Nur das Rascheln der Blätter im Wind und das vereinzelte Zwitschern eines Vogels ist zu hören, als Gwendolyn und ich durch den Wald gehen. Ich hab überhaupt keine Ahnung wo wir hier gerade sind und vielleicht plant Gwendolyn mich hier irgendwo zu verscharren, aber dann würde man doch keinen Picknick-Korb in der Hand halten, oder?
Und selbst wenn das ihr Plan sein sollte, wäre es mir egal. Wenigstens sterbe ich dann an einem unfassbar schönen Ort.
„Du bist jemand, der sehr viel nachdenkt, richtig?", durchbricht Gwendolyn plötzlich die Stille.
„Leider ja."
Sie beginnt leise zu Lachen. „Und worüber hast du gerade nachgedacht?"
„Ich habe überlegt, ob du planst mich hier irgendwo umzubringen.", sage ich. Ihr Lachen wird lauter und mit einem schiefen Grinsen im Gesicht sieht sie mich schließlich an; die blauen Augen strahlend wie immer, umrahmt von ihren langen, dunklen Wimpern. „Mit dieser Frage hättest du dich vielleicht beschäftigen sollen, bevor du das erste Mal in mein Auto gestiegen bist."
Jetzt beginne auch ich zu lachen, verstehe plötzlich wieso sie das Ganze so lustig fand.
Denn wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wäre die Frage vor einer Woche wirklich angebrachter gewesen. „Selbst wenn du das planen solltest, Gwen." Sie grinst breit, wobei ich jedoch keine Ahnung habe ob es wegen meinen Worten, oder dem Spitznamen ist, den ich ihr gerade verpasst habe. „Es wäre mir egal. Irgendwann muss sowieso jeder sterben."
„Irgendwann, Beth." Sie lächelt mich leicht an. „Aber nicht heute."
Ich reiße meinen Blick von ihr los und sehe wieder nach vorne. Schweigend laufen wir weiter, begleitet von der Melodie des Waldes. Ich atme tief ein; fülle meine Lunge mit der frischen Luft. Atmen hat sich noch nie so einfach angefühlt, wie mit Gwendolyn an meiner Seite.
Irgendwann biegt sie dann schließlich nach rechts ab und ich folge ihr. Vor uns liegt eine kleine Lichtung mit vielen verschiedenen Blumen und hohem Gras; fast wie im Märchen.
„Es ist schön hier, nicht wahr?", sagt sie schließlich, bevor sie den Korb auf den Boden abstellt und eine rot-weiß karierte Decke herausholt.
Ich nehme die eine Seite in die Hand und Gwendolyn die andere und so breiten wir gemeinsam die Decke auf dem Boden aus. „Ja, es ist..." Ich suche nach einem passenden Wort, um diesen Ort zu beschreiben. „Atemberaubend."
Nickend setzt sie sich auf die Decke und ich lasse mich gegenüber von ihr nieder. Wir scheinen zwischen dem hohen Gras zu verschwinden und plötzlich gibt es nur noch uns beide. Umgeben von bunten Blumen, alten Bäumen und sich im Wind biegendem Gras.
Neben mir wachsen ein paar Gänseblümchen und da ich nicht weiß, was ich sonst mit meinen Händen anstellen soll, beginne ich aus den zarten weißen Blumen einen Kranz zu machen.
„Meine Mum hat immer versucht mir das beizubringen." Gwendolyns Stimme geht fast im Rauschen der Blätter unter und ihre Augen verfolgen die Bewegungen meiner Finger. „Aber irgendwie habe ich es nie hinbekommen."
Ich sehe sie an. Meine braunen Augen suchen ihre blauen. „Soll ich es dir nochmal zeigen?"
Gwendolyn scheint zu überlegen und mutig rutsche ich ein bisschen näher an sie heran. „Komm schon, Gwen."
„Na gut.", sagt sie schließlich. „Aber vorher will ich noch was essen!" Aus ihrem Korb holt sie Erdbeeren, belegte Bagels und Gummibärchen, von denen sie sich sofort ein paar in den Mund steckt.
Sie hält mir einen der Bagels direkt vor die Nase. „Ähm danke, aber ich hab gerade keinen Hunger."
Stirnrunzelnd sieht die Schwarzhaarige erst auf meine Finger, die nervös begonnen haben die Blütenblätter eines Gänseblümchens abzurupfen, und dann in meine Augen. Aber ich schaffe es nicht ihren Blick zu erwidern, habe Angst, dass ihre wundervoll blauen Augen mich durchschauen könnten, und die großen Eichen hinter ihr sind gerade sowieso viel interessanter.
„Ich sag dir, du verpasst etwas.", meint sie schließlich, bevor sie einmal herzhaft in das runde Gebäck beißt. Daraufhin antworte ich nur mit einem milden Lächeln, wobei ich allerdings Angst habe, dass es mehr wie eine Grimasse aussieht.
Gwen merkt wohl, dass dies nicht zu meinen Lieblingsthemen gehört. „Also wie macht man jetzt nochmal so einen Blumenkranz?"
Dankbar für den Themenwechsel, beginne ich ein paar Gänseblümchen zu pflücken. „Also, es ist wirklich nicht schwer.", versuche ich sie zu motivieren.
Sie lacht kurz auf, was dafür sorgt dass sich auch auf meine Lippen ein Lächeln stiehlt.
Und dieses Mal ist es ein Echtes.
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Rot-Oranger Regenbogen
Short StoryÜber lange Nächte an leisen Orten, mit kurzen Worten zwischen lauten Stillen. Über Elisabeth und Gwendolyn. Über ihre Ecken und Kanten; ihre Unvollkommenheiten. Über ihre bedingungslose Liebe. @sommernachtsgewitter | april2021 - dezember2021