(Achtung brutale Inhalte!)
„Wo warst du so lange?" Shyla stand im Türrahmen und rieb sich die Augen. Sie wollte schlafen, konnte jedoch kein Auge zu tun, zu viel war gestern und auch heute passiert. Immer wieder tauchten Gregors Leiche vor ihrem Auge auf und immer wieder sah sie das Gesicht von Priamos, welches sie gestern voller Leidenschaft küsste und immer wieder sah sie Daro und seinen Kompagnon, wie sie sie gequält hatten. Nach zwei Stunden Grübeleien ist sie schlussendlich aufgestanden und hatte sich dazu entschieden, die ohnehin schon dreckige Wohnung endlich wieder einmal ordentlich sauber zu machen. Immer noch keine Spur von Demir oder ihrem Vater, der nicht mehr am Sofa gelegen ist, wie sie zurückgekommen ist. Jetzt stand ihr Bruder im Türrahmen und er hatte ein Packet dabei. „Ich war noch bei Kazir und Mathis." Meinte er und legte seinen staubigen grauen Mantel ab. „Und das Packet?" Shyla stemmte die Hände in die Hüfte und blickte ihn an. „Ein Essen." Er legte es auf ihren hölzernen Tisch und ein so wunderbarer Geruch erfüllte ihre kleine Küche, dass Shyla beinahe in die Knie ging. Perplex starrte sie auf das Fleisch mit Kartoffeln und Gemüse, welches vor ihr verpackt in dem Päckchen gelegen ist. Genau jenes Mahl, welches sie eigentlich für heute zubereiten wollte, doch durch den Zwischenfall mit Daro konnte sie es nicht und nun lag es auf ihrem Tisch. „Woher hast du das?" „Es ist an der Türschwelle gelegen. Der Wohltäter beliefert uns jetzt wohl auch mit Essen."
Freudig saß er sich auf den fast kaputten Holzstuhl und stach mit einer Gabel in das Fleisch. „Warte!" Sie hielt seinen Arm fest und schien zu überlegen. „Das ist doch seltsam, irgendwer legt uns Geld vor die Tür und dann das köstliche Essen. Was, wenn es vergiftet ist." „Die Kohle vergiftet uns, aber nicht dieses Essen. Wenn uns wer umbringen will, so soll er uns nur hier weiterleben lassen aber dieses Essen .... es ist eine Wohltat und wer auch immer es uns gegeben hat, für denjenigen beten wir heute." Stirnrunzelnd blickte sie ihn an. Er hatte Recht, natürlich, das hatte er immer. „Nun gut." Auch sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und stach zu. Der erste Bissen, der in ihren Mund kam, war eine Erlösung schlechthin. So gutes Essen hatte sie schon lange nicht mehr. Es war nicht so, dass sie Hunger erleiden mussten, nur bestand ihre vorwiegende Nahrungsquelle aus altem Brot, Käse und ab und zu etwas Fleisch, doch nicht so ein zartes. „Dank den Göttern." „Dank dem Wohltäter." Verbesserte sie Demir und leckte begierig an der Gabel.
„Wir sollten für Vater etwas übriglassen." Warf Shyla in die Runde und war bedacht darauf, dass Demir nicht alles aufaß. „Er ist alt genug, dass er sich selber etwas zum Essen machen kann. Er bringt uns doch eh nur wieder Schulden ein. Ich habe ihn in Kramas gesehen." „Was machst denn du in Kramas?" „Unsere Schulden begleichen." Meinte Demir ungerührt und Shyla stockte der Atem. „Ich war heute auch bei Ascian, unser Wohltäter hat heute schon zweimal zugeschlagen." Überrascht hob Demir die Augenbrauen und fluchte laut. „Dann haben wir Ascian zu viel gezahlt, ich war auch schon dort. Hat er dir deine Ohrfeige verziehen?" Shyla schluckte, daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Ihre letzte Begegnung mit Ascian war nicht gut geendet, denn er hatte ihr ein vernichtendes Angebot gemacht, daraufhin hatte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Sie sollte für die Götter beten, dass er ihr das nicht übelgenommen hat, im Gegenteil er hatte es nicht einmal erwähnt. Seltsam. „Hat nichts dazu gesagt." Shyla stand auf und nahm räumte den Rest weg, bevor Demir sich noch mehr nehmen konnte. „Das macht nichts, es ist sowieso nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder etwas von ihm leihen wird. Woher hast du das Geld?" Demir lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Sie waren beide braunhaarig und er hatte dieselben Locken wie sie und dieselben braunen Augen. Ein Ebenbild in männlich und weiblich. „Ich habe es von meinen Ersparnissen." „Das sollst du nicht, du sollst für eine bessere Bleibe sparen, das weißt du!" Die Worte fuhren heftiger aus als erwartet, doch sie war erschöpft von den Ereignissen dieses Tages.
„Ach und was ist mit dir?" fuhr Demir sie an. Das war das schlimme an den beiden, sie waren zu aufbrausend, zu stürmisch, zu sehr von ihren Gefühlen geleitet, sodass es öfter zu einem heftigen Streit kam. „Weil ich das meiste von dem Wohltäter hierfür verwende." Gab Shyla gepresst von sich. „Aber doch nicht alles, das ist der springende Punkt. Wieso soll ich für eine bessere Zukunft planen, wenn du es nicht kannst." Demir wusste genau wieso, warum sie sich so quälte, sich um ihren Vater zu kümmern, warum sie ihn noch nicht aufgegeben hat, wieso sie immer wieder zu Ascian ging. Sie war schuld an dem Tod ihrer Mutter und somit auch Schuld für die Alkoholsucht ihres Vaters und Schuld, dass sie so leben mussten. In Reka hatten sie es besser. „Du bist nicht schuld an Mutters Tod." Genau jene Worte hatte er schon so oft zu ihr gesagt und doch machte es keinen Unterschied, denn sie wusste, dass sie es war und es änderte nichts daran. „Ich gehe schlafen." Meinte sie nur und schloss die Schlafzimmertür hinter sich zu. „Shyla, hör auf dich zu quälen." Meinte Demir und seufzte laut auf. „Ich gehe zu Kira. Wenn was ist, geh zu Gaia oder Kazir und Mathis. Ich habe dich lieb." Solche Worte hörte sie nur sehr, sehr, sehr selten aus Demirs Mund und das hieß, dass er sich wirklich Sorgen um sie machte. „Viel Spaß." Brachte sie noch mühsam hervor und sie wartete geduldig, bis Demir aus der Wohnung verschwand, bevor sie in Tränen ausbrach und laut aufschluchze. Die Ereignisse brachen auf sie hinab und sie sah Gregors Leiche und die ihrer Mutter, immer wieder. Mühsam stand sie auf und taumelte zu ihrem alten Bett und verkroch sich dort. Sie war schuld, sie war schuld, sie war schuld.

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Praedictio
FantasyCybelus ein Land geschmieden von den sechs Göttern, in welchem eine junge Menschenfrau sich ihrem Schicksal stellen muss. Die Visaner, die Nachfahren der Göttern stellen sich über die Menschen, doch einer scheint es sich angetan zu haben, der jungen...