dreizehn

66 20 32
                                    

Verliebt sein ist ein komisches Gefühl. Nicht das es irgendein Wort gibt, dass es auch nur ansatzweise passend beschreibt, aber ich denke, man kann es mit Fallen vergleichen.

Der Fall in etwas Neues und Unbekanntes.

Man findet keinen Halt und anfangs versucht man verzweifelt nach allem möglichen zu greifen, dass dir irgendwie Sicherheit gibt. Aber letztendlich ist es mit dem verliebt sein genau wie mit der Schwerkraft; man kann nichts dagegen unternehmen.

Wenn du fällst, handelt es sich meistens nur um wenige Millisekunden, die sich für dich jedoch anfühlen, wie eine halbe Ewigkeit, während deine Umgebung an dir vorüberzieht. Plötzlich ist das Fallen gar nicht mehr so schlimm und alles scheint möglich.

Also gibt man sich diesem Gefühl hin und akzeptiert sein Schicksal.

Ich kann nicht mal sagen, wann genau ich aufgehört habe nach Halt zu suchen, um den sowieso unaufhaltsamen Fall abzuwenden. Oder wann mir bewusst wurde, dass ich auch Sicherheit im Fallen finden kann. Vielleicht war es während meines Gesprächs mit Heather, vielleicht auch schon viel früher, aber gerade jetzt trifft mich die Erkenntnis wie nie zuvor.

Alle Dinge, die ich mit Gwen verbinde rasen nun alle auf einmal in meinem Kopf herum. Unsere gemeinsamen Erinnerungen. Ihr Lachen, nachdem ich einen schlechten Witz erzählt habe. Die orangen Rosen, die sie mir bei jedem Treffen schenkt und deren vertrocknete Blätter ich in einem Glas aufbewahre. Oder der Klang ihrer Stimme, wenn sie über Dinge erzählt, die ihr Freude bereiten.

Mir war nie richtig klar, wie schnell sich das zwischen Gwen und mir entwickelt hat. Es kommt mir einfach so vor, als wäre sie schon immer da. Als wäre sie schon immer der Teil in meinem Leben, der dafür sorgt, dass ich nach dem Fallen nicht aufschlage.

Gwendolyn ist die Sicherheit in meinem Leben, die ich vorher nie hatte.

Die mir Mom, Dad oder Heather so niemals geben könnten. Und das ist auch ok.

Und während ich nun neben Gwen im Bett liege, keine Ahnung wie oder wann wir endlich bei mir Zuhause ankamen, scheinen sich meine Gedanken langsam zu beruhigen, als ich in ihr schlafendes Gesicht blicke. Zurück bleiben nur Leere, Wärme und die Erkenntnis, dass ich mich unwiderruflich verliebt habe.

Lächelnd lege ich einen Arm um die schlafende Gwendolyn neben mir und beobachte fasziniert, wie sie meine Geste leise murmelnd erwidert.

Das Einschlafen fällt mir heute leichter.

---

Meinen Kopf habe ich auf Gwens Schoß gebettet und abwesend fährt sie durch meine blonden Haare. Ich glaube, es ist ihr nicht mal so richtig bewusst, aber ich genieße jede einzelne Sekunde. Gleichzeitig habe ich meine Augen auf ihr Gesicht gerichtet, um ihr aufmerksam zuzuhören.

„Mein Onkel Dexter ist ein sehr...", sie zögert kurz, bevor sie weiterspricht: „...impulsiver Mann."

Plötzlich bekomme ich Angst, dass all die schlimmes Szenarien, die ich mir jeden Abend im Kopf ausgemalt habe, während ich Gwens leises Schluchzen durchs Telefon gehört habe, vielleicht doch ein bisschen stimmen könnten.

„Nach dem Tod von Mum und Dad sind Astaroth und ich bei ihm eingezogen. Ich kann dir nicht mal sagen, wieso er uns das angeboten hat, denn er kann uns ganz offensichtlich nicht leiden. Manchmal, wenn er was getrunken hat, wird er wütend. Also so richtig. Es scheint irgendwie alles zu viel für ihn zu werden und dann muss er seine Wut an irgendetwas oder irgendwem auslassen." Ihre Stimme wird immer langsamer und gleichzeitig ganz hektisch und ich glaube mein Herz setzt kurz einen Schlag aus.

Ruckartig setze ich mich auf. „Du meinst also..." Die Worte wollen mir einfach nicht über die Lippen kommen, denn zu groß ist die Angst, dass sie dadurch wahr werden.

Gwens wundervolle und gerade so unendlich traurige Augen richten sich auf mich. „Ja... manchmal schlägt er mich. Oder Astaroth." Mein Atem stockt. Es ist etwas ganz anderes darüber nachzudenken, als diese Gedanken dann auch wirklich bestätigt zu bekommen.

Ihre Hände beginnen zu zittern und ich fange schnell eine Träne auf, bevor sie ihre Wange herunterkullern kann. „Vielleicht liegt es daran, dass As und ich unserer Mum so ähnlich sehen. Dexter und sie hatten eine enge Beziehung. Vielleicht erinnern wir ihn zu sehr an seine tote Schwester. Oder vielleicht liegt es daran, dass ich lesbisch bin. Oder daran, dass As und ich total schlecht in der Schule sind. Oder-"

„Hör bitte auf damit, Gwen." Meine Stimme ist nur ein Hauchen. „Hör auf die Fehler bei dir, oder deinem Bruder zu suchen, wenn sie nicht bei euch liegen. Es ist nicht deine Schuld!"

Ich umfasse mit beiden Händen ihr Gesicht und schaue ihr fest in die geröteten Augen. Sie muss jedes einzelne Wort glauben, dass ich ihr sage. „Es ist egal, wen du liebst. Ob Junge, ob Mädchen, oder was auch immer. Es ist auch egal, was für Noten du in der Schule bekommst, denn die definieren nicht. Und es ist erst recht egal, ob du aussiehst wie deine Mutter. Das ist doch kein Verbrechen. Ganz im Gegenteil, sei verdammt nochmal stolz darauf!"

Gwen schlingt ihr Arme um mich und ein Schluchzer nach dem anderen bricht aus ihr hervor, während sie ihren Kopf in meiner Schulter vergräbt. Und ich halte sie.

Nach einer Weile lässt ihr Schluchzen nach und sie löst sich langsam von mir. Aber nur so weit, dass sie ihre Stirn gegen die meine lehnen kann. „Es ist wirklich egal, wen ich liebe. Und glaub mir, das zwischen uns beiden wird mir mein Onkel nicht nehmen können. Niemals."

Ich umfasse ihr Kinn und lege meine Lippen sanft auf ihre. Es fühlt sich so natürlich an; so selbstverständlich. Wieso gibt es also Leute, die etwas gegen unsere Beziehung haben? Wieso hat Gwens eigener Onkel etwas gegen sie, nur weil sie ein Mädchen liebt?

Aber ich verdränge den Gedanken an Gwens Onkel und an alle anderen. Ihre Meinung ist sowieso uninteressant. In diesem Augenblick zählt nur Gwendolyn; ihre Lippen, die sich nun gegen meine bewegen und ihre Hände, die auf meinen Armen sanfte Kreise zeichnen. Ihre blauen Augen, die bis in mein Innerstes sehen können und das Prickeln, das überall dort auftaucht, wo Gwens Haut meine eigene berührt.

Und plötzlich steht meine Mum im Zimmer.

Mit riesigen Augen huscht ihr Blick immer abwechselnd von mir zu Gwendolyn. Etwas benommen lösen wir uns voneinander und ich versuche peinlich berührt mein Oberteil zurecht zu rücken.

Gerade könnte ich sie wirklich verfluchen. Ausgerechnet jetzt!

„Uhm... also... ich wollte euch wirklich nicht unterbrechen..., sondern... uhm... eigentlich...", stottert sie etwas unbeholfen, was dafür sorgt, dass mir das Ganze nur noch unangenehmer ist. Ich schaue kurz zu Gwen, deren Wangen mindestens genauso rot sind, wie meine, aber trotz allem schenkt sie mir ein breites Grinsen.

„Ist schon gut, Mum.", sage ich schließlich. Dabei versuche ich meine verwuschelten Haare etwas zu richten. Anscheinend klappt das nicht ganz so gut wie erhofft, denn sowohl Mum als auch Gwendolyn kichern leise und schließlich lasse ich mich stöhnend zurück aufs Bett fallen.

Ein Kichern kann ich mir aber auch nicht verkneifen. Das Ganze ist so absurd. Wie kann in einer Stunde bitte so viel passieren?

„Also ich wollte eigentlich nur fragen, ob Gwen nachher mit uns zusammen essen gehen möchte? Wir wollen in mal wieder Sushi essen gehen. Das haben wir doch schon so lange nicht mehr getan."

Ich schiele Gwendolyn rüber, deren Augen plötzlich verdächtig glitzern, seitdem meine Mutter sie mit ihrem Spitznamen angesprochen hat. Sie nickt schnell und ich versuche das verräterische Grinsen, möglichst zu unterdrücken. „Ich würde sehr gerne mitkommen, Marylin."

Mum schenkt Gwen ihr herzlichstes Lächeln. „Perfekt!"

Rot-Oranger RegenbogenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt