Kaffeekränzchen

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Die Bedienung stellte zwei Tassen mit dampfenden Kaffee vor Cassandra und Fynn ab. Cassandra griff nach ihrer Tasse und schaute sich in dem Café um. Es war klein und schlicht eingerichtet. Es gab mehrere kleine Sitznischen, die von merkwürdig aussehenden Raumtrennern eingerahmt wurden. Im gesamten Café konnte man den Geruch von frischen Kaffeebohnen und gebackenem Kuchen wahrnehmen.
„Hast du viele Fragen?"
Cassandra nickte. „Ja"
„Hätte mich auch gewundert, wenn nicht. Also schieß los."
Cassandra tippte mit den Fingern nachdenklich gegen die Tasse.
„Wie funktioniert das?", fragte sie schließlich, „Ich meine, ich kann verstehen warum Menschen Monster jagen, aber, dass Monster Monster jagen, ist mir doch neu."
Fynn grinste. „Die Welt ist nicht nur schwarz-weiß."
„Das hat Medusa auch gesagt und das verstehe ich auch-"
„Aber?"
„Aber wie entscheidet man das? Gibt es da irgendein Regelwerk oder so?"
Fynn wiegte den Kopf leicht hin und her. „Es ist eher eine Checkliste."
„Eine Checkliste? Also geht man die dann jedes Mal durch, wenn man einen Monster gegenübersteht?"
Fynn lachte auf. „Ja und Nein. Glaub mir, mit der Zeit verinnerlichst du die Punkte und kannst handeln, ohne lange darüber nachzudenken."
„Und was sind diese Punkte?"
Fynn lehnte sich zurück. „Punkt Nummer 1: Wenn Menschen umgekommen sind oder die Gefahr besteht, dass sie es in nächster Zeit noch könnten, ist es erlaubt diese Kreatur zu töten."
„Grausam, aber logisch."
„Ist es auch. Punkt Nummer 2: Begeht die Kreatur ein anderes Verbrechen außer Mord, also Diebstahl und so, wird sie so behandelt wie jeder andere Verbrecher auch."
„Sie kommen ins Gefängnis? Fallen sie da nicht auf? Ich meine vom Aussehen her."
Fynn schüttelte den Kopf. „Die meisten verschleiern ihr Aussehen mit einem Zauber, Also ja, sie kommen ins normale Gefängnis. Ausnahmen sind eigene Völker, wie-" Er deutete mit breitem Grinsen auf sich selbst, „Feen. Wir haben unser eigenes Gericht und Gefängnis."
Cassandra nahm einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee.
„Ihr habt euer eigenes Gefängnis?"
„Ja. Wir Feen haben eigentlich nichts mit dieser Welt zu tun. Wir leben in unserer eigenen, weit weg von den Städten und so."
Cassandra musterte ihn neugierig. „Und warum bist du dann hier? Warum lebst du bei den Beefeatern?"
Fynn drehte seine Tasse auf der Tischplatte im Kreis. „Ich war nie wirklich ein Teil der Feen Welt. Ich weiß, dass sie existiert. Ich kenne die Regeln und Gebote, aber das reizt mich einfach nicht. Ich bin hier aufgewachsen, hier im Londoner Zentrum. Ich habe nie etwas anderes gekannt. Medusa hat mich auf der Straße gefunden, als ich gerade mal ein Jahr alt war."
Cassandra schaute betreten in ihren trüben Kaffee. „Oh"
Fynn verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ist nicht schlimm. Ich war ein paar Mal in der Feenwelt. Es ist echt langweilig da. Alles so friedlich, einfach langweilig. Hier ist wenigstens immer etwas los. Besonders lustig war es wohl, als Medusa und Jen versucht haben herauszufinden was ich bin. Medusa hat mir erzählt, dass ich wohl ein sehr anstrengendes Kind war. Aber das waren nun wirklich genug Kindheitsgeschichten von mir."
Cassandra lehrte ihre Tasse mit einem Zug. „Also ich finde das sehr interessant dabei zuzuhören."

„Hast du nicht noch mehr Fragen?"
„Ja. Zum Beispiel über Medusa. Was weißt du alles über sie? Mir will sie nichts von sich erzählen. Wie sie Jägerin geworden ist zum Beispiel."
Fynn legte den Kopf schief. „Wenn ich ganz ehrlich bin weiß ich selbst nicht viel über sie. Sie ist sehr verschlossen was ihre Vergangenheit angeht. Sie spricht nicht darüber. Ich rate dir sie auch nicht zu fragen. Das bringt sowieso nichts."
Cassandra faltete die Hände auf der Tischplatte. „Na schön. Kanntest du meinen Großvater?"
„Benjamin hieß er oder? Nein, er hat mit dem Jagen aufgehört, bevor ich ins Zentrum kam. Das erste Mal, als ich von ihm gehört habe war, als Medusas Erbschaft zur Sprache kam."
„Was ist dieser Stein genau den sie geerbt hat?"
Fynn knetete seine Hände. „Ich weiß nicht, ob ich dir näheres dazu erzählen darf, aber da Medusa dir anscheinend, auch, wenn Jen es ausdrücklich verboten hat, davon erzählt hat, schaden einige mehr Informationen auch nichts. Benjamin hat diesen Stein vor vielen Jahren aus Asien mitgebracht. Er hat ihn versteckt, anscheinend in der Schachtel, die uns jetzt ja abhandengekommen ist. Das Zentrum war bis vor kurzem genauso im Unwissen darüber wie du und ich. Die Einzige, die davon wusste, war Medusa. Sie sollte die Schachtel holen, wenn dein Großvater tot ist."
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich nichts davon gewusst habe.", meinte Cassandra fassungslos, „Ich meine, wie kann man diese Welt übersehen?"
„Du hast es ja irgendwie achtzehn Jahre lang geschafft.", entgegnete Fynn Schultern zuckend, „Außerdem ist es normal, dass Menschen das, was um sie herum ist, nicht vollständig wahrnehmen, weil sie den Rest einfach übersehen, da sie denken, dass es das sowieso nicht gibt."
Cassandra grinste. „Ich weiß es ja jetzt besser und ich bereue es nicht. Was kann dieser Stein eigentlich? Er muss ja irgendwie besonders sein."
Fynn runzelte die Stirn. „Jetzt sind wir wieder an dem Punkt angekommen, wo ich dir sagen muss, dass ich absolut keine Ahnung habe. Medusa und Jen erzählen mir zu meinem Leitwesen auch nicht alles."
Cassandra schob den Stuhl zurück und stand auf. „Bist du gar nicht neugierig?"
Fynn verschränkte die Arme. „Natürlich bin ich neugierig, aber wie gesagt kriegen wir von Medusa und Jen keinerlei Informationen."
Cassandra schob den Stuhl wieder zurück an seinen Platz und lehnte sich gegen den Tisch. „Ja, du bekommst vielleicht keine Informationen, aber er war mein Großvater. Ich habe doch bestimmt ein Anrecht darauf zu wissen worum es eigentlich geht."
Fynn stand ebenfalls auf. „Meinetwegen. Wir können es ja mal versuchen."

Wenig später standen sie vor dem kleinen Café und machten sich auf den Weg zurück zum Zentrum. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, aber es war um einiges wärmer als am Vormittag, sodass Fynn seine Jacke auszog und sie sich über die Schulter warf.
„Also was kannst du noch alles?", fragte Cassandra neugierig.
Fynn zuckte mit den Schultern. „Ich bin gut im Schießen auf Entfernung, denke ich. Außerdem kann ich ewig lange Serien schauen ohne aufzustehen."
„Das meine ich doch nicht. Ich meine Magie. Was kannst du alles damit machen?"
Fynn zuckte erneut mit den Schultern. „Sachen schweben lassen, Sachen verschwinden lassen, mich anziehen, etwas aufschreiben eigentlich alles, was ich will. Problematisch wird es bei größeren Zaubern, die sehr mächtig sind. Dafür braucht man komplizierte Zauberformeln und die sind in einer Sprache geschrieben, die noch nicht einmal Dinosaurier kennen, so alt ist die."
„Kannst du fliegen?"
Fynn blieb auf der Stelle stehen und schaute Cassandra fassungslos an. „Ist das alles was dich beschäftigt? Ob ich fliegen kann?"
Cassandra lachte auf. „Du bist eine Fee. Feen haben normalerweise Flügel."
Fynn verdrehte die Augen. „Feen sind auch normalerweise weiblich und doch stehe ich hier."
„Also kannst du?"
„Cassandra!"
„Na schön!", gab sie nach.
Fynn fuhr sich durch die Haare, wobei Cassandra ein merkwürdiges Zeichen auf seinem rechten Handgelenk auffiel. Es war eine kurze geschwungene Linie mit einer kleinen Schlaufe. „Was ist das?"
Fynn schaute sie verwirrt an. „Was ist was?"
„Das an deinem Handgelenk. Ist das ein Muttermahl? Sieht irgendwie lustig aus."
Fynn warf einen schnellen Blick auf sein Handgelenk. „Da ist doch ni-"
Schlagartig wurde er kreideweiß. „Ja...das ist ein Muttermahl.", stotterte er und vergrub die Hand in den tiefen Taschen seiner Jeans.
Cassandra runzelte die Stirn. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist total blass."
Fynn nickte abwesend. „Ja, alles in Ordnung."
Cassandra wollte gerade etwas erwidern, als ein lauter Knall aus einer der Seitenstraße drang. Es klang beinahe so, als wäre eine Mülltonne umgestoßen worden. Cassandra drehte sich um und kniff die Augen zusammen. „Das hast du auch gehört, oder?"
Fynn, der sehr erleichtert über diesen schnellen Themenwechsel war, schüttelte den Kopf. „Die richtige Antwort in diesem Fall ist Nein. Nein, das habe ich nicht gehört. Ich füge jetzt noch einen Punkt auf der Checkliste hinzu: Wenn man weder Waffen noch Pfefferspray hat, sollte man nicht einem unbekannten Geräusch nachjagen."
In diesem Moment drang ein erstickter Schrei aus der Gasse. Cassandra schaute Fynn erwartungsvoll an. „Und nun? Unternehmen wir etwa nichts?"
Fynn verdrehte die Augen. „Natürlich unternehmen wir etwas.", meinte er und zog ein kurzes Messer aus seinem Gürtel. Cassandra fragte sich, wie sie dieses die ganze Zeit hatte übersehen können. „Ich dachte du hast keine Waffe."
„Noch eine Regel als Jäger: Hab immer eine Waffe dabei und wenn es nur ein Küchenmesser ist."
Mit diesen Worten drückte er es Cassandra in die Hand. „Und nun komm!"
Cassandra blickte auf das Messer in ihren Händen. „Und was soll ich jetzt damit?"
„Ein Brot schmieren. Du sollst endlich mitkommen! Du warst doch die, die was unternehmen wollte."
Mit diesen Worten lief er in die Gasse. Cassandra zögerte kurz und folgte ihm. Plötzlich blieb Fynn stehen und ließ eine kleine Flamme auf seiner Handfläche auflodern, die ihnen etwas mehr Licht schenkte, da die hohen Häuser die Gasse in dunkle Schatten hüllten.
„Da ist Blut auf dem Boden.", murmelte er.
Cassandra folgte seinem Blick und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Da liegt jemand.", sagte sie leise und deutete auf ein paar grüner Gummistiefel, die hinter einem großen Müllcontainer hervorlugten.
Fynn musste schlucken und näherte sich dem Container. „Das könnte jetzt hässlich aussehen.", sagte er leise, „Ich glaube, das ist ein Kind."
Cassandra erstarrte in ihrer Bewegung. „Ein Kind? Das ist schrecklich.", flüsterte sie. Fynn hatte inzwischen den Container umrundet und verzog das Gesicht. „Wenn ich dieses Monster erwische, dann gnade ihm Gott. Es ist schon ein Verbrechen einen Menschen zu töten, aber ein Kind..."
Cassandra hörte ihm gar nicht mehr zu. Sie hatte das Gefühl, als würde sie jemand beobachten. Langsam drehte sie sich um, doch hinter ihnen erkannte sie nur die restlichen Müllcontainer, Säcke und etwas Laub. Gerade wollte sie zu Fynn gehen, als etwas Schweres auf sie fiel und sie zu Boden stieß. Cassandra keuchte auf. Kai hockte auf ihrem Brustkorb und fletschte die spitzen Zähne. „Hab ich dich gefunden Mädchen.", zischte er, umklammerte ihre Handgelenke und drückte sie zu Boden. Cassandra versuchte ihn von sich wegzudrücken, doch er war zu schwer. „Wo ist der Schlüssel?"
Cassandra biss die Zähne zusammen. „Ich habe keinen Schlüssel!"
„Cassandra!"

Kai drehte den Kopf in die Richtung, aus der Fynns Rufe gekommen waren und begann zu knurren. Fynn zögerte nicht lang und sprang auf den Klauenkrieger zu. Aus seiner ausgestreckten Faust schossen knisternde Funken. Kai wich seiner Hand aus und rollte sich von Cassandras Brust. Fynn drehte sich zur Seite und seine Faust schlug dicht neben Cassandras Kopf auf dem Stein auf. Schnell warf er Cassandra einen entschuldigenden Blick zu und widmete sich wieder Kai, der zu einem erneuten Angriff ausholte und schlug ihm mit der Faust gegen die Brust. Kai schrie auf und drückte Fynn mit einer schnellen Bewegung gegen die Wand. Fynns Kopf schlug hart gegen den Stein und um ihn herum wurde es schwarz. Cassandra hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und griff nach Fynns Messer, was ihr bei Kais Angriff aus der Hand geglitten war. So schnell und so leise sie konnte, rannte sie auf Kai zu und bohrte es ihm in den Nacken, wo es stecken blieb. Kai schrie auf und ließ von Fynn ab, der an der Wand herabsank und sich an den Kopf fasste. „Gib mir den Schlüssel Mädchen und ich werde dich in Ruhe lassen."
„Ich weiß nicht wovon Sie reden!"
Kai fletschte die Zähne. „Lügnerin!"
Er fuhr die Krallen aus, doch er kam nicht mehr dazu sie einzusetzen. Ein grelles Licht erhellte die Gasse und dann löste sich die Kreatur mit einem hässlichen Geräusch in einer Staubwolke auf. Dahinter kam Fynn zum Vorschein, der die Hand sinken ließ und sich erschöpft an der Wand abstützte. Cassandra lief auf ihn zu und hielt ihn an den Schultern fest, damit er wieder einigermaßen sicher stand. „Geht es dir gut?"
Fynn griff nach ihren Händen und drehte sie so, dass er ihre Handgelenke betrachten konnte. Langsam nickte er. „Ja, geht schon. Was ist mit dir? Hat er dir wehgetan?"
Cassandra schüttelte den Kopf und zog ihre Hände aus seinen. „Alles in Ordnung. Was hast du mit ihm gemacht?"
Fynn lächelte schwach. „Ich hab doch gesagt, dass ich den Mörder des Kindes zur Strecke bringen würde und das habe ich getan."
Dann wurde sein Blick wieder ernst. „Was wollte er von dir? Von was für einen Schlüssel hat er geredet?"
Cassandra rieb sich die Handgelenke. Sie wollte es nicht zugeben, aber sie schmerzten doch etwas. „Ich kannte diesen Mann. Er war in der Lagerhalle, als Medusa die Schatulle geholt hat." Fynn schien ein Licht aufzugehen. „Der, der dich verletzt hat."
Cassandra nickte. „Genau. Ich glaube, er spricht von dem Schlüssel, der die Kiste öffnet. Anscheinend hat Medusa ihn noch."
„Ich glaube du hast recht. Medusa hat den Schlüssel noch und anscheinend gefällt das demjenigen, der die Schatulle hat ganz und gar nicht."
Cassandra legte den Kopf schief. „Ich wäre auch wütend, wenn ich eine Schachtel hätte und sie nicht aufbekommen würde."
Fynn schob sich an ihr vorbei und warf einen Blick auf die zerfetzte Leiche des kleinen Mädchens. „Ich verständige die Polizei. Die sollen das Mädchen abholen. Und wir sollten zurück ins Zentrum.", sagte er und musste sich an der Wand abstützen, um nicht umzufallen.

Medusa-Die Frau im TrenchcoatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt