber definiert wird. Ich kann doch trotzdem was spenden und was Gutes tun. Man muss doch nicht nur eine Sache sein."
„Das stimmt. Danke auf jeden Fall, dass du noch sauber gemacht hast."
„Ey, kann das sein, dass ich bald an eurer Schule was vorlese? Die haben da mein Buch gelesen."
„Bei uns an der Schule nicht, da liest niemand ein ganzes Buch. Du meinst bestimmt die Gesamtschule nebenan..."
„Ja, kann sein. Da komm ich bald hin."
„Cool."
Einen Moment schwiegen sie. „Hast du heute Abend noch was vor?", fragte Felix dann schließlich und wich ihrem Blick aus.
„Ne. Ich wollte chinesisches Essen bestellen und mich dann so richtig schlecht fühlen, wenn ich es gegessen habe."
„Kann ich mitmachen?", fragte er schlicht und bedachte sie von unten mit einem Blick, zu dem man schlecht „Nein" sagen konnte.
Aufregung durchfuhr ihre Adern. „Ähm, klar. Ich meine, ist ja eigentlich deine Wohnung. Geht mich ja eigentlich auch nichts an, ob du da bist."
Felix lachte auf. „Das stimmt."
„Alles klar. Ich würde dann mal noch ein paar Sachen einkaufen, kommst du einfach vorbei?"
„So um acht?"
„Alles klar", Anna blickte auf die Uhr, sie hatte total die Zeit vergessen. Sie musste schließlich noch bei Dennis vorbeigehen und gucken, ob die Mutter heute endlich mal zu Hause war. Vielleicht arbeitete sie ja wenigstens an einem Samstag nicht.
„Hast du es auf einmal eilig?", Felix hatte sie anscheinend beobachtet und trank den letzten Schluck Kaffee aus.
„Ich muss noch bei einem Schüler vorbei."
„Samstags?", fragte er und zog die Augenbrauen hoch.
„Ja, unter der Woche war die Mutter bisher nie da. Ist der mit dem Butterfly-Messer. Ich hab ihn jetzt in so eine Betreuung in einer Jugendgruppe vermittelt, wo die quasi für umsonst ein Instrument lernen können. So ein Projekt halt, aber keine Ahnung, ob er hingeht. Deswegen muss ich mal mit der Mutter quatschen. Außerdem glaub ich auch, dass die von dem Verweis nicht ganz viel mitbekommen hat."
Felix nickte anerkennend. „Dann will ich dich nicht aufhalten, ich zahl das gleich hier schon."
„Danke."
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Weiber, oder? Gemischtes Hack - Felix Lobrecht x OC
Fanfiction„Ziemlich teuer hier", bemerkte Tommi, der durch das viele Treppensteigen ein wenig außer Atem zu sein schien. „Ja, mein... Freund hat sie gemietet..." „Achso", Tommi schwieg, „kannst du ihn nicht anrufen wegen des Schlüssels?", fragte er dann. Sie...