Do I trust him?

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Er war einfach weg. Mum war einfach weg...
Ich stand eine Zeit lang wie eingefroren vor dem Bett, dann spürte ich wie Dad seinen Arm wegnahm, meine Hand aus Mums löste; dann hörte ich ihn aufschluchzen. Zuerst dachte ich, ich höre mich selbst, aber ich weinte nicht. Keine einzige Träne stahl sich aus meinen Augen oder suchte sich überhaupt erst den Weg dort hinein.
Da war einfach nur eine große Leere.
Kurz darauf wurde meine Hand von etwas anderem ergriffen. Es war Harry. Er stand einfach mit mir da, hielt meine Hand fest und drängte mich nicht zu gehen. Er war einfach da.
Irgendwann, ich weiß nicht wie lange es dauerte, schickten die Ärzte uns allerdings weg.
Ich sah und spürte dass Harry mich in seine Arme zog und ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge versteckte.
Ich sah, dass ich in Harrys Auto gesetzt wurde und Harry mich und Dad ins Hotel zurückfuhr, weil Dad einfach nicht in der Lage war zu fahren.

Eine Zeit lang saßen wir alle drei still im meinem Hotelzimmer. Ich auf meinem Bett, Dad auf einem der Stühle die immer an so einem kleinen Tisch in Hotelzimmern stehen und Harry saß auf dem Schreibtisch.

Dann räusperte Dad sich einmal und begann zu sprechen:
" Tja. Ich weiß nicht was ich sagen soll."
Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und seufzte.
Ich stand auf, setzte mich neben ihn und lehnte mich an ihn.
"Grace... Ich glaube es ist besser, wenn du vorerst aus dem Hotel auscheckst und zu Harry ziehst bis sich das alles hier wieder normalisiert hat und die Beerdigung vorbei ist.
Das ist vielleicht noch sehr früh, aber ich glaube das tut dir ganz gut."
Monoton nickte ich.
"Tut mir leid",flüsterte ich und umarmte ihn.
"Was?", fragte er verwirrt. "Dass ich nicht stark genug bin um hier bei dir zu bleiben."
"Das brauchst du nicht Schatz, du bist schon stark genug. Wir schaffen das irgendwie."
Dann lösten wir uns, Dad strich mir ein letztes Mal über den Kopf, dann gingen Harry und ich.

Harry hatte Dad angeboten, dass er ebenfalls mit in sein Apartment kommen könnte, aber dieser blieb lieber im Hotel, weil er von dort aus alle Dinge wegen Beerdigung, Versicherungen, Krankenkasse und all dem Wirtschaftskram von Mum besser erledigen konnte.
Ich fühlte mich ein bisschen schlecht, ihn einfach allein zu lassen, aber er betonte bestimmt zwölf mal dass ich doch bitte zu Harry ziehen soll und dass er ja gar nicht allein sei, er hätte ja Freunde in der Nähe und Harrys Apartment läge auch gar nicht soweit entfernt.
Letztendlich stimmte ich ihm zu. Vielleicht war es das Beste für uns beide, wenn wir mit dem normalen Leben weitermachten und nicht in Trauer versanken. Und Harrys Leben bot wirklich Abwechslung genug.
Es war seltsam.
Ich weinte nicht eine einzige Träne seit diesem Tag.
Die ganze Zeit über hatte ich nie das Gefühl, als wäre Mum weg. Ich realisierte das wahrscheinlich noch gar nicht.
Ich lebte ganz normal weiter, führte meine Beziehung ganz normal weiter, spürte normal.
Aber doch war da immer diese Leere die ich fühlte, und die nie weg ging.

Im Auto fiel sie mir wieder ein.
Wir waren gerade bei meinem Dad gewesen und hatten einiges besprochen. Unter anderem auch sie.
Die Beerdigung!
Die hatte ich ja gar nicht bedacht. Genau genommen hatten auch nur Dad und Harry gesprochen. Ich war wie so oft abwesend mit meinen Gedanken und hatte nicht zugehört. Ich bewunderte Dad dafür, dass er einfach so weiter machen konnte, so ganz ohne Emotionen, und alles einfach so kalt abwickelte. Machte Mums Tod ihm etwa nichts aus?
Im nächsten Moment schämte ich mich bereits wieder für diesen Gedanken. Er hatte Mum geliebt. Natürlich machte es ihm etwas aus, er hatte im Gegensatz zu mir ja auch im Krankenhaus geweint. Vielleicht war ich einfach so kalt geworden, dass ich nicht mitbekam, wie schlecht es Dad ging. War ich tatsächlich so abgestumpft, dass ich keine Emotionen mehr hatte und nichts mehr mitbekam? Aber ich spürte ja Emotionen. Ich spürte diese tiefe, feste Liebe zu Harry. Ich konnte lachen wenn er einen Witz machte,  das einzige was ich nicht mitbekam war Trauer. Sowohl meine, als auch Dads. Trauerte Harry auch? Aber er hatte Mum ja nicht gekannt, das war eigentlich unmöglich.
Dann wanderten meine Gedanken zurück zu der Beerdigung.
Ich wollte da nicht hin. Ich konnte nicht.
Es war schon zu hart gewesen, Mum im Krankenhaus zu besuchen.
Geschweige denn dabei zu sein als sie starb.
Die Beerdigung würde ich nicht auch noch ertragen können. Die ganzen Leute, die alle ihr Mitleid aussprachen, die schwarze Kleidung. Die traurige Stimmung. Ich hatte Angst, dass mich das alles noch mehr runterziehen würde. Dass ich in ein Loch fallen würde. Und dort nie wieder rauskommen könnte.
"Woran denkst du?", fragte Harry, und sah mich von der Seite an. Ich sah kurz in seine Richtung und blickte dann wieder aus dem Fenster.
Harry löste seine rechte Hand vom Lenkrad und legte sie an mein Gesicht. Er drehte mein Gesicht in seine Richtung und zwang mich so in seine Augen zu sehen.
"Sicher?", fragte er prüfend.
"Sieh besser auf die Straße. Ich will nicht, dass du wegen mir noch einen Unfall hast und dein Auto kaputt geht."
"Ich kann nicht mit ansehen, wie du so leidest. Ich will dich endlich wieder lachen sehen und geteiltes Leid ist halbes Leid.
Ich gucke also solange in deine Augen, bis du mir antwortest. Und wenn ich dafür fünf neue Autos kaufen muss weil ich einen Unfall nach dem anderen baue."
Ich schwieg. Ich konnte nichts dazu sagen, ich hatte auf einmal einen riesigen Kloß im Hals.
"Also?", fragte er und grinste mich frech durch seine Locken an.
"Ich habe Angst...", gestand ich ihm.
Er nahm mit seiner Hand, die vorher auf meinem Oberschenkel gelegen hatte, meine und verflocht unsere Finger ineinander.
Ich war ihm dankbar dass er nicht nachhakte sondern mir die Zeit ließ die ich brauchte.
Er wusste auch ohne dass ich es ihm erklärt hatte, dass ich es ihm erzählen würde, sobald ich konnte.
Erstaunlicherweise war dieser Zeitpunkt relativ schnell da.
Normalerweise war ich ein Mensch der negative Dinge eher in sich reinfraß und lieber mit sich selbst ausmachte, bevor er sie irgendwem erzählte.
Ich brauchte lange bis ich dafür in der Lage war und ich erzählte solche Dinge nur, wenn ich sicher war, dass ich der Person absolut vertrauen konnte, falls ich überhaupt erzählen konnte.
Aber als ich in eine Decke gekuschelt, mit Flauschesocken an Harry gelehnt, seinen Arm um meine Schulter gelegt auf dem Sofa lag und wir beide eine XXL-Tasse Kakao mit Marshmellows vor uns hatten, fühlte ich mich so sicher und geborgen wie noch nie.
Ich vertraute ihm.

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