Z W E I

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I'm tryin' not to forget my words,

'cause when I'm around you I tend to keep changing my mind

T w o F e e t - love is a b


Es war noch zu früh, um irgendwo hinzugehen, also nutzte ich die Zeit und betrachtete mein Antlitz ausgiebig im Spiegel. Meine braunen wirren Locken hatten wohl seit längerem keinen Friseur mehr gesehen, vielleicht mochte ich es auch einfach so. Vom hart erkämpften Dreitagebart war keine Spur zu sehen.

Ich fühlte mich so fremd in meinem eigenen Körper. Auch wenn es nur kleine Dinge waren, die mich äußerlich von meinem fünfundzwanzigjährigen Ich unterschieden, hatte sich geistig so einiges verändert. Langsam zog ich mein graues T-Shirt hoch und fing an zu lachen. Fast hatte ich vergessen, dass ich mal wirklich freiwillig trainieren gegangen war. In nicht einmal fünf Jahren würde ich dafür keine Zeit mehr finden oder besser gesagt nicht mehr finden wollen. Die Beziehung zu Mia hatte mich wohl einige Muskeln gekostet und ich trauerte keiner einzigen Faser nach.

Ich setzte mich wieder aufs Bett und begann, das alte Handy zu durchsuchen. Dabei entdeckte ich Freunde, die ich seit mindestens vier Jahren nicht mehr gesehen, sondern nur noch über soziale Medien mitbekam, wer gerade geheiratet hat oder schon geschieden ist. Ein nostalgisches Lächeln formte sich auf meinen Lippen. Wenn ich wirklich eine zweite Chance bekommen würde, könnte ich vielleicht etwas daran ändern.

Die Fotogalerie führte mich erneut auf eine Zeitreise, diesmal genoss ich sie jedoch. Ich entdeckte Bilder von meinem Abiball, dem äußerst misslungenen Abistreich, bei dem wir alle so betrunken waren, dass wir nichts auf die Reihe bekommen hatten. Es waren schöne Erinnerungen, an die ich schon viel zu lange nicht mehr gedacht hatte.

Die Zeit verging viel zu schnell, während ich in Erinnerungen schwelgte,. Der Anruf meines besten Freundes, Alex, erinnerte mich daran, dass ich noch etwas zutun hatte.

„Na, warst du heute in der Uni?" Er fing sofort an zu lachen. Mist, ich versuchte mich krampfhaft daran zu erinnern, welche Kurse ich im dritten Semester belegt hatte, doch mir wollte es partout nicht einfallen. Aber ich war kaum in der Uni gewesen, da meine Vorlesung meist darin endeten, dass ich mir eine Serie auf dem Laptop anmachte, um das Umfeld ausblenden zu können. Das war auch die Antwort auf die Frage, weshalb ich manche Klausuren erst beim zweiten Mal bestanden hatte.

„Wollen wir heute in die Dachkammer?"

„Hab' keine Lust zu trinken, können uns aber trotzdem an der Warschauer treffen und schauen, wohin wir könnten", schlug ich vor, da ich ganz genau wusste, wo ich hinwollte. Es war Dienstag und durch Mia hatte ich es mir abgewöhnt, viel zu trinken. Nachdem er weitere fünfzehn Minuten auf mich einredete, ließ er sich dazu überreden, in ein Café zu gehen, das ihm auch seinen Alkohol servieren würde. Im Endeffekt würde er höchstens zwei Bier oder einen Cocktail trinken und dann über Magenschmerzen klagen, weil er sich niemals eingestehen würde, dass er einfach nichts vertrug. Manche Dinge änderten sich halt nie.

Zu der Warschauer Straße wollte man nicht mit dem Auto fahren. Das war einfach so. Nirgendwo bestand die Chance auf einen Parkplatz und das Risiko, das ein Junkie einem vors Fahrzeug springen würde, war zu groß. Als ich meinen Führerschein frisch bekommen hatte, nach dem dritten Versuch, hatte ich das Herz des Bezirks Friedrichshain unterschätzt und musste meine erste Gefahrenbremsung machen, weil eine Gruppe betrunkener in Lederhosen mir vor das Auto laufen wollten. Im Dezember. Außerdem verpasste man es, jede zwei Meter von einem Dealer angesprochen zu werden, wenn man nicht über die Brücke lief. Es erfüllte alle Klischees. Zwischen Dealern und Obdachlosen aßen spirituelle Studenten ihre glutenfreie,vegane Currywurst und unterhielten sich mit Touristen auf Englisch. Sie hatten einen viel zu schlechten britischen Akzent, den man nicht einmal Schülern bei einer Hörübung vorspielen konnte. Aber irgendwie mochte ich diese verbrauchte Seite von Berlin.

was wäre wennWo Geschichten leben. Entdecke jetzt