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Die Sonne scheint hell und warm auf mich herab, als ich das stickige Schulgebäude verlasse. Augenblicklich hebe ich meine Hand um meine Augen vor der Sonne abzuschirmen.

Niemand schenkt mir Beachtung, als ich den Schulhof überquere, und nicht das sie das sonst tun würden, aber heute sind alle Augen auf ein kleines rotes Auto gerichtet, an dem eine Schwarzhaarige Schönheit in weißem Tennisrock und rotem Oversized-Pullover steht.

Überfordert bleibe ich wie angewurzelt stehen, als sie ihren Kopf hebt und ihre blauen Augen direkt auf mir landen. Sie musste mich nicht einmal suchen; als wüsste sie immer genau wo ich mich befinde.

Gwendolyn schenkt mir ihr wunderschönstes Lächeln und ich habe das Gefühl, dass die Sonne heute erneut aufgegangen ist. Zaghaft erwidere ich ihr Lächeln und als würden meine Beine plötzlich ein Eigenleben führen, tragen sie mich zu ihr.

Nach Halt suchend klammere ich mich an den Trägern meines braunen Rucksacks fest. Ich weiß nicht was ich machen soll oder was ich sagen könnte. Ich habe so etwas doch noch nie gemacht!

Aber Gwendolyn rettet mich zum Glück. „Hey Betty."

„Denkst du dir jetzt jeden Tag einen neuen Spitznamen für mich aus?", frage ich sie lächelnd.

„Wenn dich das glücklich macht, werde ich das sehr gerne tun. Glaub mir, ich habe noch eine Menge tolle Spitznamen für dich auf Lager."

Ich erröte bei ihren Worten ein bisschen und senke meinen Blick auf die Schuhspitzen meiner ausgelatschten Doc Martens. Hat sie sich etwa Gedanken über mich gemacht? Vielleicht denkt sie ja auch so viel an mich, wie ich an sie.

Oder bilde ich mir das bloß ein? Denn wieso sollte jemand wie Gwendolyn schon an mich denken. Da gibt es nichts spannendes oder besonderes.

In Gedanken versunken, bemerke ich erst gar nicht, wie sie die Beifahrertür ihres Autos öffnet und dann grinsend auf den Sitz deutet. „Kommst du jetzt endlich?"

Überfordert starre ich erst sie an und dann den Beifahrersitz. „Du hast das gestern ernst gemeint? Du willst wirklich etwas mit mir unternehmen?"

„Nein, ich stehe hier bloß aus Langeweile und weil ich gern von hunderten Highschool Schülern angestarrt werde."

„Oh." Nervös beginne ich an meiner Unterlippe herum zu kauen.

Gwendolyn stöhnt frustriert auf. „Verdammt, Elisabeth. Natürlich habe ich das gestern ernst gemeint! Hast du noch nie etwas von Sarkasmus gehört?" Sie drückt mich auf den Beifahrersitz, schließt schwungvoll die rote Tür und während sie auf der Fahrerseite einsteigt, stelle mich meinen Rucksack schnell zwischen meinen Füßen ab.

„Naja...", beginne ich, als Gwendolyn das Auto vom Schulhof lenkt und sich in den Straßenverkehr Bostons eingliedert. „Ich war mir halt nicht sicher, weil du mich gar nicht nach meiner Adresse oder so gefragt hast."

Ich spiele nervös mit meinen Fingern und werfe einen kurzen Blick auf Gwendolyn, die mich plötzlich auch ansieht, bevor sie wieder auf die Straße schaut. „Also ich hatte eventuell einen kleinen Spion, der mir geholfen hat."

„Wie meinst du das?", frage ich verwirrt nach.

Sie grinst schief. „Mein Bruder geht in deine Klasse und er hat mir verraten, dass du in diesem hübschen Café arbeitest und wann du heute Schluss hast. Ich weiß, dass war vielleicht ein bisschen blöd und aufdringlich von mi-"

Ich unterbreche sie schnell. „Nein. Nein. Alles gut. Ich bin froh, dass du es so gemacht hast."

Sie wirft mir erneut einen kurzen Blick zu, der dieses Mal jedoch verwundert ist. „Anders hätte ich mich niemals getraut.", erkläre ich ihr deshalb. Und es ist mir nicht einmal peinlich dies zuzugeben; nicht vor ihr, niemals.

Es fühlt sich einfach richtig an es ihr zu erklären, denn ich will, dass sie mich versteht. Wenigstens ein Mensch auf dieser Welt soll das tun.

„Du musst wissen, dass ich sowas noch nie getan habe.", erkläre ich weiter. „Ich weiß nicht wie sowas funktioniert, oder was man sagt, wie ich mich verhalten soll."

„Ja und? Das ist doch nicht schlimm. Das Einzige was du tun musst, ist du selbst zu sein. Verstell dich nicht, Betty. Nicht für mich, oder für sonst irgendjemanden."

Ich glaube sie bemerkt gar nicht was ihre Worte mit mir machen; wie viel sie mir bedeuten.

Und trotzdem sind da wieder diese Zweifel, die nicht mal Gwendolyn vertreiben kann; ich glaube keiner kann das. „Aber niemand mag mich eben so wie ich bin."

„Bullshit!" Sie sieht mich ernst an. „Ich mag dich, Betty."

Die Röte steigt erneut in meine Wangen und ich richte meinen Blick nach draußen; beobachte die vorbeiziehenden Häuser, die nun immer weniger werden, da wir Boston verlassen.

Ich würde Gwendolyn so gerne etwas zurückgeben. Wir treffen uns erst das dritte Mal und sie hat mir schon so sehr geholfen, ohne dass sie es überhaupt mitbekommen hat.

„Aber du kennst mich doch gar nicht richtig. Du kannst dir also gar nicht sicher sein, ob du mich magst.", sage ich schließlich. Und nachdem ich die Worte ausgesprochen habe, will ich sie direkt wieder zurücknehmen. Das ist nicht das, was man unter etwas zurückgeben versteht. Das ich auch nie das Richtige sagen kann!

Jedoch scheint mir Gwendolyn meine Worte nicht übel zu nehmen. Sie schenkt mir nur ein kleines Lächeln, bevor sie einen kleinen schwarzen Knopf an ihrem Lenkrad drückt und das Dach des Autos langsam nach hinten fährt, sodass sich der blaue, wolkenlose Himmel über uns eröffnet.

„Deswegen werden wir das ja jetzt auch ändern!", sagt sie schließlich, ein breites Grinsen im Gesicht.

Oh. Mein. Gott.

Rot-Oranger RegenbogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt