„Okay, es tut mir leid", Lea saß im Schneidersitz auf der Bettkannte ihrer besten Freundin und drückte der verkaterten Anna einen Kaffee in die Hand. Diese setzte sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und sah Lea zum ersten Mal klar. Sie sah so aus, wie Anna sich fühlte und trug nur ein Satin-Top und einen Slip.
„Sollte es auch", brummte sie, nahm den Kaffee aber an.
„Ich war besoffen."
„Ich weiß."
„Alles in Ordnung zwischen uns?"
„Ja, jetzt, wo der Kaffee wirkt, wird es schon besser", Anna lächelte.
„Ich hab tatsächlich noch mit Caro Daur gesprochen. Ich glaube zwar eher, weil sie abchecken wollte, dass ich ihren Freund auch nicht anmache, aber trotzdem. Wir treffen uns bald wegen so einer caritativen Sache, die unsere Firma macht..."
„Dann hast du ja alles erreicht", Anna grinste.
„Jedenfalls engagieren wir uns jetzt auch bei der Kältehilfe Berlin", ihre Stimme wurde einen Hauch professioneller, „und rate mal, wer da auch Partner ist."
„Felix."
„Genau. Wenn du magst, schicke ich dich als Werbegesicht von uns hin und dann könnt ihr zusammen..."
„Vergiss das mal. Der Anruf gestern war schon schlimm genug."
„Aber ich sehe doch, dass du ständig an ihn denkst, vielleicht..."
„Lea, du weißt genauso gut wie ich, wer sich jetzt bei wem melden muss. Ich renne ihm sicherlich nicht hinterher."
„Du bist stärker, als ich es wäre."
„Tja."
Es sah Anna gar nicht ähnlich, nachts irgendwann auf seinem Telefon anzurufen und dann nicht zu antworten. Felix musste sich eingestehen, dass sein Herz einen Hüpfer gemacht hatte, genau in dem Moment, in dem sie angerufen hatte. Er hatte nach der Show in seinem Hotelzimmer gelegen und ohnehin an sie gedacht. Die kurzzeitige Depression, die er manchmal nach dem Höhenflug auf der Bühne und der anschließenden Einsamkeit im Hotelzimmer hatte, würde in der letzten Zeit noch durch das starke Gefühl des Vermissens ergänzt.
Doch dann hatte sich niemand gemeldet, nur lautes Stimmengewirr und Musik war zu hören gewesen. Jetzt lag er hier schon seit sieben Uhr wach und überlegte, ob er sie zurückrufen sollte. Doch was sagen? Er musste sich eingestehen, dass er zu feige war. Außerdem, wenn er das mit ihr noch einmal versuchen wollte, dann musste er auch ehrlich sein. Und ehrlich sein war von Angesicht zu Angesicht manchmal einfacher, als nur am Telefon.
Schlafen konnte er jetzt eh nicht mehr. Also stand er schließlich auf, drehte sich eine Kippe und rauchte sie auf seinem Balkon schnell auf. Felix beobachtete die Leute, die morgens schon irgendwo hin hetzen mussten und war dankbar, dass er meistens ausschlafen konnte. Er beschloss, erstmal trainieren zu gehen, damit der anstrengende Teil des Tages schon einmal erledigt war. Nachdem er seine Sportklamotten in die Tasche gepackt hatte, steckte er sich die nächste Kippe in den Mund und lief die Treppen herunter.
Auf dem Weg zum Studio sprachen ihn zwei Fans an, eigentlich ungewöhnlich für Berlin. Er machte Fotos und lächelte und dachte dabei daran, was Mia gesagt hatte. Ließ er keine Nähe zu? Ja, er überspielte ernste Themen oft mit einem Lachen und war sicherlich nicht der Typ für eine dramatische „Ich liebe dich"-Szene. Eigentlich war an diesem Abend ja nichts passiert, er hatte nur die Nummer einer Alten abgestaubt, die er aber bereits aus seinem Telefon gelöscht hatte. Und trotzdem hatte er Anna rausgeschmissen, sein eigenes Verhalten hatte ihm irgendwie die Füße unter dem Boden weggezogen. Vielleicht hatte er wirklich mehr daraus gemacht, als es war. Vielleicht würde Anna ihm das sogar verzeihen. Was aber zum nächsten Problem führte – er wuchtete die schwere Hantel in die Luft – er hasste es, sich zu entschuldigen.
Sie lief durch die Stadt und hatte sich vorgenommen, ein wenig zu shoppen. Anna wollte sich aufmuntern, weil sie gerade wieder zehn Minuten „Sonne und Beton" hatte ertragen müssen. Sie bummelte durch die Secondhandläden in Kreuzberg und lächelte beim Gedanken daran, sich eine dicke Leopardenjacke zu kaufen. Irgendwie fand sie die Dinger immer cool, aber am Ende hatte sie eben doch nicht den Mut, sie zu tragen. Wieder betrachtete sie sich mit dem langen Mantel im Spiegel, nur, um ihn dann wieder wegzuhängen.
Sie tingelte noch ein wenig weiter, doch musste sich schließlich eingestehen, dass das Shoppen keinen Effekt hatte. Sie fühlte sich einfach nicht besser, sondern grübelte immer wieder darüber nach, ob Felix wirklich die Jugend gehabt hatte, die im Buch beschrieben wurde. Sie wusste ja, wie es hier in Neukölln sein konnte und irgendwie spürte sie Mitleid tief in sich drin, wenn sie an ihn dachte. Vielleicht machte er auch einfach nur einen auf harten Kerl, weil er nicht anders konnte. Weil das Leben es ihm irgendwie so beigebracht hatte. Sie steckte sich eine Zigarette an und wanderte weiter durch das kalte, zunehmend schmutzige Berlin.
Anna wanderte an dem Café vorbei, in dem sie häufig gesessen hatten und blickte durch die beschlagenen Scheiben ins Innere, verspürte aber keine Lust, hineinzugehen. Sie zog ihre Übergangsjacke enger um den Körper und rauchte noch eine Zigarette. Verdammt, wenn das so weiter ging, würde sie zur Kettenraucherin mutieren. Dass Spotify ihren AirPods jetzt auch noch Skylar Grey mit „Love the Way you lie" vorschlug, trug nicht unbedingt zu ihrer Stimmung bei.
Anna versuchte sich aufzumuntern, indem sie an die leuchtenden Gesichter ihrer Kinder dachte, als sie ihr Versprechen wahr gemacht und wieder das Hörbuch mit ihnen gehört hatte. Nach dieser anstrengenden Woche hatten sie es sich wirklich verdient, eine Belohnung zu bekommen. Vor allem, da für viele die Aktivitäten draußen nun so langsam wegfielen. Sie konnten sich draußen seltener beim Fußball oder anderen Sportarten abreagieren, weil alles in dunklen Nebeldunst und Gischt getaucht war. Das merkte man dann in der Schule, sie waren aggressiver und weniger ausgelastet, wenn sie den ganuen Nachmittag nur vor dem Fernseher oder dem Tablet verbrachten. Ann seufzte und überlegte, was sie aus dieser düsteren Laune retten konnte.
Vielleicht sollte sie sich einfach noch aufraffen und ins Fitnessstudio gehen. Oder joggen. Sie entschied sich für joggen und ignorierte die Stimme, die ihr sagte, dass sie das Studio wegen Felix mied.
Zuhause bei Lea (die mal wieder aus war) packte sie ihre Sportsachen zusammen, die sie schon gefühlte Ewigkeiten nicht mehr benutzt hatte. Sie besaß tatsächlich Laufschuhe und eine Thermoleggins, die sie irgendwann wegen des plötzlichen Wunsches, sportlich zu werden und morgens vor der Arbeit joggen zu gehen, gekauft hatte. Und seither kaum noch angerührt hatte, klar.
Ihre Knochen standen heraus, als sie sich vor dem Spiegel betrachtete. Anna bemerkte durchaus, dass sie dünner geworden war. Doch ihr fehlte einfach der Appetit. Und Lea mit ihren ganzen Diätdrinks und dem Obst im Kühlschrank machte es ihr nicht gerade leichter, regelmäßig und gut zu essen.
Anna blickte aus dem Fenster des schicken Penthouses und fragte sich, ob es nicht eigentlich schon zu dunkel für eine Joggingrunde war. Aber sie hatte sich jetzt entschieden, an diesem Freitagabend noch etwas zu tun, das zumindest dafür sorgte, dass sie am Abend gut einschlafen konnte. Und so packte sie sich dick ein, streifte die Sportschuhe über, band ihre Haare zu einem hohen Dutt und drückte die AirPods wieder in die Ohren.
Sie drehte Capital richtig laut auf und spürte schon bei den ersten fünf Metern, wie die Anspannung von ihr abfiel. Und wie ihre Lunge fast kollabierte, weil sie in letzter Zeit so viel geraucht hatte. Aber sie riss sich zusammen und mit jedem Meter wurde es leichter, das, zugegeben, langsame Tempo zu halten. Autos fuhren vorbei, sie wich Fußgängern am Spreeufer aus und lief doch immer weiter und weiter, durch die hereinbrechende Nacht und den Feinstaub, sie fühlte sich frei. Capital rappte an ihrem Ohr und Anna musste über die teilweise ziemlich dummen Texte schmunzeln, während sie weiterjoggte.
Felix lümmelte auf seinem Sofa herum und hatte irgendwie keine Lust, zu Frankie zu fahren. Ja, er hatte seinem Vater versprochen, heute Abend bei ihm zu essen und Julian war auch da. Er wusste ja, dass er selten in Berlin war und wenn, dann musste er sich auch mal bei dem alten Silberrücken blicken lassen. Er war im Fitnessstudio gewesen, hatte ordentlich trainiert und dann noch mit Kawus einen Kaffee getrunken. In zwei Tagen ging es schon wieder los, Richtung Regensburg, und sein Klamottenberg starrte ihn vom Flur aus an. Genauso wie die halb geöffnete Tür des Pfandraums, der seit gestern nicht mehr zu ging, weil die Flaschen sich so hoch stapelten. Er hatte einfach keinen Bock, zu waschen und überlegte, ob er sich da unten in Regensburg nicht einfach was Neues kaufen sollte (ja, er wusste, dass das asozial war, aber war ihm auch irgendwie egal).
Morgen früh hatte er noch einen Termin mit der Kältehilfe Berlin. Eigentlich war es nicht so sein Ding, sein Gesicht in die Kamera zu halten, so als wäre es etwas Besonderes, auch mal was für andere zu machen, aber die hatten gesagt, dass sie hofften, dadurch Aufmerksamkeit zu generieren. Es wurde jetzt im November teilweise schon unter null Grad nachts, sodass es höchste Zeit wurde, Menschen ohne Wohnsitz zumindest warme Klamotten und ein heißes Getränk anzubieten.
Seufzend stand er auf und packte einen Teil der Pfandflaschen in eine große Tüte, sodass man zumindest wieder in den Raum gehen konnte, ohne eine Flaschenreihe zum Einsturz zu bringen. Er packte ein paar Glasflaschen dabei, die er eigentlich auch hatte wegbringen müssen und schulterte die Tasche. Nach einem Blick auf die Rolex stellte Felix fest, dass er eigentlich schon viel zu spät dran war. Er packte seine Autoschlüssel und das iPhone, joggte die Stufen herunter und warf Annas Exfreund, der ihm mit irgendeiner blonden Tussi im Treppenhaus entgegenkam, einen grußlosen, finsteren Blick zu.
Felix stellte die Tüte inklusive Flaschen auf den Bürgersteig und freute sich, das erledigt zu haben. Der Mercedes blinkte auf, als er auf den Schlüssel drückte und er schwang sich hinter den Fahrersitz. Laut ballerte Kanye los und Felix spürte, dass seine Laune sich ein wenig hob. Vielleicht hatte Heike ja irgendwas Geiles gekocht. Schnell fuhr er aus der Einfahrt.
Es regnete immer mehr und Anna spürte, wie das Wasser ihre inzwischen durchnässten Haare hinablief und sich in ihrem Nacken sammelte. Zusammen mit der Anstrengung beim Laufen und dem Schweiß fühlte sich das nicht besonders angenehm an. Sie blieb einen Moment stehen und holte tief Luft. Kanye rappte unaufhaltsam weiter und erinnerte sie daran, dass Stehenbleiben und Bewegungslosigkeit beim Joggen keine guten Ideen waren.
Sie drückte auf eine der Ampeln, um die große Kreuzung zu überqueren. Diese Ampeln waren ihr irgendwie immer suspekt. Während viele Autos einfach ein rotes Signal angezeigt bekamen, wurde den Rechtsabbiegern nur durch ein Blinklicht mitgeteilt, dass Fußgänger Vorrang hatten. Sie joggte auf der Stelle und wartete auf das Signal, das eigentlich gleich kommen müsste.
Das leuchtende Fußgängermännchen mit klassischem Berliner Hut signalisierte ihr, dass sie loslaufen konnte. Da Anna wegen der niedrigen Temperaturen ohnehin schon ziemlich kalt war, rannte sie einfach. Aus irgendeinem Grund stellten sich plötzlich ihre Nackenhaare auf.
Und dann ging alles ganz schnell. Sie hörte quietschende Reifen und laute, dumpfe Bässe. Dann spürte Anna einen Schlag am Hinterkopf, ihre Beine wurden weggerissen, sie flog durch die Luft. Und dann ein weiterer Schlag auf den Kopf, dieses Mal an der Schläfe. Und dieses Mal knipste er ihr das Licht aus. Sie hörte nichts mehr, spürte nichts mehr, außer dem rauen, kalten, nassen Asphalt unter sich.
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Weiber, oder? Gemischtes Hack - Felix Lobrecht x OC
Fanfic„Ziemlich teuer hier", bemerkte Tommi, der durch das viele Treppensteigen ein wenig außer Atem zu sein schien. „Ja, mein... Freund hat sie gemietet..." „Achso", Tommi schwieg, „kannst du ihn nicht anrufen wegen des Schlüssels?", fragte er dann. Sie...