Cassandra ließ ihren Kopf auf die Tischplatte des Missionsraumes sinken. „Es ist offiziell.", murmelte sie, „Mein Schlafrhythmus ist jetzt komplett im Eimer."
Nachdem ihre Freunde sie bei sich zu Hause abgesetzt hatten, hatte es nicht lange gedauert und sie musste zur Schule. Erst hatte sie daran gedacht die Schule komplett zu schwänzen, da sie die ersten Stunden ohnehin schon verpasst hatte, aber das wäre angesichts der baldigen Abschlussprüfungen keine gute Idee gewesen. Deswegen war sie wohl oder übel hingegangen, was dazu geführt hatte, dass sie zwischendurch immer wieder eingenickt war. Die Freunde hatten sich für den frühen Abend im Zentrum verabredet, weswegen sich Cassandra nach der Schule erstmal wieder aufs Ohr gehauen hatte. Trotz allem war sie noch immer sehr erschöpft.
Sie schaute zu Fynn, der langsam den Kopf hob. „Was ist Schlaf?", murmelte er müde, „Ich habe kein Auge zugekriegt."
Cassandra legte den Kopf schief und betrachtete seine großen Flügel, die sich wie eine blaue Decke um seinen Körper legten.
Fynn schaute sie verwirrt an. „Was ist? Willst du mir wieder eine Feder rausrupfen? Was hast du eigentlich mit der gemacht, die du mir heute Morgen herausgerissen hast?"
Cassandra kratzte sich verlegen am Kopf. „Die hängt jetzt über meinem Bett.", erwiderte sie ehrlich.
Fynn bekam große Augen. „Du hängst dir meine Federn wie eine Trophäe über das Bett?", fragte er ungläubig.
Cassandra zuckte mit den Schultern. „Ich finde sie schön.", meinte sie, „Außerdem wird eh niemand anders sie jemals sehen. Schließlich liegt noch immer ein Zauber auf ihnen, oder? Zudem habe ich niemanden, der mich besucht."
Fynn wiegte den Kopf leicht hin und her. „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob sich der Zauber auflöst oder nicht."
Cassandra zuckte erneut mit den Schultern. „Dann sage ich halt, dass sie von einem Papagei ist oder so."
„Warum findest du meine Flügel nun so interessant? Die sind doch nun wirklich nichts Besonderes."
„Für dich vielleicht.", entgegnete Cassandra, „Ich sehe sie erst seit einigen Stunden und vorher habe ich nicht einmal gewusst, dass du welche hast, weil du ja auch nie auf meine Frage eingegangen bist."
„Und deswegen sind sie so interessant?"
Cassandra schaute ihn genervt an. „Kannst du dir das nicht denken?"
„Ist ja gut."
„Wieso benutzt du sie nicht öfter? Ich meine, du kannst fliegen! Das muss doch so ein schönes Gefühl sein."
Fynn zögerte. „Naja..."
Cassandra starrte ihn ungläubig an. „Hast du etwa Höhenangst?"
Fynn schüttelte den Kopf. „Nein, es-" Er zögerte erneut und holte noch einmal tief durch. „Es sind eher die Vögel. Ich bin mal in einen Schwarm Tauben reingeflogen. Glaub mir, das war nicht gerade eine tolle Erfahrung."
Cassandra konnte ihr lautes Lachen nicht zurückhalten. „Tauben? Deswegen fliegst du nicht so gern?"
Fynn verdrehte die Augen. „Ja verdammt. Aber das ist nicht der einzige Grund. Es sieht schon etwas komisch aus, wenn ein Junge wie aus dem nichts in die Luft aufsteigt."
„Stimmt, diejenigen, die deine Flüge nicht sehen können und nichts von dieser Welt wissen, könnten einen Herzinfarkt kriegen."
Fynn faltete seine Hände auf der Tischplatte. „Wie geht es dir damit? Also, dass du jetzt alles siehst, was ich auch sehe?"
Cassandra zog eine Grimasse. „Es ist komisch. Ich habe heute herausgefunden, dass mein Mathelehrer, wie soll ich es beschreiben, Tentakeln statt Barthaaren besitzt."
Fynn zog eine Augenbraue hoch. „Interessant."
„Ja, und ich habe noch mehr gesehen, als ich hier her gekommen bin." Sie runzelte die Stirn.
Fynn verdrehte die Augen. „Was brütet dein Gehirn jetzt wieder aus?"
„Es brütet nichts aus, es denkt nach."
„Noch gefährlicher. Worum geht es?"
„Wenn Menschen viele Dinge nicht sehen können, weil sie einen Unsichtbarkeitszauber besitzen, heißt es dann, dass es sowas wie Nessi auch gibt?"
„Fragst du mich das jetzt ernsthaft?"
„Ich bin ja schon leise."In diesem Moment kamen Medusa und Jen auf sie zu. Jen sah genauso erschöpft aus wie Fynn und Cassandra. Medusa hingegen wirkte hellwach. Sie nickte Cassandra zu. „Na ausgeschlafen?"
Cassandra fuhr sich über die Augen. „Die Frage war jetzt nicht ernst gemeint, oder?"
„Nein, du siehst vollkommen fertig aus." Medusa schaute zu Fynn. „Das gilt übrigens auch für dich."
Fynn musste erneut gähnen. „Ach ne."
Jen musterte ihn und Cassandra mit einem leicht besorgten Blick. „Aber sonst ist alles in Ordnung? Kein Schwindelgefühl oder so?"
Fynn schüttelte den Kopf. „Nein, uns beiden geht es gut."
Jen nickte langsam. „In Ordnung."
Fynn beugte sich zu Cassandra herüber. „Das wird sie mich jetzt noch Jahre lang fragen.", flüsterte er. Jen verschränkte die Arme. „Das hab ich gehört und ja, das werde ich wohl tun, da ich ja nicht mehr darauf vertrauen kann, dass du zu mir kommst, wenn etwas ist."
Cassandra kicherte. „Das hast du dir selbst eingebrockt.", flüsterte sie zurück, nicht ohne sich zu vergewissern, dass Fynn den etwas wütenden Unterton in ihrer Stimme bemerkte.
Er seufzte. „Ich hab's ja verstanden.", murmelte er und wechselte schnell das Thema.
„Wie lief es mit dem Rat?", fragte er und überschlug die Beine.
Medusa schwang sich auf die Tischplatte. „Langsam geht es mir auf die Nerven, dass der Rat alles wissen muss, was wir über den Stein herausfinden. Es ist nervig und verplämpert Zeit, die wir eigentlich nicht haben. Meine Schwester läuft noch immer da draußen herum und will diesen Stein.", meinte sie bitter.
„Aber ich kann es verstehen.", bemerkte Jen, „Schließlich hat sie ein Ratsmitglied entführt. Deswegen auch die täglichen Meetings. Sie wollen sichergehen, dass wir sie schnappen."
„Töten ist nicht erlaubt?"
Jen starrte Medusa sprachlos an. Diese zuckte mit den Schultern.
„Rein theoretische Frage."
„Es macht mich nervös, dass du jetzt so über sie redest. Noch vor einem Tag hast du dich in deinem Zimmer eingeschlossen."
„Das war bevor sie angefangen hat meiner Familie zu schaden. Ich bin schon lange genug weggelaufen. Es ist Zeit damit abzuschließen und da geht nicht, wenn sie noch lebt."
Cassandra zog die fehlenden Tagebuchseiten aus ihrer Jackentasche. Sie waren zerknickt und an einigen Stellen eingerissen. „Dann hoffen wir mal, dass wir hierdrauf etwas finden, was uns weiterhilft. Da muss einfach etwas draufstehen. Ich bin Euryale nicht ohne Grund auf die Kathedrale gefolgt."
DU LIEST GERADE
Medusa-Die Frau im Trenchcoat
FantasyWatty Gewinner 2022! *abgeschlossen!* Cassandra folgte Medusa weiter den Gang entlang. "Wie sind Sie zur Jägerin geworden? Und wie ist es möglich, dass Sie noch leben? Auf Wikipedia steht, dass Sie von Perseus getötet wurden." "Sehe ich für dich et...