Schnitzeljagt

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Cassandra klopfte an die Tür von Fynns Zimmer. Es lag, genau wie die anderen Schlafsäle, abgelegen von dem Trubel des Missionsraumes und der anderen stark beanspruchten Teile des Zentrums. Nur wenige von den Zimmern waren tatsächlich belegt. Medusa hatte ihr erzählt, dass nur wenige Jäger lange im Zentrum lebten. Viele von ihnen waren oft auf Reisen oder lebten woanders. Mit den Wänden aus rotem Backstein und metallenen Böden wirkte der Trakt auch nicht gerade einladend, von der schummrigen Beleuchtung mal ganz abgesehen.
Cassandra klopfte erneut, diesmal etwas lauter. Aus Fynns Zimmer erklang ein leises Grummeln und wenig später wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Fynn steckte seinen Kopf durch den Spalt und rieb sich die Augen. Seine blonden Haare waren zerzaust und standen ihm in alle Richtungen vom Kopf ab.
„Cassandra? Was machst du so früh schon hier? Ich dachte du wärst noch an diesem mysteriösen Ort namens Schule."
Cassandra musterte ihn von oben bis unten. „Hast du bis gerade eben noch geschlafen?"
Fynn seufzte. „Offensichtlich ja. Wie spät ist es eigentlich?"
Cassandra warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Fast halb zwei. Ich bin nach der Schule sofort hierhergefahren. Eigentlich müsste ich für meine Chemieabschlussprüfung lernen, aber diese komische Kiste ist mir dann doch etwas wichtiger. Und in Chemie bin ich im Moment echt gut."
Fynn gähnte. „Ich bin gleich unten.", sagte er und schloss die Tür wieder. Cassandra starrte verwirrt auf das dunkle Holz. „Alles klar, ich warte dann unten."

Wenig später öffnete sich die Tür zu Jens Büro und Fynn trat ein. Er hatte sich umgezogen, doch seine Haare waren noch immer zerzaust.
Medusa hob eine Augenbraue. „Es gibt so eine tolle Erfindung, die nennt sich Haarbürste.", meinte sie. Fynn ließ sich auf einem Stuhl nieder. „Die kennst du doch auch nicht. Hast du dir mal deine Haare angeschaut?"
Medusa wickelte sich einer ihrer roten Strähnen um einen Finger. „Ich habe Locken Fynn. Das ist was anderes. Die sollte man nicht so oft kämmen, weil man sonst aussieht wie ein elektrisch aufgeladener Pudel."
Jen verdrehte die Augen. „Wenn ihr dann damit fertig wärt eure Haarpflegetipps auszutauschen, können wir ja damit anfangen uns hiermit zu beschäftigen."
Mit diesen Worten öffnete sie eine ihrer Schreibtischschubladen und stellte die Schatulle vor ihnen auf dem Tisch ab. Cassandra rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. „Habt ihr herausgefunden woher die Schutzzauber kommen und was es damit auf sich hat?"
Jen nickte. „Fynn und ich haben die halbe Nacht damit verbracht herauszufinden woher die Zauber kommen. Sehr viel schlauer geworden sind wir jedoch nicht. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Zauber ebenfalls in Asien ihren Ursprung haben und uralt sind. Wenn dieser Stein darin ist, muss er sehr wichtig sein, sonst würden die ganzen Maßnahmen keinen Sinn machen."
„Und es ist Feenmagie von einem Stamm in Asien.", fügte Fynn hinzu. „Sehr viel weitergebracht hat uns das aber ganz und gar nicht. Die Magie ist alt und dunkel." Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Meiner Meinung nach war die ganze Recherche reinste Zeitverschwendung. Zeit, die man wunderbar mit Schlafen hätte verbringen können."
Cassandra lehnte sich etwas vor. „Deswegen hast du also so schlechte Laune."
Medusa hatte inzwischen den kleinen Schlüssel aus ihrer Hosentasche gezogen und drehte ihn in den Händen. „Die ganzen Informationen, auch, wenn es nicht wirklich viele sind, sind ja gut und schön. Wichtiger wäre es zu wissen, ob die Schutzzauber uns irgendwie umbringen könnten, wenn wir diesen Schlüssel jetzt in das Schloss da stecken."
Jen zuckte mit den Schultern. „Ich denke, dass dann nichts passieren wird. Was dann aber mit dem Stein darin passiert weiß, weiß ich nicht. Nicht anfassen! Wir wissen noch immer nicht, was es genau ist und warum es so gut beschützt wird."
Sie schaute in die Runde, um sich zu versichern, dass ihr auch alle gut zugehört hatten. Als alle Anwesenden nickten, rutschte sie etwas vom Tisch weg und drehte die Schatulle zu Medusa. „Wenn ich bitten darf. Es ist schließlich deine Erbschaft."
Medusa lächelte. „Die Frage ist, ob ich das auch behalten darf. Der Rat wird das sicher unter Verwahrung stellen wollen, wenn sie von den Schutzzaubern und so erfahren." Sie sah auf. „Hast du es schon gemeldet?"
Jen schüttelte den Kopf. „Nein, ich will mich erst genauer damit befassen. Wenn der Rat den Inhalt in die Finger bekommt, sind wir den Stein los."
Cassandra sah zwischen den beiden hin und her. „Welcher Rat?"
„Unser Vorstand.", erklärte Medusa, „Und er verwahrt auch besondere und uralte Relikte. Sie werden weggeschlossen, keine Ahnung wo, und wir bekommen sie nie wieder zu Gesicht. Irgendwie traurig. Da waren teilweise einige echt coole Sachen bei."
Medusa zog sie Schachtel weiter zu sich. „Ich übernehme keine Haftung dafür, wenn uns die Kiste doch um die Ohren fliegt.", sagte sie und drehte den Schlüssel langsam im Schloss. Cassandra hielt die Luft an und reckte den Hals, um den Inhalt erkennen zu können. Medusa öffnete langsam den Deckel. Im Raum wurde es totenstill, bis Medusas Fluchen diese Stille durchbrach. „Das darf doch nicht wahr sein! Dieser verfluchte Kerl!" Fynn war inzwischen aufgestanden und schaute ihr über die Schulter. „Also DAS ist kein Stein.", murmelte er und griff nach der langen Kette mit dem goldenen Anhänger, die sich in der Kiste befunden hatte. Jen nahm ihm diese sofort aus der Hand. „Was habe ich gesagt? Nicht anfassen!"
Fynn verschränkte die Arme. „Es ist nicht der Stein."
Cassandra trat einen Schritt auf Jen zu und kniff die Augen zusammen, um den Anhänger näher unter die Lupe zu nehmen. „Ich kenne diese Kette glaube ich.", murmelte sie und nahm sie Jen aus der Hand. Nachdenklich wickelte sie sich die feine Kette um die Finger und strich über den Anhänger. Fynn stellte sich neben sie. „Woher denn?"
Cassandra sah ihn an. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich denke, das ist von meiner Großmutter. Bei mir Zuhause hängt ein Bild von ihr und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es auf diesem trägt."
Fynn nahm ihr die Kette vorsichtig aus der Hand. „Hier steht etwas drauf.", sagte er und fuhr mit dem Finger über eine geschwungene Schrift auf der Vorderseite." Cassandra beugte sich zu ihm herüber. „Die war auf dem Bild aber noch nicht da.", meinte sie.
„Bist du dir da sicher?", fragte Jen.
Cassandra nickte. „Hundertprozentig. Das muss nachträglich eingraviert worden sein."
„Da steht >>Tarsus wird dich führen und du wirst finden, was du begehrst.<<", las Fynn laut vor. Verwirrt schaute er auf. „Und was bedeutet das jetzt bitteschön?"
Medusa raufte sich die Haare. „Was soll das werden? Eine Schnitzeljagt?"
Jen lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Anscheinend schon. Benjamin wollte wohl nicht, dass jemand diesen Stein findet."
„Na super und nun?", fragte Fynn und griff nach der Schatulle. Plötzlich stutzte er. „Da ist ein Zettel drin."
Er stellte die Schatulle wieder ab und griff nach dem kleinen zusammengefalteten Zettel. „Da steht nicht viel drauf. Da steht nur >> Liebe Medusa, lass es nicht in falsche Hände gelangen. Und zerstöre den Stein, wenn es nötig ist. Dein alter Freund Benjamin.<<"
„Na das ist doch eine Aussage. Weiter bringt und das aber ganz und gar nicht.", murrte Medusa.
Jen kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Irgendwie schon. Es verstärkt unsere Vermutung, dass wir es mit etwas großem zu tun haben und Benjamin nicht wollte, dass man diesen Stein sofort in die Hände kriegt."
Cassandra drehte die Kette in den Händen. „Hey, ich glaube das kann man aufmachen.", sagte sie und versuchte den Anhänger zu öffnen. Auf einmal erklang ein leises Klicken und der Anhänger sprang auf. Cassandra hielt die Luft an. Fynn griff vorsichtig in den Anhänger. „Na super. Es ist ein weiterer Schlüssel. Was machen wir jetzt mit dem?"
„Wieder zurück in das Medaillon packen.", sagte Jen, „Und dann müssen wir herausfinden, wofür er ist."
„Bestimmt für eine weitere Kiste, wo wieder ein Schlüssel drin ist.", meine Medusa missmutig, „Nur haben wir keine Ahnung, wo wir suchen sollen."
Cassandra schloss den Anhänger wieder. „Dann müssen wir es wohl herausfinden."
Fynn schaute in die Runde. „Und wo fangen wir an?"
Cassandra schloss die Finger um den Anhänger. „Ich habe absolut keine Ahnung."
Medusa stand auf. „Ich gehe in den Missionsraum und schaue, ob es irgendwelche Fälle gibt. Mein Kopf raucht vom Denken. Ich muss irgendwas machen, was nicht mit denken zu tun hat."
Mit diesen Worten ließ sie die Tür zu Jens Büro hinter sich in Schloss fallen. Cassandra sah zu Fynn. „Und was machen wir jetzt?"

Medusa-Die Frau im TrenchcoatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt