Einbruch

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Der Glockenschlag des Big Ben durchdrang dumpf die wolkenverhangene Nacht. Die Vorkehrungen für den Einbruch hatten länger gedauert als gedacht, was nicht zuletzt daran lag, dass es sich bei der Bar, in der Medusa und Jen einem der Wachtmänner den Plan entlocken wollten, um eine Karaoke Bar gehandelt hatte und Medusa unbedingt das Lied Money, Money, Money von Abba singen wollte. Jen hatte sich geschämt, dass sie mitgekommen war. Aber zumindest hatte der Wachtmann, den sie in die Mangel genommen hatten, noch mehr getrunken und auch Jen hatte sich gewünscht, dass sie Alkohol vertragen könnte.
„Woran denken Sie?", flüsterte Cassandra, die zusammen mit Jen an der hinteren Mauer des Towers kauerte und, durch ein kleines Loch in der Mauer schauend, auf die Wachablösung wartete, die jeden Moment stattfinden würde.

Jen umklammerte die Rauchbomben fester. „Ich denke an Medusas Auftritt in der Karaoke Bar."
Cassandra starrte sie fassungslos an. „Sie hat gesungen?"
„Ja, und das leider nicht gerade leise."
Cassandra richtete ihren Blick wieder auf den Innenhof.
„Das hätte ich nur zu gerne gehört.", murmelte sie.
„Glaub mir, das willst du nicht.", erwiderte Jen und lugte ebenfalls durch das Loch. „Hey, es ist soweit.", flüsterte sie, „Die eine Wache geht und gleich wird die andere kommen." Sie zog ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf herum. Dann schaute sie wieder zu Cassandra. „Bist du bereit?"
„Kann man für einen Einbruch bereit sein?"
„Auch wieder wahr."

****

Medusa warf einen Blick auf ihr Handy und schaute dann zu Fynn. Sie beide saßen auf der äußeren Mauer des Towers und beobachteten das Geschehen von oben. „Es geht los. Bist du bereit?"
Fynn reckte sich. „So bereit wie man halt sein kann.", meinte er und breitete seine Flügel aus, was Medusa jedoch nur als schummrige Schemen wahrnehmen konnte. „Und du hast das Sicherheitssystem auch bestimmt deaktiviert?"
Fynn nickte. „Natürlich. Ich habe keine Lust erwischt zu werden und nun sollten wir aufpassen. Jen und Cassandra werden gleich die Rauchbomben zünden und dann segeln wir in den Innenhof."
Medusa betrachtete Fynns Arme. „Kannst du mich überhaupt halten?"
„Darüber machst du dir jetzt Gedanken? Das ist irgendwie ein schlechter Zeitpunkt. Das krieg ich schon hin. So schwer kannst du ja nicht sein."
In diesem Moment ertönte ein lauter Knall vom Eingangstor und eine dunkle Rauchwolke breitete sich über den Innenhof aus. Sofort brach eine große Unruhe aus und die Wachen, die während der Wachablösung noch auf ihren Posten gestanden hatten, liefen zum Eingang. Der Weg war frei.
Fynn umklammerte Medusa und schwang sich mit ihr in die Luft. Lautlos flogen sie bis zur Eingangstür der Schatzkammer, wo Fynn Medusa absetzte und seinen Rücken durchdrückte. „Ich nehme alles zurück."
„Ich hab dich vorgewarnt."
„Das habe ich aber nicht wirklich mitbekommen."
„Kannst du jetzt die Tür öffnen?"
Fynn beugte sich vor und schnippte mit den Fingern. Die Tür schwang auf. „Nach dir."

****

Euryale presste sich an die Hauswand des unscheinbaren Hauses und beugte sich vorsichtig etwas vor, um um die Ecke schauen zu können. In dem Haus brannte kein Licht. Sie schaute nach oben und suchte das Haus nach Überwachungskameras ab. Tatsächlich entdeckte sie eine, versteckt unter einem Dachgiebel. Sie zog ein Messer aus ihren Stiefeln, zielte und warf es mit der Schneide voran gegen die Kamera. Dieses durchtrennte einige Kabel, was die Kamera mit einem leise Summen in sich zusammensinken ließ. Das Messer landete im Gras. Euryale griff danach und drehte es in den Fingern. Dann huschte sie an der Hauswand entlang und umrundete das Haus, bis sie auf die Eingangstür stieß. Auch hier musste sie noch zwei weitere Überwachungskameras ausschalten. „Das ist ja fast zu einfach.", murmelte sie und drehte am Türknauf. Die Tür war verschlossen. Sie seufzte und lief weiter an der Hauswand entlang. Dann entdeckte sie ein halb geöffnetes Fenster im ersten Stock.
„Sag mal, wie blöd kann man eigentlich sein?", murmelte sie und schaute sich nach einer Möglichkeit um dieses Fenster als Einstieg zu benutzen. Neben dem Haus stand ein Baum. Er besaß nur wenige kahle Äste, aber für Euryales Anforderungen würde es wohl reichen. Sie steckte das Messer in ihren Gürtel und kletterte flink den Baum hinauf. Langsam kroch sie einen der Äste entlang, erhob sich langsam, wobei der Ast gefährlich zu wanken begann, holte tief Luft und sprang. Ihre Finger krallten sich in den kalten Stein des Fenstersims. Euryale keuchte leise auf, als ihr Körper gegen die Hauswand prallte. Ihre Arme zitterten, als sie sich hochzog und sich hochdrückte. Sie stieß das Fenster weiter auf und rollte etwas unelegant über die Fensterbank ins Haus. Mit einem kaum hörbaren Knall fiel sie auf den Boden. Fluchend richtete sie sich wieder auf. Vielleicht war es ja ganz gut, dass sie nicht in den Tower einbrechen musste, sondern nur in das Haus von irgendjemandem. Auf leisen Sohlen schlich sie durch das Haus. Unter einer geschlossenen Tür drang ein Licht hindurch, so schwach, dass es von draußen nicht zu bemerken gewesen war. Euryale zog ihr Messer wieder aus dem Gürtel und drückte die Klinke leise herunter. Die Tür öffnete sich knarrend und gab den Blick auf ein aufgeräumtes Zimmer frei. An einem Schreibtisch am anderen Ende des Raumes saß ein alter Mann mit dem Rücken zu ihr und summte die Melody eines Liedes, während er mit einem Tuch die Kronjuwelen polierte.
Euryale lehnte sich gegen den Türrahmen. „Ich wusste nicht, dass mit den Kronjuwelen so fahrlässig umgegangen wird.", sagte sie und drehte das Messer in den Fingern. Der Mann zuckte zusammen und ließ das Tuch fallen. „W-was?"
„Das hier ist nun wirklich kein sicherer Ort für Juwelen und ganz sicher nicht für die Krone. Jemand könnte sie stehlen."
Der Mann hob die zitternden Hände. „Bitte, tun Sie mir nichts. Ich- ich poliere die Krone nur."
Euryale grinste. „Das sehe ich.", entgegnete sie und machte ein paar Schritte auf den Mann zu, „Ich will Ihnen nichts tun, solange Sie keine Dummheiten machen. Ich will auch nicht die Krone. Ich will nur diesen einen Stein."

Medusa-Die Frau im TrenchcoatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt