Ich weiß, dass ihr mehr als Freunde seid.
Mehr als Freunde.
Mehr als Freunde.
Mehr als Freunde.
Heathers Worte, die sie mir neulich, nach dem gemeinsamen Essen mit Gwen ins Ohr flüsterte, wollen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Selbst für mein neues Buch kann ich mich heute nicht begeistern; zu präsent ist die Frage in meinem Kopf.
Sind wir wirklich mehr als Freunde?
Die Frage bleibt unbeantwortet und vielleicht wird sie das noch für eine ganze Weile tun.
Aber als würde Gwendolyn spüren, dass ich über sie nachdenke, was in letzter Zeit ehrlich gesagt so gut wie immer ist, lässt sie sich euphorisch auf dem Platz gegenüber von mir nieder, eine kleine braune Papiertasche in der Hand, sowie eine orange Rose, die sie mir lächelnd überreicht, was mich zum grinsen bringt. „Also, meine Liebe..." Sie packt zwei Sandwiches aus und hält mir eins direkt vor die Nase. „Ich glaube, du hast ein kleines Problem mit dem Essen, unterbrich mich bitte, wenn das nicht stimmt."
Das Grinsen schwindet und ich bleibe still, blicke ihr geradewegs in die blauen Augen, überrumpelt von ihrer Direktheit, die mir gerade droht den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
„Also wusste ichs doch. Zugegeben kenne ich mich in diesem Gebiet wirklich nicht aus, aber ich weiß, dass das Ganze wirklich böse enden kann, wenn man nichts dagegen unternimmt. Und ich will wirklich nicht, dass das bei dir passiert, Beth. Also werden wir von nun an immer gemeinsam essen." Fast könnte man denken, Gwen würde mir gerade von ihrem Lieblingssong oder dem Wetter erzählen, so leicht kommen ihr die Worte über die Lippen.
Irgendwie wirkt alles, was sie tut so einfach.
Unsicher spiele ich an meinem braunen Lederarmband und meine Gedanken überschlagen sich; ich wäge all die Vor- und Nachteile ab, versuche zu entscheiden ob es das wert ist. „Gwen, ich weiß nicht ob ich das kann", gebe ich schließlich zu. „Ich glaube, ab einem bestimmten Punkt in meinem Leben habe ich mich einfach zu sehr daran gewöhnt. Die Sorgen und das ständige Beschäftigen mit dem Essen sind mittlerweile einfach ein Teil von mir und ohne diesen weiß ich einfach nicht mehr wer ich bin." Ich atme tief aus, als die Worte meinen Mund verlassen. Meine Unterlippe bebt und nur mit Mühe kann ich das zurückhalten, was sich gerade versucht einen Weg an die Oberfläche zu bahnen.
Das Ganze auszusprechen macht es irgendwie beunruhigend real.
„Natürlich kannst du das." Ihre Hand ergreift meine eigene und eindringlich sieht sie mich an. „Wir können das. Ich weiß, dass so etwas nicht von heute auf morgen passiert und nur weil ich dir sage, dass dein Körper es verdient hat zu essen, nicht gleich diese hässliche Stimme in deinem Kopf verschwindet, die dir versucht etwas anderes einzureden. Aber gemeinsam können wir das schaffen, Schritt für Schritt. Zusammen."
Meine Augen wandern von den Sandwich langsam zurück zu ihr, zurück zu Gwendolyn, und plötzlich scheint alles ganz klar zu sein. Gwendolyn und ich sind nicht nur Freunde, wie könnten wir auch.
Ich will nicht einmal das wir nur Freunde sind.
Also beuge ich mich ein wenig über den Tisch, der mich von Gwen trennt, und ziehe ihr Gesicht ein wenig zu mir. Lege meine Hände auf ihre rosigen Wangen und lege meine Lippen endlich auf ihre; spüre wie die Welt um uns verschwindet und nur noch wir beide übrig bleiben.
Ich spüre wie Gwen ihre Lippen gegen die meinen bewegt und ihre Arme sich um meinen Hals legen.
So viel mehr, als nur Freunde.
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Rot-Oranger Regenbogen
Short StoryÜber lange Nächte an leisen Orten, mit kurzen Worten zwischen lauten Stillen. Über Elisabeth und Gwendolyn. Über ihre Ecken und Kanten; ihre Unvollkommenheiten. Über ihre bedingungslose Liebe. @sommernachtsgewitter | april2021 - dezember2021