Was jetzt?

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Cassandra fuhr langsam über das Symbol an ihrem Handlegelenk und warf dann einen Blick auf Fynn, der in einem der Krankenbetten auf der Station im Zentrum lag. Von seinen Flügeln war inzwischen nichts mehr zu sehen. Wenn Cassandra sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte sie nicht geglaubt, dass er überhaupt welche besaß.
Jen kniete neben dem und hatte ihre Finger mit Fynns verschränkt. Verstohlen wischte sie sich über die Augen. „Ich hätte merken müssen, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Ich habe es geahnt, aber ich habe nichts unternommen.", flüsterte sie kaum hörbar.
Cassandra sah auf. „Ich habe es bemerkt.", erwiderte sie mit brüchiger Stimme, „Und doch habe ich nichts unternommen. Heute schien es ihm besser zu gehen und ich habe es geglaubt."
Jen schüttelte den Kopf. „Dir kann ich am wenigsten einen Vorwurf machen Cassandra. Du weißt nicht wo die Grenzen in der Feenmagie liegen und was sie können und was nicht."
Jen vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie wirkte erschöpft und hilflos.
Plötzlich wurde die Tür mit einem Krachen geöffnet und Medusa stand im Türrahmen. Als sie Fynn erblickte, schien ihre sonst gerade und starke Haltung in sich zusammen zu fallen.
„Oh nein.", murmelte sie.
Jen sah auf. Medusa blickte direkt in ihre rot geweinten Augen und spürte wie sich ihr Herz auf die Größe eines Stecknadelkopfes zusammenzog. Jen versuchte etwas zu sagen, doch aus ihrem Mund drang kein Laut. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Medusa kam auf sie zu, zog sie vom Boden hoch und schlang die Arme um sie. Jen vergrub ihr Gesicht schluchzend an ihrer Schulter. „Ich hätte es merken müssen.", flüsterte sie immer und immer wieder. Medusa strich ihr langsam über den Rücken. „Wir beide hätten das.", flüsterte sie zurück.
Cassandra erhob sich von ihrem Stuhl und ließ sich neben Fynns Bett nieder. Vorsichtig schob sie seinen Ärmel hoch. „Es ist dasselbe Zeichen.", murmelte sie.
Jen löste sich von Medusa und schob sie von sich weg. „Ich muss mal kurz raus.", murmelte sie und verließ das Zimmer mit schnellen Schritten. Medusa schaute ihr mit einem schmerzerfüllten Blick nach. Sie wusste, dass weder Jen noch Cassandra diesen sehen konnten, doch sie wusste, dass Jen spürte, dass sie ihren Schmerz teilte. Langsam kam sie auf Cassandra zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Es ist alles meine Schuld.", sagte sie bitter.
Cassandra sah auf. „Sagen Sie doch so etwas nicht. Es ist nicht ihre Schuld. Es-"
„Doch es ist meine Schuld!", unterbrach sie Medusa, „es ist meine Schuld, dass Euryale wieder aufgetaucht ist. Und anstatt, dass ich mich ihr entgegenstelle, verstecke ich mich. Du hast recht, ich bin eine Enttäuschung."
„Medusa..."
„Nein, hör auf es schönreden zu wollen! Es ist eine Sache, wenn sie auf mich Jagt macht. Es ist das eine, wenn sie mich foltert und verletzt, aber sie vergreift sich nicht an meiner Familie! Ich schwöre, dass sie dafür büßen wird."
„Medusa verdammt! Im Moment geht es um Fynn. Es geht nicht um Sie, nicht um ihre Schwester, die meinetwegen dahin verschwinden kann wo der Pfeffer wächst, nicht um Jen und nicht um mich! Es geht nur um Fynn und er braucht Hilfe, also bitte konzentrieren Sie sich!", schrie Cassandra mit bebender Stimme. Dann brach ihre Stimme ab und glich nur noch einem leisen Flüstern. „Wir müssen ihm helfen."
Medusa fuhr sich durch die Haare. „Wenn ich doch nur wüsste wie.", flüsterte sie verzweifelt.
Cassandra streckte ihr ihren Arm entgegen, wo sich die verschlungene Linie in ihre Haut gebrannt hatte. „Das ist das, was ich Ihnen die ganze Zeit sagen wollte. Es muss etwas damit zu tun haben."
Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Nachdem Fynn mich gerettet hat, hat ihn all seine Kraft verlassen und ich bin zu ihm. Ich habe seine Hand genommen und dann hat sich das hier in meine Hand gebrannt. Was ist es?" Sie sah Medusa flehend an. „Sie erkennen es. Fynn hat es auch. Sehen Sie doch!"
Medusa nickte. „Ich sehe es."
„Dann sagen sie mir, was es ist!"
„Es sind Chi- Symbole.", antwortete Medusa erstaunt. Dann wich ihr erstaunter Ausdruck wieder einem verängstigten. „Wie lange hat er es schon?"
Cassandra zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. An meinem ersten Trainingstag ist es mir schon aufgefallen. WAS ZU HÖLLE HAT DAS ZU BEDEUTEN?!"
Medusa zog sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. „Es ist eine Verbindung, die jede Fee irgendwann in ihrem Leben eingeht. Es ist ein Versprechen, dass man seinen Seelenverwandten nie verlassen wird. Normalerweise gibt es so eine Verbindung nur zwischen Feen, aber anscheinend auch mit einem Menschen."
„Aber warum geht es ihm deswegen immer schlechter?"
„Die Kräfte werden den Feen langsam entzogen, wenn sie dieses Ritual nicht eingehen. Sie verlieren sie, aber soweit ich weiß geht es ihnen nicht so schlecht. Ich weiß jedoch nicht viel darüber. Die Kultur der Feen ist verwirrend."
„Fynn ist dieses Ritual nicht eingegangen. Er hat nichts davon erzählt. Ich bin seine Freundin und ihr seid seine Familie. Warum hat er kein einziges Wort darüber verloren?", schluchzte Cassandra und griff nach Fynns Hand.
„Ich wusste nicht, ob du es wirklich bist.", flüsterte eine kratzige Stimme. Fynn hatte die Augen aufgeschlagen und drehte Cassandra langsam den Kopf zu. „Du hattest das Symbol nicht. In der vergessenen Welt ist es üblich, dass man die Verbindung mit jemanden eingeht, den man kaum kennt, aber in dieser Welt wäre das wohl ziemlich verrückt, wenn man das machen würde. Ich wollte es dir nicht aufzwingen und das will ich noch immer nicht."
Cassandra hatte es aufgegeben sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. „Du hättest es uns erzählen können!"
Fynn musste husten. Instinktiv griff Cassandra nach seiner Hand.
„Hättest du Hurra geschrien?", fragte er leise, Für dich war das alles neu. Du kannst mir nicht erzählen, dass du mich nicht für verrückt gehalten hättest, vor allem, weil du das Symbol nicht hattest. Wie hätte ich dir das beweisen sollen? Du hättest mir nicht geglaubt."
Cassandra schaute betreten zu Boden. Sie schämte sich dafür, dass sie dies tatsächlich nicht getan hätte.
Fynns Augenlider flatterten und dann verlor er wieder das Bewusstsein. Cassandra rüttelte ihn an den Schultern, doch Medusa zog sie von ihm weg. „Er ist bewusstlos Cassandra, aber er ist stabil."
Cassandra sah sie aus feuchten Augen an. „Die Frage ist wie lange noch. Er wird immer schwächer und das alles nur wegen dieses blöden Rituals! Medusa, wir müssen etwas tun."
Medusa seufzte. „Die einzige Möglichkeit wäre, dass das Ritual durchgeführt wird, aber er hat gesagt, dass es für ihn nicht in Frage kommt."
„Ich pfeife auf das, was er gesagt hat."
„Es ist nicht klar, wie sich das Ritual auf dich auswirkt.", gab Medusa zu bedenken, „Es ist ein Feenritual. Cassandra, es könnte dich umbringen."
Cassandra schüttelte den Kopf. „Sie haben gesagt könnte. Wir wissen nicht, was dann passiert, aber was wir wissen ist, dass Fynn sterben wird, wenn wir es nicht tun."
„Eine Chi- Verbindung ist für immer. Du musst dir ganz sicher sein, dass du das auch willst. Es gibt kein zurück mehr."
Cassandras Blick war nur auf Fynn gerichtet.
„Hatten Sie jemals das Gefühl, dass sie eine Person schon Jahre kennen würden, obwohl es nicht so ist?"
Medusa nickte langsam. „Ja, das kenne ich."
Cassandra drückte Fynns Hand fester. „Irgendwann im Leben trifft man auf die Person, für die man von Anfang an einfach alles tun würde und ich bin gerade dabei meine zu verlieren. Das kann ich nicht." Sie schaute zu Medusa auf. „Und ich weiß, dass Sie das auch nicht könnten, wenn sie an meiner Stelle wären."
Medusa schüttelte den Kopf und schaute durch die geöffnete Tür auf Jen, die sich auf dem Geländer abstützte. „Nein, das könnte ich nicht."
Cassandra schaute sie flehend an. „Dann helfen Sie mir ihn zu retten!"
„Natürlich werde ich das. Ich werde nicht zulassen, dass er stirbt!"

Medusa-Die Frau im TrenchcoatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt