Vorteil

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Euryale wartete bis Medusa und Jen den Tower verlassen hatten und wieder im Zentrum verschwunden waren und dann schloss sie sich der letzten Besuchergruppe an, die an diesem Tag den Tower betreten wollte. Sie wollte sich ebenfalls einen Überblick über die ein und Ausgänge, sowie die Sicherheitsvorkehrungen machen.
Sie hoffte auf einen Vorteil vor ihren Gegnern. Wie genau sie den Stein aus den Kronjuwelen entwenden wollte, wusste sie noch nicht. Was sie jedoch wusste, und das hatte sie ihrer Schwester auf jeden Fall voraus, war wie und wann das Ritual durchgeführt werden musste. Das hatte sie schon gewusst, bevor sie diese Tagebucheinträge vorgelesen bekommen hatte. Bei diesem Gedanken schlich sich ein breites Lächeln auf ihre Lippen. Ihr Plan hatte funktioniert. Nur leider waren ihre Gegner inzwischen dahinter gekommen und die Wanze gab keinen Ton mehr von sich. Das war Euryale jedoch egal. Sie hatte alles, was sie wollte und sie würde auch alles bekommen, was sie noch wollte. Alles was sie tun musste, war den Stein vor ihrer Schwester und ihren nervigen Freunden in die Finger zu bekommen.
Sie ging einen langen Gang entlang, ohne diesen auch nur ein wenig Beachtung zu schenken und steuerte direkt auf den Raum zu, in dem die Kronjuwelen aufbewahrt wurden. In ihr reifte ein Plan heran. Unter dem Tower befand sich ein großes Kanalisationssystem. Wenn sie es schaffte in dieses einzudringen, könnte sie den Stein von unten aus dem Kasten entfernen und verschwinden. Die Krone würde hier bleiben. Wenn alles gut ging würde frühstens am nächsten Tag bemerkt werden, dass ein Stein der Krone fehlte. Dann hätte sie den Stein und könnte zum zweiten Part ihres Planes übergehen. Sie würde ihre Schwester zurückholen und dann würde sie sich um Medusa kümmern. Eigentlich hatte sie vorgehabt, dass sie ihr bei der Wiedererweckung ihrer Schwester zusehen sollte, doch das erschien ihr dann doch zu gefährlich. Zu groß war die Gefahr, dass sie ihr in die Quere kamen. Trotzdem würde sie einige Vorkehrungen treffen müssen, falls sie ihren Plan doch durchkreuzten. Vor allem musste sie irgendwie die Kräfte dieser Fee unter Kontrolle bekommen.
Noch völlig in Gedanken wollte sie gerade den Raum betreten, als sich ein Wachmann davon abhielt. „Sie dürfen hier im Moment nicht rein."
Euryale setzte ein charmantes Lächeln auf und strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Und warum nicht?"
„Die Krone wird zur Restauration gebracht. Deswegen darf im Moment keiner den Raum betreten.", erklärte der Wachtmann.
„Oh, natürlich. Dann ist es auf jeden Fall besser, dass Sie niemanden hineinlassen.", erwiderte Euryale und warf dem Mann ein strahlendes Lächeln zu. „Dann werde ich mich noch in den anderen Räumen umschauen.", meinte sie und wandte sich von dem Mann ab. „Schönen Tag noch."
Als sie außer Sichtweise des Mannes war, begann sie zu rennen. Dabei stieß sie immer mal wieder gegen andere Besucher des Towers, die ihr nachriefen und sie beschimpften, doch darauf hörte sie nicht. Diese blöde Restauration könnte alles ruinieren. Niemand wusste wer diese vornahm.
Sie stolperte auf den Innenhof und rannte durch das Eingangstor. Sie umrundete das Gebäude und entdeckte einige Autos, die auf einem Parkplatz neben dem Tower standen. Einige von ihnen sahen so aus, als könnten sie einem Bombenanschlag standhalten. Euryale legte die Stirn in Falten. In einem von diesen Autos musste sich die Krone befinden. Die Frage war nur in welchem.

In diesem Moment rollte ein kleiner grauer BMW von dem Platz und bog ruckelnd auf die Straße ein. Erst schenkte sie dem Auto keine weitere Beachtung, doch dann fiel ihr Blick durch die Rückscheibe des Fahrzeuges. In dem Kofferraum stand eine große metallende Kiste, von der sie vermutete, dass es sich um einen Tresor handelte. Sie schüttelte den Kopf. auffällig unauffällig.", murmelte und rannte zu ihrem Wagen, der nur einige Meter entfernt stand. Sie hatte ihn von der Straße geklaut und kurzgeschlossen. Sie hatte zugeben müssen, dass dies in der Vergangenheit um einiges leichter gewesen war, aber schließlich hatte sie es doch geschafft. Sie ließ sich in den Sitz fallen und startete mehr oder weniger elegant den Motor. Der graue BMW hielt gerade vor einer roten Ampel. Euryale begann zu Grinsen. Vielleicht war diese unerwartete Fügung auch ihr größter Vorteil.

****

„Habt ihr das was ich euch aufgetragen habe?"
Fynn nickte und hielt Medusa das kleine Säckchen entgegen. „Du kannst es gerne haben. Das Ding müffelt.", entgegnete er.
Jen kam auf sie zu und schaute von dem Säckchen zu Medusa und wieder zurück. „Will ich überhaupt wissen, was da drin ist?"
„Machst du etwa doch mit?", fragte Fynn erstaunt.
Jen nickte. „Ja, ich mache mit, aber das heißt noch lange nicht, dass ich den Plan gut finde. Es ist immer noch ein Verbrechen."
„Manchmal muss man das Falsche tun, um das Richtige zu erreichen.", meinte Medusa.
Jen verdrehte die Augen. „Sehr poetisch Medusa. Weihst du uns jetzt in deinen großartigen Plan ein? Wie willst du in den Tower kommen?"
„Das würde ich auch sehr gerne wissen.", meinte Cassandra und verschränkte die Arme, „Wofür ist diese Magensäure?"
„Die ist für den Glaskasten.", meinte Medusa, „Damit kriegen wir das auf jeden Fall durch."
„Dafür müssen wir aber erstmal in den Tower kommen.", warf Jen ein, „Das wird das größere Problem."
„Nicht unbedingt. Ich habe schon alles genau ausgearbeitet."
„Will ich das überhaupt hören?"
„Wenn du mitmachen willst schon." Sie sah Jen eindringlich an. „Es ist immer noch genug Zeit auszusteigen."
Jen schüttelte entschieden den Kopf. „Irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass ihr nicht erwischt werdet. Also, wie lautet der Plan?"
„Es ist bis jetzt erst grob durchdacht, aber ich erkläre euch wie ich mir das vorstelle. Jen, du und ich gehen-"
Sie stockte und warf einen Blick auf ihre Uhr. „-in gut einer Stunde in die Taverne, die nur etwas entfernt von hier befindet. Du weißt schon welche ich meine."
„Und was machen wir da? Uns betrinken?"
„Nein, wir besorgen uns den Wachtplan. Eine von den Wachen, ob es die ist, auf die bei unserem Besuch im Tower getippt hast, weiß ich nicht, wird dort bestimmt sitzen und sich betrinken und genau dann werden wir ihn ausquetschen und den Wachtplan aus ihn herausbekommen. Fynn und Cassandra beschäftigen sich in der Zwischenzeit mit dem Sicherheitssystem, damit wir es bei unserem Einbruch schnell ausschalten können und basteln ein paar Bomben."
Cassandra sah sie verwirrt an. „Bomben? Wir wollen doch niemanden verletzen, oder?"
„Nein, die brauchen wir für unser Ablenkungsmanöver. Wenn wir den Plan haben, wissen wir wann die Wachablösung ist und können dann einsteigen. Die wenigen Wachen, die sich dann auf dem Gelände befinden werden, müssen wir dann nur noch ablenken. Deswegen auch die Bomben. Jen und Cassandra sind das Ablenkungsmanöver und zünden sie auf der anderen Seite des Towers. Wenn die Wachen kommen, betäubt ihr sie. Ich hab noch irgendwo Betäubungspfeile."
Jen hob abwehrend die Hände. „Warum sind wir das Ablenkungsmanöver?"
„Ihr seid das Ablenkungsmanöver, weil Fynn der einzige ist, der zaubern kann und uns das mit den Wachen vor der Schatzkammer weiterhelfen könnte. Außerdem kann er notfalls noch weitere Sicherheitsmaßnahmen ausschalten, falls wir welche übersehen haben. Zudem kann Cassandra gut mit einer Armbrust umgehen."
„Und warum bist du nicht das Ablenkungsmanöver?"
„Weil ich den ganzen Plan auserarbeite. Und, wenn wir meiner Schwester über den Weg laufen, was wir wahrscheinlich werden, gehört sie mir."
Jen zog eine Augenbraue hoch. „Bist du dir sicher, dass du nicht zu Stein erstarrst?"
Medusa presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Wenn heute jemand zu Stein erstarrt, dann ist es sie.", meinte sie und stützte sich auf dem Tisch ab. „Wir holen den Stein. Rein und raus. Wir hinterlassen keine Spuren und, wenn wir diesen Stein haben, zerstören wir ihn auf der Stelle. Wir können es ja auch mit der Drachenmagensäure versuchen. Die verätzt einfach alles."
„Und was ist, wenn das nicht funktioniert?", fragte Cassandra.
Medusa zuckte mit den Schultern. „Dann haben wir ein massives Problem, aber darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist. Wir stehlen nicht die ganze Krone, sondern brechen den Stein heraus."
„Und das alles vor Mitternacht?"
Fynn schaute Cassandra verwirrt an. „Wieso bis Mitternacht?"
„Im Tagebuch meines Großvaters stand, dass das Ritual um Mitternacht durchgeführt werden muss. Medusas Schwester wird den Stein ebenfalls holen wollen, um dann um Mitternacht das Ritual durchzuführen. Wir müssen so schnell wie möglich in den Tower einbrechen."
Sie knetete nervös ihre Hände. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe."
„Cassandra hat recht. Wir müssen den Stein so schnell wie möglich zerstören. Das ist das wichtigste.", stimmte Fynn Cassandras Aussage zu.
„Das wichtigste ist nicht entdeckt zu werden.", meinte Jen, „Oder wollt ihr etwa im Gefängnis landen?"
„Nein, das wollen und das werden wir nicht. Wenn du wüsstest wie oft ich schon irgendwo eingebrochen bin Jen. Und nur in der Hälfte der Fälle wurde ich festgenommen.", meinte Medusa.
„Das ist ja sehr beruhigend."
„Und dann bin ich in der Hälfte dieser Fälle wieder ausgebrochen und ich wurde auch nicht wieder geschnappt, weil alle, die mich gesucht haben, gestorben sind, bevor sie mich fassen konnten."
Sie starrte in drei entsetzte Gesichter und verdrehte die Augen. „Es war nicht meine Schuld, dass sie gestorben sind. Ich kann doch nichts dafür, dass sie sterblich sind."

Medusa-Die Frau im TrenchcoatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt