Mein Mercedes, mein Mercedes Benz (Bonez MC)

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Zum ersten Mal betrat sie das große Penthouse. Tatsächlich hatte ihr Nachbar zwei Eingänge – erst eine Tür, ein Flur, dann noch eine Tür. Er lebte besser gesichert als ein Popstar. Anna hielt die beiden Dönertaschen, die sie unten am Kotti (dem besten Dönermann der Stadt) geholt hatten, in der Hand, während Felix umständlich die Tür aufschloss.


Die Wohnung war weitläufig und ziemlich minimalistisch eingerichtet. Das schöne Eichenparkett schluckte das Geräusch ihrer Schritte und Anna strich noch beim Reingehen ihre Sneaker von den Füßen. Alles sah ziemlich sauber aus, dafür, dass hier ein Mann alleine lebte. Von Sven war sie da an mehr Chaos gewöhnt.


Hinter dem klassischen schwarzen Ledersofa hing ein cooles, verfälschtes Bild der Mona-Lisa an der Wand. Überhaupt fand man relativ interessante Kunstwerke in der Wohnung. Anna betrachtete neugierig ein abstraktes Bild im Flur, das mit Ölfarbe gemalt worden war.

„Ist von meiner Tante", sagte Felix, der sie offenbar beobachtet hatte, „die hat hier recht viel gemacht in der Wohnung. Oder, wie sie sagen würde, gestaltet", er grinste und Anna betrachtete das Bild genauer. Es war wirklich gut gemacht. Sie legte die beiden Dönertaschen auf dem schicken Wohnzimmertisch ab und wartete darauf, dass Felix aus der großen Wohnküche kam, wo er Servietten, Wasser und Gläser holte.
„Setz dich ruhig", er nickte zum Sofa und ließ sich dann einen Moment später neben ihr nieder. Sie packten ihre Döner aus und aßen, ohne viel zu sprechen. Als Felix fast fertig war, nickte er ihr grinsend zu.
„Ist ganz nett, dass du beim Essen nicht die ganze Zeit redest", stellte er fest.
„Wenn man isst, isst man halt, oder? Können und ja jetzt noch unterhalten", Anna stopfte sich genüsslich den letzten Bissen ihres Döners in den Mund und spülte mit einem Schluck Wasser nach.
„Hast du Lust auf eine Kippe?"
„Klar, lass eben auf den Balkon gehen", Felix erhob sich, steckte Kippen und Feuerzeug ein. Gemeinsam standen sie auf dem kleinen, etwas lieblos eingerichteten Balkon, blickten auf die vollen Straßen Neuköllns und rauchten.
„Also, warum glaubst du eigentlich, ich würde das ganze hier vom Geld meiner Eltern bezahlen?", fragte Felix frei heraus und hob die Augenbrauen.
„Tut mir echt leid", gab Anna etwas beschämt zu, „ist wohl etwas mit mir durchgegangen, gerade. War nicht so ein toller Tag. Ist ja nichts dabei, wenn die Familie einen unterstützt, vor allem, wenn die Kohle eh da ist"
„Jetzt machst du das schon wieder", stellte er fest.
„Was denn?"
„Annehmen, dass ich so ein Bonzen-Kind bin", er zog an seiner Zigarette.
„Ist das denn nicht so?"
„Mein Vater", Felix stockte einen Moment, „hat uns drei Kinder alleine großgezogen. Ich bin ohne Geld aufgewachsen. Ich hab mir das hier selber erarbeitet", stellte er klar.
„Oh", Anna wusste nicht, was sie sagen sollte, „scheiße. Sorry"
Felix grinste. „Kein Problem, Frau Lehrerin, aber sollten Sie nicht eigentlich ein bisschen vorurteilsfreier an die Leute ran gehen?"
„Ja, stimmt schon", gab sie zu, „in die eine Richtung mache ich das ja auch. Bei Kindern, die es nicht leicht haben im Leben, gebe ich jedem jeden Tag eine neue Chance. Und versuchte, nicht direkt zu urteilen. Aber wenn Leute eben viel Geld haben, verurteile ich auch schon mal gerne"
„Ich weiß gar nicht, was das immer soll. Man kann doch beides sein. Man muss ja nicht total selbstlos oder total der Arsch sein. Man kann das doch verbinden. Gucci tragen und trotzdem Geld spenden, oder nicht?", Felix aschte ab und sah sie durchdringend an.
„Also bist du total selbstlos und total der Arsch?", sie grinste.
„So ungefähr. Aber das geht doch auch, oder?"
„Klar. Wir neigen halt nur zum Schubladen-Denken, so ist das wohl", gab Anna zu und nahm „noch einen Zug von ihrer Zigarette, „aber verdienst du die ganze Kohle mit der Comedy?"
„Habe auch noch ein Buch geschrieben", er zuckte mit den Achseln, „war recht erfolgreich"
„Krass", sagte sie nur und lachte, „bin ich hier quasi, ohne es zu wissen, Nachbarin eines richtigen Prominenten oder wie?"
„Na ja, soweit würde ich jetzt gehen. In Studentenstädten oder so erkennen mich schon mal ein paar Leute, aber das war's dann auch."
Anna nickte. Sie schwiegen einen Moment, dann streckte Felix sich.
„Was macht denn eigentlich dein Anwalts-Fuzzi da unten?", er blickte sie aufmerksam an.
Anna musste grinsen. „Na ja, ganz ehrlich, wir sind nicht mehr zusammen."
„Hm. Und du wohnst noch bei ihm?"
„Also, er sich halt eine Neue gesucht. Ich war jetzt schon ziemlich lange ziemlich fertig, aber so langsam muss es bergauf gehen. Du weißt nicht zufällig, wo ich auf die Schnelle eine Wohnung bekommen könnte?", sie grinste verlegen,
Felix' Blick ruhte ruhig auf ihr, er schien zu überlegen. „Na ja, Tommi hat hier schon mal in meiner alten Wohnung übernachtet. Ich hab die noch und vermiete die manchmal als Ferienwohnung, ist aber ziemlich winzig. Ist nicht ganz weit von hier. Von mir aus kannst du da rein."
Anna war perplex, so eine schnelle Lösung für ihr Problem präsentiert zu bekommen und wusste erst einmal nicht, was sie sagen sollte. Das konnte doch nicht wahr sein, jetzt wälzte sie schon wochenlang dieses Wohnungsproblem – und er präsentierte ihr das einfach mal so. Die Lösung. Die Erleichterung. Felix grinste. Anna musterte ihn, zögerte einen Moment, dann fiel sie ihm um den Hals.
Sein Körper war hart und sehnig. Der Stoff seines Shirts fühlte sich sehr weich und warm an ihrer Wange an. Felix legte einen Arm auf ihren Rücken und tätschelte strich sanft darüber. Anna fühlte sich mit einem Mal so klein, so zerbrechlich und so geborgen. Sie sog seinen Duft ein und schloss einen Moment die Augen.
„Dir geht's nicht so gut, oder?", murmelte ihr Nachbar an ihren Haaren. Verlegen befreite sich Anna wieder aus seinen Armen und blickte ihn mit geröteten Wangen an.
„Nein", gab sie zu, „mir geht's ziemlich beschissen."
Sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und blickte auf die Stadt, die langsam in ein unwirkliches Dämmerlicht getaucht wurde. Anna atmete tief aus- und ein.
„Von mir aus können wir die Wohnung auch jetzt gleich angucken gehen", schlug Felix vor und zuckte mit den Achseln, „ich hab heute Abend ohnehin nichts mehr vor"
„Das wäre super. Eigentlich kann ich meine Sachen auch direkt mitnehmen", sie lachte, „bessere Angebote wird es ohnehin nicht mehr geben."
„Okay", Felix nahm den Alumüll und das Dönerpapier vom Tisch und ging in Richtung der Küche, wo er alles in einen Mülleimer stopfte.
„Willst du fahren oder laufen?"
„Ich weiß nicht", Anna lächelte verlegen, „hast du denn ein Auto? Ich bin ziemlich fertig heute"
„Klar, können auch eben fahren, wären auch über zwanzig Minuten zu laufen. Warte mal eben, ich hole mir noch einen Pulli", er verschwand in einem Nebenraum. Anna ließ den Blick noch einmal durch die Wohnung schweifen und spürte, wie die Aufregung in ihrem Inneren stätig wuchs. Hatte er jetzt wirklich eine Wohnung für sie? Das wäre so großartig. Ihr tat es nachhaltig leid, dass sie Felix so falsch eingeschätzt hatte. Sie würde gerne noch mehr über ihren Nachbarn, sein Leben und seine Arbeit erfahren. Während sie noch überlegte, stand er schon wieder im großen Raum und hielt ihr einen Wohnungsschlüssel vor die Nase.
„Hier, den kannst du schon einmal haben", er lächelte, „fahren tue ich".
„Alles klar."
Gemeinsam liefen Anna und Felix wieder die Treppen hinunter, Anna durchaus beschwingter als zuvor. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, ihre Schritte waren ganz leicht. Dieses Treffen, das durch den Kaffee-Vorfall so beschissen begonnen hatte, hatte nun einen Ausgang, der Annas Probleme auf einen Schlag zu lösen schien. Ihr Blick ruhte auf seinem Hinterkopf, Felix drehte sich um und grinste sie kurz an. Einen Moment später standen sie vor der Haustür, der dicke Mercedes, der direkt vor dem Haus parkte, versperrte den Weg.
„Mann, diese Karre nervt auch echt. Immer, wenn ich nach Hause komme, muss ich mich an der Tür vorbeiquetschen. Mit dem Fahrrad kommt man gar nicht durch und muss außen rum fahren, weil dieser Klan-Boss, der sich so ein fettes Schiff leisten kann, nicht richtig einparken kann!", regte Anna sich auf und rollte mit den Augen.
Felix' Mundwinkel zuckten. Er räusperte sich, dann zog er einen Schlüssel mit Mercedesstern aus der Trainingshose. Die Schweinwerfer des weißen Autos blinkten.
„Oh.", Anna war sprachlos und lief an, wie eine reife Tomate.
Felix lachte sie aus. „Das mit dem Einparken nehme ich dir aber übel, die Einfahrt ist echt eng. Und der Parkplatz gehört zur Wohnung, ich kann aber auch einfach woanders parken."
„Musst du nicht", murmelte Anna zerknirscht und zog die Tür des Benz' auf.
Laute Rapmusik startete, als Felix den Motor anließ. Er drehte Bushido ein bisschen leiser und Anna musste grinsen. Die Beleuchtung des Wagens war wirklich unfassbar, blau oder pink, je nachdem, wie man es haben wollte. Außerdem erschien das schwarze Leder wie geleckt.
„Du weißt schon, dass das die..., um mal etwas Alltagsrassismus hier rein zu bringen, die türkischste Version dieses Autos ist?", lachte Anna und Felix nickte.
„Jap. Weiß ick, find ick jut", berlinerte er. Sie musste lachen. Irgendwie wurde sie aus diesem Mann nicht schlau. Er schien wirklich viel von Statussymbolen zu halten, wenn man sah, dass alles, aber auch alles, was er besaß, vollkommen drüber war. Gleichzeitig schien er aber auch die andere Seite zu kennen. Sie fragte sich, was „ich bin ohne Geld aufgewachsen" wohl bedeuten sollte – ein alleinerziehender Vater mit drei Kindern hörte sich auf jeden Fall nach einer Situation an, die es auch bei ihren Schülern häufiger gab. Da blieb eben nur Harz 4. Warum die Mutter keinen Unterhalt zahlte, wusste Anna nicht.
„Ich bin hier groß geworden", Felix nickte zu den hässlichen, grauen Betonblöcken, die Neukölln noch immer zierten, „in der Gropiusstadt, quasi in der alten Wohnung von Christiane F.", er lachte auf.
„Krass", Anna nickte, „ich komme ja eigentlich aus Kreuztal, aber die Schule ist halt hier. Mein Papa ist Busfahrer bei der BVG."
„Mein Va macht Gas-Wasser-Scheiße. Dann sind wir wohl beide Kinder, die trotz Arbeiterklasse studiert haben", wieder zuckten seine Mundwinkel, „kommt ja nicht so häufig vor."
„Wo hast du studiert?"
„In Marburg. Ich wollte einfach mal raus hier, diese ganze Scheiße, ständig auf die Fresse, ständig Stress. Als kleiner, dünner blonder Junge hatte man's hier an so einer Chaotenschule echt nicht leicht. Ich find's krass, dass es Leute gibt, die diesen Lehrerjob freiwillig machen."
„Ich mag die halt. Auch wenn sie mich ständig beschimpfen und provozieren, wenn sie dich einmal mögen, hast du es eigentlich schon fast geschafft. Und wenn man dann sieht, dass manche, die man quasi schon auf der Straße sitzen gesehen hat, dann doch die Kurve kriegen, ist das mehr Lohn als das, was am Ende des Monats auf's Konto kommt", Anna sprach mit so einer Inbrunst, dass Felix nur lächeln konnte.
„Ich hatte irgendwie immer nur Lehrer, die quasi schon aufgegeben haben. Wo hast du denn studiert?"
„Hier, in Berlin, Wohnung woanders war nicht so richtig drin."
„War bei mir auch oft eng genug. Und dann diese ganzen netten Obere-Mittelschicht-Kinder, die noch nicht einmal die Bankverbindung vom Vermieter wussten, weil Mama und Papa alles bezahlt haben."
„So welche gab es bei mir auch zu Hauf. Da fühlt man sich wie ein Außerirdischer"
Felix nickte schweigend, dann bog er in eine Seitenstraße ein und stellte das Auto in zweiter Reihe ab. Anna warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
„Wenn wir rumfahren, bis wir einen richtigen Parkplatz finden, stehen wir heute Nacht noch hier", er grinste und schnallte sich ab, „wahrscheinlich gibt's gleich ein Knöllchen, aber egal."
„Du hast ja genug Kohle", entfuhr es ihr.
„Genau", er grinste, „ist nur ärgerlich, wenn irgendwann der Führerschein weg ist. Mein Bruder war mega angepisst, als er mich die letzten Wochen fahren musste."
„Dein Bruder?", fragte Anna interessiert und warf einen fragenden Blick zur Haustür, Felix nickte beiläufig, sie schloss auf.
„Ja, der ist mein Tourmanager, quasi. Immer mit unterwegs und fährt meistens auch."
„Ach krass, cool."
Zusammen stiegen sie zwei weitere Treppen hinauf. Das Treppenhaus war dunkel und eng, es roch ein wenig nach Essigreiniger. Irgendwo lief Housemusik. Auf Felix Wink hin schloss Anna eine Holztür auf.
Die Wohnung war klein, aber reichte eigentlich für eine Person. Der Boden quietschte, als sie eintraten, das günstige Linoleum war schon etwas abgewetzt. Die Räume waren ähnlich minimalistisch möbliert wie im Penthouse, allerdings hatte es nicht dieselbe Wirkung, da die Räume einfach kleiner waren. Der Balkon war gerade mal zwei Quadratmeter groß, aber immerhin vorhanden. Felix führte sie zum Bad, das zwar kein Tagelicht hatte, aber immerhin mit relativ neuen sanitären Anlagen ausgestattet war. Auch das Schlafzimmer sah in Ordnung aus. Zwei große Kurzhanteln lagen neben dem frischbezogenen 1,40 Bett. Felix knipste das Licht an.
„Könnte sein, das im Schrank noch ein paar Klamotten hängen, aber sonst ist hier eigentlich alles leer. Ich tue die dann bei Airbnb raus, damit du keine bösen Überraschungen erlebst", er lächelte, fuhr sich durch die Haare. „Ist das in Ordnung für dich?"
Anna drehte sich um. „Das ist perfekt. Du weißt gar nicht, wie happy du mich machst. Ich komme gerade gar nicht klar."
Er grinste sein Zahnpasta-Lächeln und einen Moment blitzte eine jungenhafte Freude in seinem Gesicht auf, die ihn um Jahre jünger wirken ließ. Anna wurde plötzlich warm. Hier, in dem schummerigen Licht der Stehlampe, in einem Schlafzimmer, war es plötzlich irgendwie merkwürdig, mit ihm alleine zu sein. Anna ließ ihren Blick über sein Gesicht wandern. Die großen, blauen Augen, der Nasenring und die Grübchen in den Wangen riefen in ihr das irrationale Bedürfnis hervor, ihn zu berühren. Felix blinzelte kurz und sog dann scharf die Luft ein.
„Ähm. Sollen wir ins Wohnzimmer gehen?", fragte er und wirkte dann plötzlich unbeholfen.

Weiber, oder? Gemischtes Hack - Felix Lobrecht x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt