V I E R Z E H N

58 8 8
                                    

I don't know how
I don't know why
But I know that I will try
To begin again, to begin again, to begin
To live and love and breathe again

Z A Y N - to begin again



Eigentlich hätte mir der erneute Tod meiner Eltern nicht so nahe gehen dürfen. Immerhin wusste ich es. Ich wusste, wie es sich anfühlte und ich wusste, dass der Schmerz irgendwann weniger werden würde. Aber nie hätte ich damit gerechnet, dass es fast noch mehr wehtun würde beim zweiten Mal.
Diesmal hatte ich nicht die Nachricht bekommen und von zwei Polizisten einen vorgespielt emphatischen Tatvorgang bekommen, sondern ich hatte alles gesehen. Der Aufprall. Das Schleudern. Die leblosen Körper.

Man sagt, nach einem Verlust, durchlebt man gewisse Trauerstadien. Aber ich hatte einfach keine Lust darauf. Nicht mal auf Mia's besorgte Blicke, während ich monoton die ganzen Anrufe abklapperte und auflegte, sobald ein Verwandter anfing zu weinen, hatte ich Lust. Sie musste mich entweder für Bipolar oder ein Monster halten. Jedoch war sie mir nicht von der Stelle gewichen. Sie blieb bei mir und irgendwie kotzte mich selbst das an. Denn ich hatte das Gefühl, wir waren schuld an dem Tod meiner Eltern. Besser gesagt war ich einfach schuld.

Vielleicht kotzte Mia mich auch nur so an, weil ich mich immer mehr in sie verliebte und wusste, dass ich das nicht durfte. Egal wie sehr ich mich dagegen sträubte, ich konnte es nicht aufhalten. Sie war wie ein Virus, welches meinen Körper komplett infizierte und mein Gehirn lahmlegte.

Die Beerdigung war genauso schön und beschissen zugleich wie beim ersten Mal. Etliche Menschen schüttelten mir die Hände und sprachen mir ihr Beileid aus. Menschen, die ich nicht einmal kannte, da sie sich auch nicht zu Lebzeiten für meine Eltern interessiert hatten. Aber jetzt waren sie alle aus ihren Löchern gekrochen, um so zutun als ob.

Ich war wütend. Wütend auf alles, aber primär wütend auf mich.

Als mich die Parasiten endlich verlassen hatten, ließ ich mich laut seufzend aufs Sofa meines Elternhauses fallen und lockerte die Krawatte. Mia reichte mir eine Tasse Tee und setzte sich neben mich. Sie trug ein schwarzes Kleid und obwohl es nahezu „Beerdigung" schrie, sah sie umwerfend darin aus.

„Glaub, du hattest genug Kaffee für heute. Ist nicht gut fürs Herz", sagte sie und spielte mit ihrem eigenen Teebeutel.

„Willst du mir was sagen?", gab ich mit einem schiefen Grinsen zurück und deutete auf die Aufschrift des Tees „Schlank und Fit".

Sie lachte leicht und erzählte, dass meine Eltern sonst wohl nur Detox und Beruhigungstees anzubieten hatten. Wahrscheinlich hatte meine Mutter nach einer ihrer Saftkur-Episoden auch ihren Tee Schrank darauf eingestellt.

Wir schwiegen kurz. Nicht dieses unangenehme Schweigen, sondern eins das genug sagte. Und ich dachte darüber nach, ob ich jemals in der Lage sein würde, sie aufzugeben. Immerhin gehörte sie zu mir und ich würde meine Beine dafür ins Feuer legen, dass kein Mensch so gut zu mir passen würde.

Wie von selbst nahm ich ihre Hand und platzierte einen Kuss auf ihren Handrücken. Sie lächelte und verschränkte ihre Hand in meine. Waren wir eigentlich schon zusammen? Kannten wir uns dafür nicht offiziell viel zu wenig?

„Danke." Ich durchbrach die Stille. „Ich bezweifle, dass ich das hier ohne dich gepackt hätte." Sie schenkte mir das wohl schönste Lächeln, das ein Mensch besitzen konnte.

„Dafür brauchst du dich nicht bedanken. Ich bin eher dir dankbar dafür, dass du dich mir anvertraust und ich bin jederzeit gerne für dich da."

was wäre wennWo Geschichten leben. Entdecke jetzt