acht

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Gemeinsam mit Gwen betrete ich unser kleines Einfamilienhaus. Mein Herz donnert wie wild in meiner Brust, als ich die Haustür hinter uns schließe und mich zu ihr umdrehe. Gwendolyn sieht sich grinsend in unserer Küche um; lässt ihre Finger über die Regale schweifen und betrachtet kichernd die Kinderfotos von mir und meiner Schwester Heather.

„Ich liebe es hier.", sagt sie schließlich. „Ich habe noch nie ein Haus gesehen, dass so liebevoll eingerichtet wurde."

Ich sehe mich um. Lasse meinen Blick über die beigefarbenen Küchenmöbel, den einfachen braunen Küchentisch und die vielen verschieden Pflanzen, die teilweise wohl etwas Wasser vertragen könnten, wandern. Hier gibt es nichts besonderes, außer vielleicht die merkwürdigen Familienbilder, die Mum schon vor Ewigkeiten hier aufgehängt hat.

Dad, Heather und ich finden sie schrecklich, aber trotz allem durfte Mum sie aufhängen, als sie uns darum bat. Denn niemand in diesem Haus könnte ihr einen Wunsch abschlagen. Vor allem Dad nicht.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du auf sowas stehst.", gebe ich zu.

Gwen sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Auf sowas?"

Ich lache leicht und deute etwas unbeholfen auf unsere Möbel. „Naja, sowas einfaches und kitschiges."

„Oh, ich liebe das Einfache! Glaub mir, man sieht es mir vielleicht nicht an, aber diese Art von Haus ist genau das, was ich später haben will." Sie lässt sich auf einem der Stühle nieder. „Ich mag das hier so viel mehr, als das Haus meines Onkels, mein Zuhause." Die letzten Worte spuckt sie abfällig aus.

Verwundert sehe ich sie an und meine Gedanken überschlagen sich, als ich nach möglichen Gründen für ihre offensichtliche Verachtung gegenüber ihrem Zuhause und ihrem Onkel suche. Aber ich traue mich nicht die Worte auszusprechen, die mir auf der Zunge liegen.

„Meine Eltern sind beide tot.", erzählt sie mir schließlich, als hätte sie meine stumme Frage verstanden. „Starben bei einem Autounfall vor fünf Jahren."

Sprachlos sehe ich sie an. Die Worte sind ihr so leicht über die Lippen gekommen; fast schon kalt, emotionslos. Fieberhaft suche ich nach einer passenden Antwort, denn ein einfaches tut mir leid, will mir nicht über die Lippen kommen. Denn Mal ganz ehrlich, das ist die unpassendste Antwort, um auf solch eine Mitteilung zu reagieren. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass dies auch das letzte ist, was Gwendolyn hören will.

Ironischerweise ist es ausgerechnet meine Familie, die mich rettet, als sie zu dritt plötzlich in der Küche stehen und uns freundlich begrüßen, oder eher Gwendolyn, die sich schnell von ihrem Stuhl erhebt. „Schön dich endlich kennenzulernen, Gwendolyn. Ellie hat schon so viel von dir erzählt!"

Meine Wangen werden augenblicklich rot, als ich in Gwens blaue Augen schaue, die mich schelmisch ansehen. „Nur Gutes hoffe ich doch, Mrs. Lauder.", sagt sie schließlich. „Freut mich übrigens auch sehr, Sie kennenzulernen."

„Oh, nenn mich doch bitte Marylin. Und das ist mein Mann George."

Gwendolyn sieht zu Dad, der ihr grinsend seine Hand hinhält, die sie ebenso grinsend ergreift. „Freut mich, Gwendolyn."

Fast hätte ich erleichtert aufgeseufzt und bei dem breiten Lächeln, das Gwens Gesicht ziert könnte ich vor lauter Freude Luftsprünge machen. Innerhalb weniger Tage hatte sie mein Herz im Sturm erobert und sie wusste es nicht einmal.

Aber ich würde wohl eher sterben, als mit Gwendolyn offen darüber zu reden.

„Wir haben übrigens Sushi mitgebracht. Du magst doch Sushi, oder, Gwendolyn?", breit grinsend hält meine Schwester Heather zwei blaue Papiertüten in die Luft, die mir bis eben gar nicht aufgefallen sind. Aber jetzt nehme ich sehr deutlich den Geruch meines Lieblingsessens wahr.

Gerade jetzt könnte unsere Küche auch als die kleine Sushi-Bar durchgehen, in der meine Familie und ich immer essen gehen. Oder besser gesagt, immer essen gingen, denn in letzter Zeit ist es dazu immer seltener gekommen. Wir haben uns irgendwie alle vier ein wenig auseinander gelebt; Mum und Dad haben nicht mehr den Draht zu mir, den sie einst hatten und auch Heather und mich verbindet nicht mehr so viel, wie noch vor ein paar Monaten.

Aber ich bin selbst Schuld daran, habe mich immer mehr abgeschottet und dafür gesorgt, dass die Dinge so sind, wie sie jetzt eben sind. Und trotz allem weiß ich, dass es besser so ist. Denn nur ein ernsthaftes Gespräch mit Mum oder Heather und ich würde zusammenbrechen; dann würde mich nichts mehr davon abhalten alles rauszulassen und dem nachzugeben, was mir mein Herz schon so lange einredet. Ein kurzer Blick in die grünen Augen der beiden und alles würde zerbrechen, wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen; jede Lüge, jede Ausrede, jede lange Nacht, die ich grübelnd, mich nach der Wärme meiner Schwester sehnend, verbrachte, würde ans Licht kommen und das kann ich nicht zulassen.

Sie haben ihre eigenen Problem, ihre eigenen Sorgen. Da benötigen sie nicht auch noch die meinen.

Es ist Gwendolyn, die mich aus meinen dunklen und verworrenen Gedanken holt, als ihre rauchige und gleichzeitig unfassbar liebliche Stimme durch die Küche hallt. „ Oh ja, ich liebe Sushi! Aber wer tut das bitteschön auch nicht?"

Ein kleines Lachen entfährt meiner Schwester. „Das ist die Antwort, auf die ich gehofft hatte."

„Bei einer anderen Antwort hätte Ellie dir wahrscheinlich auch die Freundschaft gekündigt!", sagt mein Vater schmunzelnd, als er gemeinsam mit Mum den Tisch deckt.

„Dann weiß ich ja jetzt womit man dich glücklich machen kann." Gwendolyn sieht mich lächelnd an, was ich nickend erwidere.

„Was isst du eigentlich gerne?" Gemeinsam setzen wir uns zu meiner Familie an den Esstisch und ich höre ihr aufmerksam zu; hänge an ihren Lippen und merke mir jede Kleinigkeit, die Gwendolyn uns aus ihrem Leben anvertraut. Das Ganze hat etwas intimes und vertrautes, obwohl der Großteil der Fragen, mit denen meine Mutter und Heather Gwendolyn bombardieren nur oberflächlich ist.

Allein an der Art, wie die Augen meiner Mutter funkeln, als sie sich mit Gwendolyn unterhält und wie Dad die beiden mit einem sanften Lächeln beobachtet, weiß ich, dass die beiden Gwendolyn lieben. Und das ist alles was für mich zählt; alles was wichtig ist.

An diesem Abend vergeht die Zeit wie im Flug. Ich war selten so entspannt bei einem gemeinsamen Essen und ich glaube es ist auch schon eine Weile her, dass ich mich so wohl gefühlt habe. Auch Gwendolyn hat Spaß, oder zumindest flüsterte sie mir dies ins Ohr, als meine Eltern gerade mit Heather über irgendwelche komplizierten Matheaufgaben reden; nichts, was Gwen und mich großartig interessiert.

Doch plötzlich räuspert sich die Schwarzhaarige neben mir etwas unbehaglich und holt mich somit aus meiner Trance. „Könnte ich vielleicht heute Nacht hierbleiben?"

Rot-Oranger RegenbogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt